Israelis und Palästinenser stemmen sich gemeinsam dagegen. Bringt ein künstlicher Zufluss vom Mittelmeer aus die Rettung?

Ein Gedi. Das Tote Meer ist nicht tot! Im salzigsten Gewässer der Welt - auf jeden Liter Wasser kommen 340 Gramm Salz - leben verschiedene Bakterienarten und eine Alge mit dem klangvollen Namen Dunaliella. An den Zuflüssen in den Salzsee tummeln sich sogar Fische. Diese Lebewesen trotzen dem Salz, dem großen Austrockner. Dem Menschen würde ein Schluck Wasser aus dem Toten Meer schlecht bekommen.

Das Tote Meer liegt im Jordangraben, dem nördlichen Teil des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, der sich weit in den Schwarzen Kontinent hineinfurcht. Hier, am Salzmeer, wie es in der Bibel heißt, wird mit minus 417 Metern der tiefste Punkt auf der Erdoberfläche gemessen. Das Tote Meer ist in eine einzigartige Landschaft eingebettet: Am Ostufer, im Königreich Jordanien, türmt sich das Abarimgebirge; im Westen, auf israelischer Seite, erstreckt sich die Judäische Wüste mit ihren Bergklötzen.

Doch das Tote Meer stirbt! "Jedes Jahr geht der Wasserspiegel um einen Meter zurück", erläutert Gundi Schachal, die als junges Mädchen aus Siegen in den Kibbuz Ein Gedi am Salzmeer kam. "Dort oben", Gundi weist auf eine Linie, die etwa 30 Meter über uns liegt, "war damals der Strand. Das Meer trocknet mit rasanter Geschwindigkeit aus."

Der Hauptzufluss des Toten Meeres ist der Jordan. "Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan . . . sie war wasserreich . . . wie der Garten des Herrn." Heute würde Lot sich entsetzt abwenden. Der Jordanstrom ist zu einem kümmerlichen Rinnsal verkommen. Der Fluss führt immer weniger Wasser. Der Grund: Die Anrainer - Syrien, der Libanon, Jordanien und Israel - zapfen den Jordan unkontrolliert an. Entweder direkt oder über dessen Zuflüsse. Die Menschen benötigen Trinkwasser, und die Landwirtschaft in der dürren und heißen Weltgegend fordert intensive Bewässerung. So gelangen 90 Prozent des Jordanwassers nicht bis zu seiner Mündung im Toten Meer. Zudem verschmutzen Abwässer und Unrat den Fluss. Da große Teile des Jordanufers militärisches Sperrgebiet sind, ist die Gefahr, in der sich der Bibelfluss befindet, der breiten Öffentlichkeit nicht bewusst.

Nicht nur mangelnde Wasserzufuhr, auch die Industrieanlagen an den südlichen Ufern des Toten Meeres setzen dem Gewässer zu. Hier werden in großen Anlagen Mineralien gewonnen, darunter Pottasche, Salz und Brom. Vor allem Pottasche ist ein begehrter Exportartikel zur Herstellung von Kunstdünger.

Seit geraumer Zeit werden unterschiedliche Rettungsmaßnahmen für das Tote Meer erwogen. So wird der Bau von Kanälen debattiert, die dem Salzmeer Wasser zuführen sollen. Eine Möglichkeit wäre eine Wasserstraße vom Mittelmeer, die andere ein Kanal vom Roten Meer, fast 200 Kilometer südlich des Toten Meeres gelegen.

Einer der eifrigsten Befürworter dieser Variante ist Israels greiser Minister und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres (83). Doch der Wasserweg wäre recht kostspielig - etwa vier Milliarden Euro werden veranschlagt - und mit hohen Risiken verbunden. Wie wird sich das sensible Gleichgewicht des Wassers des Salzmeeres durch den Zufluss von weniger salzhaltigem Wasser verändern? Wird das Tote Meer vergipsen? Könnten durch die Mischung des Wassers Reizgase entstehen, die die Touristen vertrieben, die für Israel und Jordanien gleichermaßen eine unverzichtbare Einnahmequelle darstellen? Was bedeutet die Entnahme von Wasser aus dem Golf von Akaba für die berühmten Korallenriffe dort?

Gundi Schachal, die sich in der israelisch-palästinensisch-jordanischen Umweltorganisation Friends of the Earth Middle East engagiert, ist besorgt: "Das Projekt ist nicht genügend durchdacht. Und es wird viel zu wenig nach Alternativen zum Kanal geforscht."

Wir wandern am Ufer entlang. Schilder auf Hebräisch und Englisch warnen: "Danger!" Man tut gut daran, den Gefahrenhinweis ernst zu nehmen. Durch den Rückgang des Wassers sind unterirdisch große Kavernen entstanden, die mehrere Meter tief sein können. Der Boden ist oft brüchig und gibt nach. Zusammen mit Gundi pirschen wir uns vorsichtig voran. Ein sicherer Trampelpfad führt uns vorbei an riesigen Kratern, in denen Quellwasser - je nach Mineralienzusammensetzung - in Blau, Rosa, Grün und Gelb schimmert. Gern würde man diese Farbtöpfe aus der Vogelperspektive sehen. Das bleibt den Kranichen vorbehalten, die, wie Millionen anderer Zugvögel, das Tote Meer auf ihrer Reise in die südlichen Winterquartiere und zurück nach Europa passieren. Dem Wegbrechen des Bodens muss aufwendig entgegengearbeitet werden. So wird die Uferstraße fortwährend stabilisiert. Auf jordanischer Seite ist das Problem der "sink holes", der Sinklöcher, noch gravierender.

Entlang dem Toten Meer gibt es jede Menge touristische Highlights. Nahe dem Nordufer liegen die Höhlen von Qumran, wo Schriftrollen mit Texten des Alten Testaments aus der Zeit vor Christi Geburt gefunden wurden. Weiter südlich erhebt sich die mächtige Bergfestung Massada, ein Symbol für den Kampfeswillen des jüdischen Volkes. In nächtlichen Zeremonien werden israelische Offiziere auf der Burg vereidigt. Tagsüber tummeln sich hier Touristen aus aller Welt.

Bei Ein Gedi fühlt man sich auf Wanderungen zu höher gelegenen Quellen in Zeiten der Bibel versetzt. Aus nächster Nähe lassen sich Steinböcke und Klippschliefer beobachten. Das muntere Pfeifen der Tristramstare mit ihrem prächtigen schwarz-orangefarbenen Gefieder begleitet den Wanderer. Im einstigen Kibbuz von Ein Gedi - auch hier ist der Sozialismus gescheitert: Aus der Gemeinschaftssiedlung wurde ein Profitcenter - locken ein botanischer Garten, ein komfortables Hotel und ein kleiner, liebevoll betreuter Zoo.

Das Tote Meer heilt. Besonders bei Patienten, die an Schuppenflechte leiden, wirkt ein Aufenthalt am Salzmeer Wunder. Auch Menschen mit Atemwegsbeschwerden und Rheuma tun die sauerstoffreiche Luft und die Heilquellen gut. Die kosmetische Wirkung von Pflegeprodukten mit Substanzen des Toten Meeres ist erwiesen. Schon Cleopatra, die sich in Sachen Schönheit bestens auskannte, soll sich hier erholt und verjüngt haben.

Weniger königlich, aber umso lustiger geht es an den Badestellen zu. Hier stehen Bottiche mit Schlamm vom Ufer des Meeres. Gegenseitig reibt man sich mit dem mineralienhaltigen Modder von Kopf bis Fuß ein. Die Besucher aus aller Herren Länder sehen aus wie in Bitterschokolade getunkte Männchen und Weibchen. Unter der Sonne trocknet der Schlamm schnell. Nach einer Dusche und einem Bad im Meer ist die Haut seidenweich.

Schwimmen kann man im Toten Meer nicht. Dafür trägt die Salzbrühe den Badenden. Und - das berühmte Foto schwindelt nicht - man kann auf dem Rücken im Wasser treibend in Ruhe Zeitung lesen.

Die offensichtliche Gefährdung des Toten Meeres birgt aber auch eine Chance. Sie führt Menschen zusammen, die sich um seinen Fortbestand sorgen - und das jenseits politischer Differenzen. So erarbeiten in der Gruppe "Good Water Neighbours" Israelis, Palästinenser und Jordanier gemeinsame Perspektiven für eine sorgsame Wassernutzung. Und beim Halbmarathon "Running for Peace" sowie einem Radrennen entlang dem Toten Meer laufen, strampeln und schwitzen Araber und Israelis miteinander. Für die Rettung ihres gemeinsamen Meeres.