Robert Enke wird bei Neustadt-Eilvese von einem Zug erfasst und tödlich verletzt. Ein Porträt von Alexander Laux.

In einem seiner letzten Interviews hat Robert Enke im "Focus" gesagt: "Ich bin nicht gläubig. Ich weiß nicht, ob jemand das Leben lenkt. Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. Man muss sich mit einer Verletzung abfinden, man muss sich damit abfinden, wenn man ein Spiel verliert, und man muss sich damit abfinden, wenn man ein Kind bekommt, das schwer krank ist und stirbt."

Am Dienstagabend, an einem Bahnübergang in Neustadt am Rübenberge im Ortsteil Eilvese, beschloss Enke, sein Leben zu beenden. "Krankheit und Fremdeinwirkung schließe ich aus", sagte sein tief getroffener Berater Jörg Neblung dem Abendblatt. Weitere Details will er heute bekannt geben. Nur 32 Jahre jung wurde der in Jena geborene deutsche Fußball-Nationalspieler. Der Verlust des Sportlers Enke ist immens, aber bei Weitem nicht so groß wie der des Menschen.



Dass Robert Enke nicht in die Schublade des Prototyps Fußballer passte, wurde schon sehr früh deutlich. Als er 2003 vom FC Barcelona zu Fenerbahce Istanbul wechselte, wurde er im ersten Pflichtspiel von den - über den Abgang ihres Lieblings Rüstü enttäuschten - türkischen Fans mit Bierflaschen beworfen. Er löste seinen Vertrag auf und flüchtete arbeitslos zurück nach Barcelona, wo seine Frau Teresa und die Hunde warteten. Ein halbes Jahr ohne Beruf und ohne Gehalt - Enke durchschritt zum ersten Mal ein großes Tief.

Als er über den Umweg Teneriffa schließlich in das niedersächsische Dorf Empede "wechselte", um bei Hannover 96 zu spielen, nahm das Paar neun Hunde mit, die es von der Straße gerettet hatte. "Mehr ging wirklich nicht", sagte er fast bedauernd. Bis zuletzt vermittelten er und seine Frau Tiere aus Spanien, kontrollierten genau die künftigen Halter. In einem Abendblatt-Gespräch vor einigen Wochen schilderte Enke lächelnd, dass es durchaus vorkommen konnte, dass seine Frau die Tiere wieder zurückholte, wenn die Haltung nicht ihren Erwartungen entsprach.

Enke war kein Mensch für Sensationen, sein Wertesystem umfasste schon immer weit mehr als Siege oder Tore. "Robert ist ein offener Mensch mit vielen Fragen", sagte sein Vater einmal, "er ist intellektuell gut bestückt, hat eine soziale Ader." Doch spätestens 2004 änderte sich in seinem Leben alles auf dramatische Art und Weise. In der 20. Schwangerschaftswoche seiner Frau erfuhren sie, dass das ungeborene erste Kind an einer Herzanomalie leidet. Das Baby kam mit einer erheblichen Organunterentwicklung zur Welt.

Die Enkes kämpften, sorgten für eine Rundumversorgung der kleinen Lara, die bei der Geburt 45 Zentimeter groß war und 2750 Gramm wog. Zwei Jahre wogten die Gefühle zwischen Hoffnung und der Erkenntnis, dass der Kampf vergeblich sein würde. 2006, nach drei Operationen, trug Robert Enke sein Kind stolz in der AWD-Arena auf dem Arm, zeigte sein ganzes Glück, strahlte. Doch kurze Zeit später, nach einer weiteren Operation am Ohr, starb das Kind im Alter von nur zwei Jahren.

Viele Menschen müssen den Verlust ihres Sohnes oder ihrer Tochter verkraften, nicht immer gelingt es, nach vorne zu schauen und ein neues Leben zu beginnen. Enke schien diese schwierige Aufgabe zu meistern. Im Frühjahr 2009 gab Enke bekannt, dass Teresa und er das zwei Monate alte Pflegekind Leila adoptiert hätten.

Es ist nur Spekulation: Aber es scheint, als ob Enke an diesem 10. November keinen anderen Ausweg sah, die noch immer vorhandene Trauer nicht mehr spüren zu müssen, als sich das Leben zu nehmen.

"Ich muss nicht mehr jeden Tag verkünden, wie traurig ich bin", sagte er in jenem "Focus"-Interview: "Ich habe andere Dinge mitgemacht, die schwieriger waren als diese Infektion." Gemeint war eine Campylobakter-Infektion, die ihn zuletzt wochenlang zum Aussetzen gezwungen hatte. Dabei war Enke ganz nah dran an seinem sportlichen Karrierehöhepunkt. Bundestrainer Joachim Löw hatte ihn bis zum Jahresende als Nummer eins der deutschen Nationalmannschaft auserkoren, alles deutete darauf hin, dass er bei der WM-Endrunde in Südafrika im Tor stehen würde.

Doch die Krankheit brachte ihn um den Einsatz gegen Russland in der WM-Qualifikation - und sein Konkurrent René Adler (Bayer Leverkusen) hielt glänzend. Der Kampf um die Nummer eins im deutschen Tor war nun wieder völlig offen.

Schon vor einem Jahr musste Enke einen Rückschlag verkraften, als der Bayern-Profi Philipp Lahm ihm bei einem Trainingsspiel mit einem Schuss das Kahnbein in der linken Hand brach. "Warum? Warum ich? Sport und Fußball sind mein Leben. Es ist nicht einfach, wenn das plötzlich wegfällt", sagte Enke dazu. Schließlich musste er schon früher die Rolle des tragischen Helden spielen. Mit Mönchengladbach stieg er in die Zweite Liga ab, in Lissabon und Barcelona schaffte er nicht den Durchbruch. Aber bis gestern kämpfte sich Enke immer wieder zurück, ohne große Worte, ohne Polemik.

Nein, Enke war nie jemand, der Politik für sich machen würde, der öffentlich seine Berufung in der Nationalmannschaft fordern würde oder der bei einer leichten Parade drei Meter durch die Luft segeln würde. Mit seiner Freundlichkeit, seiner Höflichkeit und seiner intelligenten Zurückhaltung wurde Enke bei Hannover 96 für die Fans zu "Robert Riese", zum absoluten Publikumsliebling. Wohl niemand hätte es für möglich gehalten, dass dieser Mensch innerlich so zerrissen sein könnte, dass er sich zu diesem Schritt entschließt.

Am Ende der Saison lief sein Vertrag bei Hannover 96 aus. Er wurde schon als möglicher Nachfolger von Frank Rost beim HSV gehandelt. Doch es wäre gut möglich gewesen, dass Enke seinen Kontrakt noch einmal verlängert hätte, weil die Familie womöglich wichtiger ist als ein Champions-League-Spiel. "So wie Jens Lehmann bis 40 Jahre könnte ich mir schon vorstellen, im Tor zu stehen", sagte er unlängst.

Jetzt trauert der deutsche Fußball um einen großartigen, nicht zu ersetzenden Menschen, den man noch lange vermissen wird. Das Freundschafts-Länderspiel der DFB-Auswahl am Sonnabend in Köln gegen Chile ist nur Nebensache. Eigentlich sollte man es absagen.