Washington/New Orleans. Die kanadische Filmemacherin Helen Hill liebte New Orleans. "Dies ist meine Stadt", sagte sie immer wieder Freunden. Als vor zwei Jahren der Hurrikan "Katrina" 80 Prozent der Jazz-Metropole in eine Wasserwüste verwandelte, mussten auch Hill und ihr Ehemann aus dem Haus im Stadtteil Faubourg Marigny fliehen. Sie verloren fast ihren gesamten Besitz. Doch nach einem Jahr zog die Künstlerin wieder zurück - und setzte sich wie kaum ein anderer für den Wiederaufbau von New Orleans ein.

Am 7. Januar dieses Jahres, gegen 5.30 Uhr morgens, drang ein Unbekannter in das Haus der 36-Jährigen ein. Ohne zu zögern erschoss er Helen Hill in ihrem Bett, zielte dann auf den Ehemann. Dieser warf sich über den dreijährigen Sohn des Paares, schützte ihn mit seinem Körper vor den Kugeln. Beide überlebten die Attacke, der Täter entkam unerkannt und ist bis heute nicht gefasst. Vier Tage später zog ein Demonstrantenzug in Richtung Rathaus und forderte in Sprechchören und auf Plakaten: "Das Morden muss aufhören!"

Wenn US-Präsident George W. Bush am Mittwoch New Orleans einen Besuch abstattet und an den zweiten Jahrestag des verheerenden "Katrina"-Durchzugs erinnert, wird er eines nicht erwähnen: Eine Mord-Rate, mit der New Orleans mit großem Abstand an der Spitze amerikanischer Städte steht und die amerikanische Medien längst von einer "Kriegszone" sprechen lässt.

Doch die Sicherheitsbehörden stehen der seit "Katrina" eskalierenden Gewalt anscheinend hilflos gegenüber. Eine Studie der Universität von Tulane zeigt, dass derzeit auf 100 000 Einwohner 96 Morde kommen. Der Durchschnitt in anderen US-Metropolen beträgt gerade einmal 5,6 Morde pro 100 000 Bürger. Im Jahr, als "Katrina" kam, lag die die Rate der Kapitalverbrechen in New Orleans noch bei 65 pro 100 000.

Die Ursachen für die Bluttaten-Explosion sind vielfältig: Eine Arbeitslosenquote von fast zehn Prozent. Marodierende Jugendbanden. Eine überfordert wirkende Polizeitruppe, die durch zahlreiche Skandale während "Katrina" (wie Plünderungen oder die Fahnenflucht zahlreicher Beamter) weiter einen extrem schlechten Ruf genießt, unter Personalmangel leidet und vielerorts noch aus Container-Büros arbeitet. Eine Justiz, der Zehntausende von Akten verloren gingen und die immer noch im Schneckentempo arbeitet.

Im Schussfeld steht seit Längerem neben Polizeipräsident Warren Riley auch Bürgermeister Ray Nagin, dem immer wieder vorgeworfen wird, entscheidungsschwach zu sein. Doch scheint Nagin auch jede Menge Fingerspitzengefühl zu fehlen - wie eine Aussage von ihm Anfang August zeigt.

Da hatte er auf eine Reporterfrage, ob die Rekord-Mordrate dem Tourismus schade, doch tatsächlich geantwortet: Dies sei im Prinzip "etwas beunruhigend", doch es halte immerhin den Namen von New Orleans in den Schlagzeilen. Die Zustimmungsrate Nagins befindet sich derzeit auf einem Tiefpunkt.

Daran hat auch ein "Aktionsplan" nichts geändert, den Nagin im Frühjahr verabschiedet hatte. 200 Überwachungskameras, die bis Jahresende an den Verbrechens-Schwerpunkten installiert werden sollen. Mehr Fußstreifen und Kontrollpunkte. Doch all diese Maßnahmen konnten bisher weder die hohe Kriminalitätsrate senken noch das Misstrauen der Bürger gegenüber den Sicherheitsbehörden beseitigen.

"Wenn ihr wirklich wollt, dass die Polizei erscheint," klagt der in New Orleans lebende Internet-Journalist Alan Gutierrez zynisch und resignierend, "sagt einfach, dass eine nackte Frau auf eurer Veranda sitzt."