“Monumentale Tragödie“ in Virginia: 33 Tote, 28 Menschen wurden verletzt.

Washington. Es schneite an diesem Morgen, und viele der 28 000 Studenten erinnerten sich später daran, dass beim Aufstehen das Wetter ihre Hauptsorge gewesen sei.

Die Bilder sind gespenstisch. Sie zeigen leicht verschwommen den Hauptplatz von Virginia Tech, der Technischen Universität des US-Bundesstaates Virginia, wo Polizeibeamte von Baum zu Baum laufen, Waffen im Anschlag. Im Hintergrund sind immer wieder Schüsse zu hören. Das Bild flackert wild, die Schüsse kommen aus einem großen Gebäude jenseits des Platzes, wo sich Studenten an sonnigen Tagen treffen, um sich zu unterhalten und Musik zu hören. "Bamm, bamm, bamm", in regelmäßigen Abständen fallen Schüsse.

Jamal Albarghouti hält die Szene, die später als wichtiges Dokument über den US-Nachrichtensender CNN flackern wird, mit seinem Handy fest. Der junge Mann, der seit drei Jahren an der Uni im eher hinterwäldlerischen Blacksburg studiert, weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welche Tragödie sich hinter den Schüssen verbirgt. Am Morgen hat der Unterricht in Blacksburg, nach der "spring break", den Frühlingsferien, gerade wieder begonnen, als über Lautsprecher plötzlich bekannt gegeben wird, dass die Studenten dort bleiben sollen, wo sie sind, und nicht ins Freie gehen sollen. Um 7.15 Uhr fallen in West Ambler Johnston, einem großen Wohngebäude, wo 895 Studenten leben, die ersten Schüsse.

Die Uni-Polizei ist sofort zur Stelle. Kollegen der örtlichen Polizei und des FBI kommen hinzu. Gegen 10 Uhr meldet CNN, dass ein Täter gefasst, einer angeblich flüchtig ist. Plötzlich wird bekannt, dass rund zweieinhalb Stunden nach den Schüssen in West Ambler Johnston wieder geschossen wird. Diesmal am anderen Ende der Uni, einige Hundert Meter entfernt, in der sogenannten Norris Hall, einem Unterrichtsgebäude mit Experimentierräumen. Laura Spaventa, ein Erstsemester, kauert mit rund 20 Studienkollegen in einem Experimentierraum unter den Tischen. "Ich habe ungefähr fünf Schüsse gehört, die aus einem Klassenzimmer in unmittelbarer Nähe kamen", erzählt das blonde Mädchen später geschockt. Zwei Studenten springen aus Angst aus dem zweiten Stock des Gebäudes. Beide verletzen sich schwer. Studentin Charlotte Walker: "Wir hatten ja keine Ahnung, was passiert ist. Dann schaltete ich meinen Computer ein und dachte, mein Herz bleibt stehen."

Kurz vor Mittag wird dann erstmals das Ausmaß der Tragödie bekannt. Wendell Flinchum, der Chef der Uni-Polizei, sagt mit brüchiger Stimme: "Ein Schütze hat heute bei zwei Schießereien mindestens 20 Menschen erschossen und zahlreiche verletzt." Die Nachricht löst nicht nur in der Uni, sondern im ganzen Land einen Schock aus. Sofort taucht der Geist von Columbine auf, wo fast auf den Tag genau vor acht Jahren zwei Schüler 13 Menschen getötet haben.

Virginia-Tech-Präsident Charles Steger tritt leichenblass vor die Kameras und erklärt: "Die Universität wurde heute von einer Tragödie getroffen, die in unseren Augen monumentale Ausmaße hat." Er spricht von insgesamt 33 Toten. Als bekannt wird, dass es sich wohl doch nur um einen Schützen gehandelt hat und dieser tot in Norris Hall liegt, trauen sich die ersten Studenten wieder ins Freie. Immer wieder fallen sich Menschen in die Arme, weinen, versuchen sich gegenseitig zu trösten. Die Sanitäter brauchen dringend Rettungshubschrauber, doch die können wegen des starken Sturms nicht fliegen, wo vielleicht Minuten über Leben und Tod entscheiden.

Immer wieder ist die Frage zu hören: "Hast du irgendwelche Namen?" Die Angst geht um am Campus. Das Nichtwissen, ob vielleicht ein guter Freund, eine enge Kollegin verletzt oder gar getötet wurde, vergrößert das Chaos und die Trauer nur noch.

Kathy Morgan ruft verzweifelt: "Meine Schwester hatte Unterricht in Norris, und ich habe bisher noch nichts von ihr gehört."

Dana Perino, Sprecherin von George W. Bush, erklärt, dass der US-Präsident erschüttert sei und "für die Opfer und deren Familien bete". Eine Antwort auf die Frage, die sich alle stellen, hat Perino jedoch genauso wenig wie die Polizei und die Studenten von Virginia Tech: WARUM?