Madrid: Don Justo Gallego Martinez ist 83 Jahre alt. Seit 43 Jahren gibt er ein “Beispiel an Tatkraft mit Gottes Hilfe“. Als der damalige Trappisten-Mönch 1962 an Tuberkulose erkrankte, schien der Tod zu kommen. Aber seine Hoffnung starb nicht. Und er wurde wieder gesund. Da wollte er ein großes Zeugnis abgeben . . .

Madrid. Großes entsteht aus einem Funken Hoffnung. Don Justo Gallego Martinez (83) stochert in der Glut des Feuers vor sich. Ein kleines Feuer aus Resten von Bauholz. Der Rauch steigt vorbei an seinem faltigen, hageren Gesicht, breitet sich in Schwaden aus, kriecht langsam weiter, die Wände hinauf, durchstoßen von einfallenden Sonnenstrahlen, bis ins 30 Meter hohe Dach. Weihrauch einer heiligen Baustelle. Er weht durch das noch rohe und unfertige Schiff der Kathedrale der Jungfrau von Pilar in Mejorada del Campo vor den Toren Madrids. Don Justos Kathedrale. Seit mehr als 43 Jahren. Als er begann, sie zu bauen. Allein.

Jeder Tag, außer Sonntag, ist für Don Justo ein Arbeitstag. Seit 1962 ist das so. Von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends. Die anderen Stunden des Tages bewohnt er eine kleine Kammer im Haus seiner Schwester. Der alte Mann ist streng zu sich. Ohne Disziplin könnte er seine Berufung nicht erfüllen. "Es ist mein christliches Testament und Vermächtnis an alle Menschen", sagt er mit leicht zittriger Stimme. "Ein Gelübde für die Welt." Er legte es 1962 ab. Acht Jahre hatte er bis dahin als Trappisten-Mönch gelebt. Dann schien der Tod zu kommen. Tuberkulose. Niemand half, auch nicht die Brüder seines Klosters. Nur ein Funken Hoffnung blieb. Und brachte das Leben zurück. "Da wollte ich ein großes Zeugnis geben. Ein Beispiel der Tatkraft mit Gottes Hilfe." Eine Kirche sollte es sein. Die Gotteshäuser hatten ihn schon als Kind fasziniert, in ihren Bann geschlagen, als die Mutter ihn in seinen jungen Jahren dorthin mitgenommen hatte. "Ich habe das Grundstück für den Bau von meiner Mutter geerbt, hatte ein paar Steine und begann mit alldem hier", sagt der Mann, den alle nur " Don Justo", auf deutsch den "gerechten, ehrbaren Herrn" nennen. Seine kleinen Augen in den tiefen Höhlen betrachten dabei das Erschaffene.

Der Bau ist 55 Meter lang, 25 Meter breit, und die Türme sollen 50 Meter hoch werden. Hinzu kommt ein Garten, kleine Sakristeien und Kreuzgänge und eine Krypta. Das Material dafür, Steine, Glas, Holz, Stahl, Zement sind allesamt Spenden. Oder einfach irgendwelche Reste, auf verlassenen Baustellen gefunden, von ihm zu einem Sakralbau zusammengefügt. Ein Bau, wie Don Justo sagt, "im romanischen Stil". Auch wenn er sich nie auf eine bestimmte Bauweise spezialisiert hat. Denn Architektur hat er nie studiert. Alles, was er weiß, kommt aus seiner eigenen Beobachtung an anderen Kirchen oder aus ein paar Büchern, die er gelesen hat. Bei schwierigen Arbeiten wie dem eisernen Kuppelgerüst oder bei der Berechnung der Statik der tragenden Säulen und Wände haben ihm Bauunternehmer oder Architekten aus Madrid und Umgebung geholfen. Die kamen aber erst spät. Nachdem Don Justo das Fundament für die Kirche allein ausgehoben und mit den Grundmauern schon begonnen hatte.

In den ersten Jahren seiner Mission hätten sie sich noch über ihn lustig gemacht, sagt Don Justo. Keiner sei auf die Idee gekommen, ihm zu helfen. Ein "Lunatico", ein Verrückter vom anderen Stern sei er für alle gewesen. Entrückt und anders erscheint er den Menschen, die heute als Pilger zu ihm kommen, auch jetzt noch. Und sie lachen immer noch. Weil sie nicht wissen, was sie sonst Passendes tun sollen. Eine Art Übersprungshandlung. Wegen des unerwarteten Eindrucks der besonderen Atmosphäre des Ortes. Obwohl Baustelle, verströmt die rohe Kathedrale der "Nuestra Santa Senora del Pilar" in ihrem Inneren bereits sakralen Geist. Ruhig, andächtig, erhaben, groß. In ihrer Mitte thront der Entrückte. Auf einem alten Plastikeimer. Im Staub, zwischen Gerüsten und Bauschutt. Bekleidet in seinem Ornat des bauenden Asketen. Ein mit Farbklecksen besprenkeltes Hemd, darüber ein blauer Arbeitsmantel, roter zerfusselter Schal, eine zerknitterte rote Kappe. Die Besucher verneigen sich, flüstern "felicidades", alles Gute. Sich über den "Don", den Herrn, lustig zu machen, ihn zu verlachen wäre reine Blasphemie. Sie freuen sich über ein Lächeln von ihm, wollen ihn anfassen. Mütter mit ihren Töchtern machen artig einen Knicks, küssen seine Hände. Frau und Kinder hat Don Justo selbst nicht. Er lebt für seine Berufung. "Das hier ist meine Frau, meine Familie, mein Leben", sagt er. Sein Leben, seine Liebe, seine Kraft, sein Wille: Stein und Stahl geworden in Gestalt einer Kirche, seiner Kirche.

Eben darum ist er streng zu sich und zu anderen. Alles muß präzise sein und jeder den Anweisungen Don Justos folgen. Verletzt jemand den Bau, geht etwas kaputt, ist er verletzt. Die Helfer, momentan vier Männer im Alter zwischen 22 und 65 Jahren, nehmen den Generalston des Baumeisters gelassen. Sie sind freiwillig hier, um bei einer großen Aufgabe mitzuhelfen, wie sie sagen. Fernando (55) schon seit zehn Jahren, Antonio (23) seit zwei. Mit der Zeit und der Arbeit sind sie eine Familie geworden, verbunden durch das gemeinsame Werk und die Autorität des alten Mannes mit dem roten Schal. Wenn ihm etwas nicht schnell genug geht oder in seinen Augen falsch läuft, greift er ein. Wuchtet Steine oder schwere Eimer von einer Ecke in die andere oder zieht Holzplatten am Flaschenzug in die Höhe, zur Kuppel. Kräne oder moderne Baumaschinen gibt es nicht. Don Justo lehnt sie ab. Alles muß im Sinne des Wortes eigenhändig, höchstens mit Hilfe von Flaschenzügen bewegt und gebaut werden. Damit der "ehrliche Charakter des Werkes" von Anfang bis Ende des Baus gesichert ist, sagt Don Justo. Ehrlich und anstrengend für den jahrzehntelang strapazierten Körper.

Manchmal verzieht er das Gesicht, wenn die Arbeit wieder mal mehr Mühe macht als gedacht. "Aber das ist eben so. Ich muß arbeiten an jedem Tag, der mir bleibt", sagt Don Justo. Helden haben Schmerzen, aber sie lassen sich nicht von ihnen aufhalten. "Ich denke nicht an mich." Vorbilder, Ikonen machen erst die unmenschliche Selbstverleugnung groß und verehrungswürdig. Selbst wenn der Held ein kleiner, gebrechlicher, gezeichneter ist, schauen die Pilger zu ihm auf. An normalen Tagen zwischen 50 und 100, an manchen Wochenenden zehnmal mehr. Und der Übermenschliche genießt das. Posiert für Fotos, schüttelt Hände, erklärt ausschweifend, wie er was gebaut hat, macht Witze. Nach mehr als 40 Jahren Arbeit macht das Repräsentieren und Redenhalten mindestens genausoviel Spaß wie das Aufschichten von Mauern oder Einsetzen von Kirchenfenstern.

Wie lange es noch dauern wird, die Kathedrale fertigzustellen, weiß Don Justo Gallego selber nicht. Er hat die Kirche der Diözese von Alcala de Henares für die Zeit nach seinem Tod vermacht. Die Arbeit werden dann wohl Fernando, Antonio und andere Helfer fortsetzen. "Vielleicht kommen auch wieder andere und machen weiter. Doch sie wird fertig. Mit mir und nach mir", sagt Don Justo. Das sei das Vermächtnis, das Beispiel, das er geben wolle. Daß seine Idee auch nach ihm weiterbesteht und Kraft entfaltet, andere ansteckt wie der Funken das Feuer.

Solange Justo an seinem Werk baut, so lange werden weiter die Menschen zu ihm pilgern. Er baut, delegiert und empfängt und spricht, wie jeden Tag. Sein Wille und Glaube sei das Fundament, auf dem sein Lebenswerk, die Kathedrale, gründet, sagt er. Und das Fundament für seinen ganz persönlichen Ruhm. Das sagt er aber nicht. Später einmal wird er wohl in diesem Fundament, der Krypta, an der er gerade baut, liegen.

Und weiter werden Pilger kommen, lachen, staunen. Um bei Don Justo nach einem Funken Hoffnung für sich zu suchen.