Bislang kündigte der Ätna einen Ausbruch lange vorher an. Diesmal überraschte er auch die Experten.

Rom. Wissenschaftler überwachen den Ätna, Europas größten aktiven Vulkan, seit vielen Jahren rund um die Uhr. Millionen Daten haben sie über ihn gesammelt und ausgewertet. Und wenn er wieder einmal Feuer spuckte wie zuletzt im Sommer 2001, dann wussten sie meistens, woran sie waren. Doch diesmal ist alles anders als sonst. Der "vulcano buono" (der gute Vulkan), wie die Sizilianer ihren Ätna wegen seiner fruchtbaren Lava und seiner Anziehungskraft auf Touristen nennen, gibt selbst den Experten Rätsel auf.

"Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was genau passiert und noch passieren wird", räumt Italiens Chef-Vulkanologe Enzo Boschi gegenüber dem Abendblatt ein. "Der Ätna verhält sich ungewöhnlich. Normalerweise kündigt sich ein ein so starker Ausbruch über Monate vorher an, diesmal wussten wir es nur 30 Stunden vorher."

Was sich in und unter dem Ätna abspielt, ist Forschern eigentlich bekannt. Die Kontinente schwimmen wie Platten auf einer Mischung aus flüssigem Gas und Magma im Inneren der Erde. Zwischen diesen tektonischen Platten gibt es kleine Risse, auf denen sich Vulkane bilden können. Boschi erläutert: "Die afrikanische Platte schiebt sich ganz langsam nach Nord-Nord-Osten. Dadurch kommt es zu Reibungen mit der europäischen Kontinental-Platte. Das löst Erdbeben aus und kann die Kammern unter dem Ätna mit Magma füllen."

Der Hauptspeicher des Ätna liegt in etwa 30 Kilometer Tiefe - eine riesige unterirdische Kammer, gefüllt mit Magma und Gas. Reibungen der tektonischen Platten können diese Kammern bis zum Bersten füllen. Dann wird das Magma aus der Hauptkammer nach oben gedrückt in kleinere Kammern, die sich dicht unter der Oberfläche befinden. Wenn auch diese sich gefüllt haben, bricht die heiße Masse aus Feststoff und Gas durch die Kruste der Erde aus. Fachleute vergleichen diesen Vorgang mit einer Champagnerflasche. Wie die Kohlensäure den Korken aus der Flasche drückt das Gas das Magma aus dem Vulkan. "Wir wissen dank der chemischen Beschaffenheit, dass die Lava, die zurzeit aus dem Ätna spritzt, einer Kammer entstammt, die nur drei bis vier Kilometer unter der Erde liegt", sagt Professor Boschi.

Der Ätna hat einen Umfang an der Basis von 212 Kilometern und bedeckt 1570 Quadratkilometer. Der Hauptkrater erreicht etwa 3340 Meter Höhe, stürzt jedoch bei Ausbrüchen immer wieder teilweise ein. Was die Vulkanologen derzeit am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass der gewaltige Berg sich langsam in Richtung der Stadt Catania (350 000 Einwohner) zum Meer hin "verschiebt".

Die Kruste des Vulkans ist nicht überall gleich dick. An einigen Stellen gibt es kritische Zonen, wo die Kruste der Erde nur sehr dünn und rissig ist. Solche Stellen liegen vor allem an der Ostseite des Ätna. Dort bilden sich neue Krater, während der Westen des Vulkans sich kaum verändert. An den östlichen Hängen über Acireale und Catania hingegen wächst der Ätna, weil sich neue Krater bilden. "In dem Vulkan gibt es ein kompliziertes Geflecht von Kanälen, die einstürzen und verstopfen können. Wenn die Kanäle im Westen verstopft sind, drückt sich das Magma westlich vom Hauptkrater aus der Erde. So wandert das komplexe System des Vulkans langsam in Richtung Meer", so Boschi.

Aber wie gefährlich ist der Ätna dieses Mal? Droht Catania vernichtet zu werden? Müssen Hunderttausende flüchten?

Professor Boschi bittet um Geduld: "Ich weiß nicht, warum er sich so verhält, und ich weiß auch nicht, wie hoch der Druck im Vulkan ist und wie viel Magma in den Kammern ist. Wir brauchen 72 Stunden Zeit. Dann wissen wir mehr." Das ist übermorgen Mittag.