Die Marktmacht der Kundinnen beginnt sich durchzusetzen. Nur die Designer haben den Trend noch nicht erkannt.

Berlin. Gerade lassen sie sich wieder bei der wichtigen Fashion Week in Paris bestaunen: dürre Mädchen. Sie staksen in teuren Klamotten von Yves Saint Laurent und Chanel über den Catwalk. Ohne Busen, ohne Hüften, ohne Po. Bei der London Fashion Week kam es kürzlich sogar zum Eklat. Der Stylist und Laufsteg-Trainer des Modeschöpfers Mark Fast reichte drei Tage vor der Modenschau hysterisch die Kündigung ein. Designer Fast hatte es gewagt, zwei Models mit den Kleidergrößen 40 und 42 zu buchen. Er fand, seine Kleider sähen besser an kurvigen Frauen aus.

Die Chefredaktion der Hamburger Frauenzeitschrift "Brigitte" will dagegen künftig auf professionelle Models verzichten. Für Fotoproduktionen wird ab sofort nur noch "die Frau von der Straße" gebucht, wie "Brigitte"-Chefredakteur Andreas Lebert sagt. Bringt das nun den lang ersehnten Wechsel in der Modebranche vom Hungerhaken hin zu dem Versuch, Frauen realistisch abzubilden?

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht hier nicht um "Mode für Mollige" oder Kleidergrößen 44 bis 46. Die Modewelt diskutiert, ob man an Stelle des "Size Zero" oder einer Größe 34 auf die immer noch sehr schlanken Silhouetten einer Kleidergröße 36 bis 38 zurückgreifen sollte. Nicht zuletzt, um der Magersucht vorzubeugen und jungen Mädchen andere Vorbilder zu geben. Folgen hatten solche Überlegungen in der Regel jedoch nicht. Selbst wenn alle Jubeljahre mal propere Mädchen wie Crystal Renn oder Sophie Dahl "Haute Couture" vorführen durften. Letztere hungerte sich kurz nach ihren großen Auftritten übrigens wieder von einer Größe 40 auf eine Größe 36.

Trotzdem, die Zeichen für einen Sinneswandel mehren sich. "Zu dünn" bezieht sich nicht mehr nur noch auf Models und Magersucht. Die breite, weibliche Masse entdeckt ein neues Selbstbewusstsein. Sie ist damit eine weit mächtigere Institution als der diktatorische Modedesigner. Dennes sind die Käuferinnen.

Bereits vor einigen Monaten verbannte die britische "Vogue" Magermodels aus ihrem Heft. Damals wurde das noch von weiten Teilen der Modewelt belächelt. Das Bemerkenswerte an der Angelegenheit war, dass die Leserinnen den Wechsel einforderten. "Natürlich haben auch wir bei ,Brigitte' die Beobachtung gemacht, dass die Mädchen auf den Laufstegen konsequent immer dünner wurden. Als wenn sie irgendwie verschwinden möchten. Wir mussten gebuchte Models für die Fotostrecken mit Bildbearbeitung am Computer 'dicker' machen. Das geht komplett an der Wirklichkeit und unseren Leserinnen vorbei", bestätigt "Brigitte"-Chefredakteur Lebert. Das heißt konkret, die Hüften wurden breiter, der Busen voller gemacht.

In London sorgte vor Kurzem der Auftritt von Victoria Beckham auf einer Party für hitzige Diskussionen in den Medien. "In einem Raum voller Models war sie die Dünnste und ließ die hochgewachsene Claudia Schiffer geradezu schwanger aussehen", ätzte die britische Zeitung "Daily Mail" gegen die "Fashion-Ikone".

Aber nicht nur die Medien wandeln sich. Designer wie Kinder Aggugini geben mittlerweile offen zu, dass die Laufstegmode für normalgewichtige Menschen, also für das Gros der Käuferinnen "vollständig umgeschneidert" werden müsse. Es ist ein offenes Geheimnis, dass selbst Topmodels wie Naomi Campell oder Cindy Crawford nicht in die "normalen" Laufstegmodelle passen. Eigentlich ist es unverständlich, warum Frauen ihre Marktmacht nicht längst konsequenter nutzen. Viele pressen sich immer noch in viel zu enge und ungünstig geschnittene Hosen, Röcke oder Pullover, statt andere Schnitte einzufordern. Schließlich leben Designer davon, dass sie ihre Kleidung auch verkaufen. Vermutlich werden die Modehäuser erst bereit sein, anders zu schneidern, wenn sich die Vorbilder in den Köpfen der Frauen endgültig gewandelt haben. Das scheint zu passieren: "Auf uns kommt eine Generation von Frauen zu, die den ewigen 'Selbstzweifel-Virus' aus ihrer DNA gestrichen haben. Besonders die ganz jungen Frauen wollen die seltsame Künstlichkeit der Modewelt nicht mehr. Sie gehen dazu deutlich auf Distanz", sagt Lebert.

Erinnert sich eigentlich noch jemand an die Stylistin Rachel Zoe? Sie war diejenige, die den Size-Zero-Look für Starlets wie Nicole Richie, Mischa Barton, die Olsen-Zwillinge und Keira Knightley erfand. Nun laufen ihr angeblich die berühmten Kundinnen in Scharen davon.