Die Stadt transportiert ihren Abfall jetzt nach Leipzig.

Neapel. Es stinkt zum Himmel, und Ratten bevölkern Neapels Straßen. Jetzt wurden die ersten Schulen geschlossen, aus Angst vor Cholera. Die Müllkatastrophe nimmt immer dramatischere Ausmaße an. 15 000 Tonnen Abfall gammeln auf den Straßen der Vesuv-Metropole in der Frühjahrshitze vor sich hin (wir berichteten), die Furcht vor Krankheiten wächst.

Insbesondere fürchten die Bürger den Ausbruch gefährlicher Epidemien: "Cholera! Wir werden alle sterben!", warnen Plakate in San Giorgio a Cremano bei Neapel. Auch Bürger von Nachbargemeinden klagen über Ratteninvasionen. In Brand gesteckte Müllberge drohen Luft und Wasser mit Dioxin zu verseuchen.

Angesichts von 4000 Tonnen Müll auf den Straßen der Kleinstadt Frattamaggiore nördlich von Neapel schloss Bürgermeister Francesco Russo vorsorglich die Schulen. "Ich konnte nicht anders, das Gesundheitsrisiko ist zu hoch", rechtfertigte er die seit Tagen angedrohte Maßnahme. Mitten in der Eskalation schaltete sich Staatspräsident Giorgio Napolitano (81) mit einem dringenden Appell zu verantwortlichem Handeln an alle Beteiligten ein. Die Lage sei "tragisch", beklagte das Staatsoberhaupt und ermahnte Regierung, Regionalpolitiker und Anwohner, die beschlossenen Lösungen umzusetzen. Doch die Regierung von Romano Prodi blockiert einen von mehreren Standorten für neue Deponien. Die Anwohner einer weiteren für die aktuelle Notlage geplanten Müllhalde in Terzigno besetzten aus Protest den Stadtratssaal und blockierten die Gleise der Circumvesuviana-Bahn. Sie sehnen zwar ein Ende der Krise herbei. Mülldeponien oder Verbrennungsanlagen wollen sie aber ebenso wenig wie die Bewohner anderer Städte von Kampanien vor der eigenen Haustür.

Im Herbst soll nach langem Streit endlich die Müllverbrennungsanlage von Acerra bei Neapel den Betrieb aufnehmen. "Jahrelang hieß es von links, von rechts und sogar aus der Kirche, die Anlage sei gar der Teufel", schimpft Kampaniens Gouverneur Antonio Bassolino, den die Regierung in Rom zeitweise als Müllkommissar eingesetzt hatte.

Bassolinos Nachfolger im unbeliebten Amt, Zivilschutzchef Guido Bertolaso, reichte dieser Tage seinen Rücktritt ein, da er nicht nur auf Widerstand von Anwohnern, sondern auch aus der Regierung stieß. Ministerpräsident Prodi befahl ihm aber, im Amt zu bleiben. Nun verspricht Bertolaso innerhalb der nächsten zwei Wochen die Straßen Neapels und der angrenzenden Städte von den Müllbergen zu befreien - wie er das machen will, ist ein Rätsel.

Die Stadtverwaltung begann jedenfalls damit, Müllballen in eine Verbrennungsanlage nach Leipzig zu transportieren, weil nur hier Kapazitäten frei waren. Mit 160 Euro pro Müllballen kostet diese Art der Entsorgung hundertmal mehr als in Rom. Linke und rechte Stadt- und Regionalregierungen gaben im Kampf gegen den Müllnotstand in Kampanien - der vor 13 Jahren begann - zwei Milliarden Euro aus. Mit dem Ergebnis, dass die angehäuften Müllballen aneinandergereiht eine 7500 Kilometer lange Schlange ergeben würden. Kein Wunder, dass verzweifelte Bürger Müllberge in Brand stecken und damit ihre Luft verpesten.