Auf der Fahrt von München nach Hamburg bricht am Morgen des 3. Juni 1998 am ersten Wagen des ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" sechs Kilometer vor Eschede ein Radreifen. Immer wieder schlägt er gegen die Betonschwellen. Um 10.59 Uhr, bei einer Geschwindigkeit von 198 Kilometern je Stunde, entgleist der Zug, prallt gegen eine Brücke. 101 Menschen sterben, 105 werden zum Teil schwer verletzt. Schon kurz nach diesem schwersten Bahnunglück in der Geschichte der Bundesrepublik werden Fragen nach der Ursache laut. Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer erheben bis heute schwere Vorwürfe gegen die Bahn. "Der Unfall hätte nicht passieren müssen, wenn es Sicherheitsmaßnahmen gegeben hätte", sagt der Sprecher der "Selbsthilfe Eschede", Heinrich Löwen, der bei dem Unfall Frau und Tochter verlor. Sein Vorwurf: Der gummigefederte Radreifen sei nicht genügend erprobt gewesen und "überstürzt und höchst fahrlässig eingeführt worden". Vor allem schmerze die Betroffenen, dass es weder ein Schuldeingeständnis noch eine Entschuldigung von der Bahn gebe. "Das ist ein moralischer Tiefschlag." Auch um die Entschädigung der Opfer gibt es weiter Streit. Nach eigenen Angaben hat die Bahn "bisher fast 33 Millionen Euro" aufgebracht. "Es war nicht die spürbare Geste, die wir erwartet haben", kritisiert Opfervertreter Löwen. Nach dem Unglück hat die Bahn alle gummigefederten ICE-Räder durch Vollstahlräder ausgetauscht. Es wurden zusätzliche Notausstiegsfenster eingebaut, auf dem Streckennetz gibt es bei Neu- und Ausbauten keine Weichen mehr direkt vor Brücken und Tunneln. An der Unglücksstelle wurde 2001 eine Gedenkstätte eingeweiht, später wurde auch die Brücke wieder aufgebaut. Wagen 1 des ICE 884, dessen Radreifen die Katastrophe verursacht hatte, stand bis November 2007 auf einem Ausbildungsgelände des Technischen Hilfswerks im niedersächsischen Hoya und wurde zu Übungszwecken genutzt. Nach Protesten wurde er ausgetauscht.