Polizei geht von einem erweiterten Selbstmord aus. Die Nachbarn sind fassungslos über die Tragödie.

Düsseldorf. Der Düsseldorfer Stadtteil Derendorf ist eine gediegene Wohnadresse, die Mauerstraße eine verkehrsberuhigte Zone. Nichts von dem Elend, das solche Geschichten normalerweise umgibt, kein Alkohol, keine Verwahrlosung, keine Trostlosigkeit. Derendorf ist geordnetes Bürgertum, ein Stadtteil wie aus dem Bilderbuch - adrette Häuser, adrette Menschen. Hier, nur zwei Häuser neben der schwer bewachten Synagoge am Paul-Spiegel-Platz, ereignete sich offenbar schon vor Tagen eine Familientragödie mit drei Toten, die nun eine ganze Region aufwühlt.

"Die Eltern waren immer sehr lieb mit dem Kind", sagt ein Rentner aus dem Nachbarhaus. Dass sie zuerst ihr behindertes Kind und dann sich selbst getötet haben sollen, können der Mann und seine Frau kaum glauben. "Es ist einfach schrecklich", meinen beide und schütteln den Kopf.

Am Donnerstag klingelten gegen 16.30 Uhr Polizeibeamte erfolglos an der Tür der Familie P., die im zweiten Stock des fünfstöckigen gepflegten weißen Hauses lebten. Nachbarn hatten die Ermittler gerufen, weil die Familie seit ihrer Rückkehr aus einem Urlaub am 5. August nicht mehr gesehen worden war. "Als niemand öffnete, wurde die Feuerwehr gerufen, die dann die Tür aufbrach", sagt Johannes Mocken, Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft.

Nach der Obduktion der drei Leichname am Freitagvormittag ist Mocken überzeugt: "Ein Fremdverschulden scheidet aus." Die Behörde geht von "einem erweiterten Suizid" aus, wie so etwas nüchtern im Amtsdeutsch heißt.

Im sorgsam auf-geräumten Schlafzimmer fanden Feuerwehrleute und Polizei den 44 Jahre alten Familienvater, seine 27 Jahre alte Ehefrau und das Kind (4) nebeneinander liegend tot auf. Die Staatsanwaltschaft schweigt über die Umstände des Fundes ebenso wie über die Todesursache. Mocken bat am Freitag mit Rücksicht auf das "familiäre Umfeld", weitere Spekulationen zu unterlassen. Das Geschehen sei tragisch genug, fügte er energisch hinzu.

An der nächsten Ecke betreibt Esmeraldina Gihr einen Kiosk. "Die Mutter war immer sehr fröhlich", sagt die Mittvierzigerin. "Sie hat sich auch nicht für ihr behindertes Kind geschämt wie manche Frauen." Überhaupt sei der Junge, der offenbar unter dem sogenannten Downsyndrom litt, aus ihrer Sicht nicht schwer behindert gewesen. "Er konnte schon gehen und hat von der Mutter häufiger ein Eis bekommen, das er auch selbst essen konnte." Mit ihrem Kombi sei die 27-jährige Frau, die immer "sehr adrett" gewirkt habe, mit ihrem Sohn zu verschiedenen Therapien gefahren. "Sie hatte lange schwarze Haare, war hübsch, hat oft gelacht." Bereits seit einigen Jahren habe die Familie in der Gegend gewohnt.

Über den Vater, einen Diplomingenieur wissen die Nachbarn wenig zu berichten. Im dem Haus mit Aufzug, in dem angeblich überwiegend Wohnungseigentümer leben, wurde er kaum wahrgenommen. Er sei wohl eher ein "ruhiger Typ" gewesen, der zumeist Jeans und Hemd trug, sagt die Kioskbetreiberin. "Aber sie sind auch zusammen mit ihrem Kind hier viel spazieren gegangen, auch Hand in Hand", berichtet Esmeraldina Gihr. Dass jetzt der Vater oder die Eltern keinen anderen Ausweg gesehen hätten, als die gesamte Familie auszulöschen, will Gihr nicht glauben. Die Familie habe "in sehr geordneten Verhältnissen" gelebt. Der Ehemann hat als Ingenieur in einem Düsseldorfer Unternehmen gearbeitet. Diese "geordneten Verhältnisse" nennt Mocken auch als Grund dafür, dass es keinen Anlass für das Düsseldorfer Jugendamt gegeben habe, sich um das Kind zu kümmern. "Es gab kein Form von Vernachlässigung", sagt Mocken. Der Entschluss, ihrem gemeinsamen Leben ein Ende zu machen sei offenbar kurzfristig getroffen worden sein, fügt er hinzu.

"Man ist über die vier Jahre seit der Geburt offenbar mit der Last der Behinderung zunehmend weniger fertig geworden", sagt Mocken. Das gehe aus dem von den Eltern gemeinsam verfassten Abschiedsbrief hervor, der ebenfalls im Schlafzimmer gefunden wurde. "Die Familie hatte offenbar zuletzt jeden Lebensmut verloren."