Entdecker: Vor 500 Jahren, am 20. Mai 1506, verstarb der Mann, der Indien suchte und Amerika fand. Wer war Kolumbus wirklich? Noch immer ist unklar, wo der Entdecker begraben liegt - und woher er stammt. Gentechnik soll nun die Antwort finden.

Hamburg. "Aus dem unklaren, vielleicht entstellten Bild, das seine Zeitgenossen überliefert haben, treten drei entscheidende Wesenszüge hervor", schreibt Spaniens großer Historiker Salvador de Madariaga in der wohl besten von bisher rund 2000 Kolumbus-Biographien. "Geheimnis umgibt ihn; Hochmut stützt ihn; ein tiefer Sinn für seine Mission auf Erden treibt ihn voran. Niemand weiß, wer er ist, woher er kommt."

Das soll sich jetzt, 500 Jahre nach dem Tod des berühmtesten Fernreisenden aller Zeiten, endlich ändern: Mit Mitteln der Gentechnologie wollen Wissenschaftler aus Deutschland, Italien, Spanien und den USA den Schleier lüften, mit dem sich der Entdecker der Neuen Welt einst selbst verhüllte. Denn bei keiner anderen Persönlichkeit der Weltgeschichte klafft eine derartige Diskrepanz zwischen dem Bekanntheitsgrad und den gesicherten biographischen Fakten. Fast jeder weiß auf Anhieb zu sagen, wer es war, der im Jahr 1492 nach Indien aufbrach, aber Amerika fand - doch bis heute ist unsicher, wo und wann genau Kolumbus geboren wurde, wo er landete und wo er begraben liegt.

Das nötige Forschungsmaterial fanden die Fachleute in Santo Domingo und in Sevilla. Die Hauptstadt der Dominikanischen Republik birgt angeblich Gebeine des Entdeckers, die Hauptstadt Andalusiens außer Kolumbus-Knochen auch Überreste von Kolumbus-Bruder Diego und Kolumbus-Sohn Fernando. DNA-Proben daraus werden nun mit solchen lebender Italiener, Spanier und Franzosen verglichen, die Colombo, Colon, Colomb oder Coulomb heißen, also Nachfahren des großen Unbekannten sein können. Die Ergebnisse sollen Antwort geben: Stammen die Gebeine in Santo Domingo und Sevilla wirklich von dem berühmten Seefahrer? Liegen seine Wurzeln in Genua oder nicht doch in Spanien, Frankreich oder Portugal?

Am Freitag preschte der spanische Historiker Marcial Castro vor und gab bekannt, der DNA-Vergleich von Knochen im Grab von Sevilla mit solchen des Kolumbus-Bruders zeige, daß der Entdecker tatsächlich in Sevilla bestattet sei - ob zur Gänze oder nur in Teilen, ist auch weiterhin so unklar wie die Antwort auf die Frage nach dem Geburtsort.

Als plausibelste unter vielen Varianten gilt immer noch die Version, daß Vater Domenico in Genua Wolle webt und Suzanna Fontanarossa, Tochter eines Wollwebers heiratet. Irgendwann zwischen August und Oktober 1451 kommt Sohn Christoph zur Welt. Der Junge erlernt den Beruf des Vaters, fährt aber schon mit 14 Jahren zur See. Mit 25 segelt er zum ersten Mal auf dem Atlantik, wird vor Portugal von Piraten angegriffen und rettet sich zur Küste. Lissabon ist damals für die Seefahrt, was Houston ein halbes Jahrtausend später für die Raumfahrt wird.

Kolumbus arbeitet in der Hauptstadt Portugals als Zeichner, sein Bruder Bartolomeo als Kartograph. Bald darauf hört Kolumbus auf einer Fahrt in den Nordatlantik von Leif Eriksson, der ein halbes Jahrtausend zuvor von Grönland nach Labrador und Neufundland fuhr. Doch als Kolumbus seine sagenumwobene Reise beginnt, sucht er keinen neuen Erdteil, sondern einen ungehinderten Seeweg nach Indien, dem Land märchenhafter Reichtümer: Die Seidenstraße ist von den Osmanen, die Route durch den Indischen Ozean von Arabern und Portugiesen blockiert.

Kolumbus verspricht nicht eine geographische, sondern eine geschäftliche Großtat. Spaniens kluge Königin Isabella die Katholische verpfändet angeblich ihren Schmuck, um die Flotte des Fremdlings auszurüsten. Am 3. August 1492 sticht Kolumbus in dem kleinen Hafen Palos de la Frontera bei Huelva in See. Am 12. Oktober 1492 steht er auf dem Strand einer Insel, die die Indianer Guanahani und die Spanier fortan San Salvador nennen. Das heutige San Salvador der Bahamas ist es wohl nicht, es heißt auch erst seit 1926 so. Nach neuer Auswertung der Logbücher erklärt die National Geographic Society 1986, Kolumbus habe zuerst auf der winzigen Bahama-Insel Insel Samana Cay amerikanischen Boden betreten, doch Beweise bleiben aus.

Dem Triumph folgt die Tragödie, dem Reichtum der Ruin, denn der grandiose Seefahrer ist ein lausiger Diplomat, ein noch schlechterer Politiker und als Vizekönig ein totaler Versager. Einmal wird er sogar in Ketten nach Kastilien zurückgeschleppt, sein Vermögen verweht im Wind der großen Veränderungen, die er selbst ausgelöst hat: Als der Mann, der, so Madariaga, "eine mächtige Nation von ihrer natürlichen Bahn ablenkte, der den meßbaren und dem Menschen zugänglichen Raum dieser Welt verdoppelte und die Horizonte des Erkennens weiter ausdehnte, als selbst die kühnsten Geister jenes Zeitalters es gewagt hätten".

Auch der Ruhm zerrinnt schnell, in seinen letzten Lebensjahren nimmt den einsamen Irrenden kaum noch jemand ernst. Heute wird sein Charakterbild wie das des Schillerschen Wallenstein "von der Parteien Gunst und Haß verwirrt": Die meisten Biographien stellen Kolumbus noch immer auf den Olymp der Weltgeschichte. Andere Kritiker rechnen ihn inzwischen unter die Verursacher von Ausbeutung und Ausrottung, Verseuchung und Völkermord, Schwertbekehrung und Sklaverei.

Kolumbus selbst zeigt sich seinen Sympathisanten wenig hilfreich: Bis an sein Lebensende bleibt er dabei, er habe als erster Indien von Osten erreicht, auch dann noch, als der Florentiner Amerigo Vespucci (1451-1512) überzeugend darlegt, die Kolumbus-Küste gehöre zu einem ganz neuen Erdteil - der prompt "Amerika" und nicht "Columbia" heißt. Auch der Forschung tut der Entdecker keinen Gefallen: Kaum ein anderer hat so nachhaltig versucht, seine Herkunft zu verschleiern. Kolumbus spricht viele Sprachen, Schriftliches aber verfaßt er fast ausnahmslos auf Spanisch, mit leichtem katalanischen und portugiesischen Einschlag, sich selbst bezeichnet er stets als "den Fremden". Historiker de Madariaga und Nazi-Jäger Simon Wiesenthal entwickelten daraus die These, daß Kolumbus möglicherweise jüdischer Abstammung war - in Zeiten der Inquisition ein lebensgefährlicher Makel: Genau an dem Tag, an dem Kolumbus die Leinen löste, mußten alle nicht zum Christentum übergetretenen Juden Spanien verlassen.

Der Streit um den großen Mann mit den kleinen Schiffen beschäftigt Historiker seit über hundert Jahren. Nach seinem Tod am 20. Mai 1506 - an diesem Sonnabend vor 500 Jahren - im nordspanischen Valladolid wird Kolumbus in Sevilla bestattet. Sohn Diego läßt ihn 1542 nach Santo Domingo überführen. Als die Insel 1795 französisch wird, betten spanische Hände die Gebeine nach Havanna um - ob es wirklich die des großen Entdeckers sind, bleibt umstritten. Nach Kubas Unabhängigkeit 1898 reisen die echten oder falschen Knochen nach Sevilla. Zehnmal wurde das Grab dort schon geöffnet, doch erst die moderne Medizin kann die Fragen um den Mann beantworten, der seiner Mit- und Nachwelt selbst ein Rätsel bleiben wollte.