Kinderschänder: Aussage widerrufen. Fünf Jahre nach dem angeblichen Mord sagt die Hauptzeugin plötzlich: “Es hat nichts davon gestimmt.“

Saarbrücken. Sensationelle Wende im Fall des vermissten Pascal aus Saarbrücken. Der Prozess um den Missbrauch und den angeblichen Mord an dem damals Fünfjährigen droht zu platzen. "Es hat gar nix davon gestimmt." Nervös und mit zittriger Stimme nahm Andrea M. (42) gestern alle ihre Aussagen zum Missbrauch und Tod des kleinen Jungen zurück. Sie sei gar nicht dabei gewesen, wie der Junge in einer kleinen Abstellkammer in der Saarbrücker Bierkneipe "Tosa-Klause" von mehreren Männern angeblich vergewaltigt wurde und dabei zu Tode kam. Zwei riesige Suchaktionen hatte sie mit ihrer Aussage ausgelöst, sie wisse auch, wo die Leiche hingeschafft wurde, sagte sie damals.

"Ich weiß nicht, wo der Pascal ist. Ich weiß gar nix", behauptete sie gestern vor dem Saarbrücker Landgericht. Andrea M. - eine der Angeklagten und zugleich die wichtigste Zeugin - ist die Einzige in dem seit zwei Jahren dauernden Pascal-Prozess, die den mutmaßlichen Tathergang am 30. September 2001 detailliert beschrieben hatte. Die Anklage stützt sich maßgeblich auf ihre Aussagen. Andrea M. hat im Laufe der fast 100 Verhandlungstage immer wieder unterschiedliche Varianten präsentiert, die aber stets den gleichen Kern hatten. Nun sagt sie: "Es war ein ganz normaler Tag." Sie sei zwar in der "Tosa" gewesen, passiert sei aber nichts.

Warum der Mordvorwurf? "Ich habe unter Psychodruck gestanden seitens der Polizei." Der Beamte habe sie mehrfach angeschrien. Da habe sie gesagt, "was die hören wollten". Auf die Frage, woher sie denn gewusst habe, worauf der Polizist hinauswollte, sagt die kleine, untersetzte Frau, das habe sie im Gefühl gehabt. Warum sie ausgerechnet jetzt, nach zwei Jahren Prozess, alle ihre Aussagen widerruft und nicht frühere Chancen genutzt hat? Sie tue es für ihren Sohn, Pascals damaligen Spielkameraden. "Weil, ich liebe meinen Sohn", sagt die blasse Frau. Er solle in Ruhe spielen können, ohne dass er als Kind einer Kinderschänderin angesehen werde. Andrea M. hatte immer wieder berichtet, auch "ihr Junge" sei von mehreren Männern missbraucht worden, er sei auch dabei gewesen, als sie selbst Geschlechtsverkehr gehabt habe. Jetzt sagt sie energisch mit Tränen in den Augen: Sie werde dafür kämpfen, den in einer Pflegefamilie lebenden Jungen zurückzubekommen. Vier andere Kinder hatte sie zur Adoption freigegeben.

Der erfahrene Vorsitzende Richter, Ulrich Chudoba, lehnt sich in seinem Sessel weit zurück. Er fragt, ob die elf Mitangeklagten sie zu dem Widerruf bewegt hätten. "Es hat mich keiner beeinflusst, das kommt von mir." Was sie heute sage, sei wirklich die Wahrheit. Zweifel lässt aber ihr Bericht aufkommen, am vergangenen Montag sei sie gemeinsam mit weiteren Angeklagten und zwei Anwälten zum Kaffeetrinken zusammengekommen, man habe über den Prozess gesprochen. Die mitangeklagte "Tosa"-Wirtin Christa W. (53) habe ihr geraten, die Wahrheit zu sagen. "Sie hat gesagt, ich soll an meinen Sohn denken." Chudoba mahnt Andrea M., je häufiger sie sich widerspreche, desto plausibler müsse sie erklären, warum die alte Variante nicht stimme. "Das Gericht muss sich eine Überzeugung verschaffen, ob es glaubt, was Sie heute sagen oder früher." Bleibt das Schicksal von Pascal, der bis heute verschollen ist, für immer im Dunkeln?

Aus Sicht von Walter Teusch, dem Verteidiger der "Tosa"-Wirtin Christa W., wird der Widerruf den Prozess nicht abkürzen. Das Verfahren werde sich nach seiner Einschätzung noch Monate hinziehen. Ein Freispruch werde immer wahrscheinlicher.