Es ist ein großes Rätsel. Was ist mit dem Frachter “Arctic Sea“ geschehen, der seit rund zwei Wochen verschwunden ist?

London. Haben Piraten oder die Mafia die „Arctic Sea“ entführt? Hatte der Holzfrachter eine geheime oder gefährliche Fracht geladen? Und warum ist Russland so daran interessiert, das Schiff zu finden, das nach seiner Fahrt durch den Ärmelkanal seit rund zwei Wochen spurlos verschwunden ist? Das mysteriöse Schicksal des Frachters mit seiner 15-köpfigen Besatzung sorgt für immer wildere Spekulationen und Verschwörungstheorien. Und die Frauen und Verwandten der russischen Seeleute bangen um ihre Angehörigen und bitten Russland und die Länder Westeuropas um Hilfe bei der Suche.

„Die Osteuropa-Mafia könnte dahinter stecken. Esten, Letten oder Russen. Möglicherweise geht es um Drogen“, zitieren britische Zeitungen einen Piraten-Experten, der wegen früherer Verhandlungen mit somalischen Seeräubern nicht namentlich genannt werden möchte. Sollte sich das Schiff in der Hand von Piraten befinden, befürchtet der Experte das Schlimmste. „Die Crew könnte tot sein.“ Gegen die Piratenthese spricht jedoch, dass bislang noch keine Lösegeld-Forderung bekanntwurde. Allerdings müsste eine solche Forderung bei der finnischen Reederei eingehen. Doch die gibt sich zugeknöpft. Selbst Anfragen aus Finnland werden abgebügelt, nicht beantwortet, Telefonhörer werden aufgelegt.

Der russische Schifffahrtsexperte Michail Wojtenko glaubt hingegen nicht, dass Piraten in der Ost- oder Nordsee zugeschlagen haben, um Lösegeld für das Schiff, die Besatzung oder die Holzfracht im Wert von über einer Million Euro zu erpressen. „Als einzig vernünftige Antwort erscheint mir, dass das Schiff heimlich mit etwas beladen wurde, von dem wir nichts wissen“, sagt er und erinnert daran, dass das Schiff im russischen Kaliningrad vor Anker lag, bevor es in Finnland mit dem Holz beladen wurde.

Dass es sich dabei um Drogen oder gar um normale Schmuggelware handelt, schließt der Herausgeber eines Marine-Informationsdienstes jedoch aus. „Ich denke, es ist etwas, das teurer und gefährlicher ist.“ Zuvor hatte es schon Gerüchte gegeben, dass das Schiff Waffen aus Russland für Afrika geladen haben könnte. Zielhafen der „Arctic Sea“ war die Hafenstadt Bejaia im Nordosten Algeriens. In diesem Fall wäre offen, ob die Waffen in Russland, in Finnland oder erst während der Fahrt nach Algerien an Bord gekommen sind. Nach Berichten der Behörden war die „Arctic Sea“ einen Tag nach ihrem Auslaufen aus Finnland in der Ostsee von bewaffneten Männern vorübergehend gekapert worden. Und niemand weiß, was damals auf dem Schiff wirklich passierte.

Hintergrund könnte aber auch ein wirtschaftlicher Streit sein, theoretisch könnte die „Arctic Sea“ auch irgendwo an der Westküste Afrikas gestrandet sein. Oder Piraten haben den Frachter zu einem Geisterschiff gemacht, das sie – versehen mit einem neuen Anstrich und einem neuen Namen – für ihre Angriffe auf andere Schiffe nutzen. Die Angehörigen der 15 russischen Seeleute wollen Klarheit und schrieben einen offenen Brief an ihren Präsidenten Dmitri Medwedew. „Wir bitten darum, alle nötigen russischen Sonderdienste mit einer umfassenden Such- und Rettungsoperation zu beauftragen.“

Das russische Verteidigungsministerium gibt sich angesichts der Suchaktion seiner Flotte ähnlich schmallippig wie die Reederei. Zur Rolle der angeblich an der Suche beteiligten Atom-U-Boote sagte ein Ministeriumssprecher:„U-Boote der russischen Marine erfüllen spezifische Aufgaben in verschiedenen Gebieten des Weltmeeres. Der Inhalt dieser Aufgaben sowie die Koordinaten von U-Booten werden geheim gehalten.“