US-Marines: Immer mehr Soldatinnen melden sich zur Eliteeinheit - das Abendblatt begleitete ihre Grundausbildung. Sie müssen sich genauso schinden wie die Männer. Und im Schießen sind sie sogar besser . . .

Parris Island. Eigentlich könnte Monelle Beale in diesen Spätsommertagen mit Freunden am Pool ihres Hauses im amerikanischen Mittelwesten entspannen. Die 23jährige aus Ogallala (Nebraska) verdient, seit sie mit der Schule fertig ist, 200 000 Dollar im Jahr als Fotomodell, in ihrer Garage stehen ein Geländewagen und ein Sportcabrio, "Ein sehr angenehmes, sorgenfreies Leben", wie sie selbst sagt. Eigentlich. Statt dessen aber hängt die hochgewachsene Blondine, die bisher aus hochglänzenden Modemagazinen lächelte, jetzt mit schmerzverzerrtem Gesicht an einer Reckstange und läßt sich von einer Frau in Uniform anbrüllen: "Verdammt, Beale, strengen Sie sich an." Monelle Beale hat nämlich beschlossen, ihre komfortable Welt einzutauschen gegen ein Leben in Parris Island, dem gefürchteten Ausbildungslager für Marines, der Elitetruppe der amerikanischen Streitkräfte.

Warum sie das tat? Die junge Frau, die statt ihrer Kontaktlinsen jetzt eine Hornbrille tragen muß, antwortet wie einstudiert: "Das Leben und mein Land haben es bisher sehr gut mit mir gemeint, und ich glaube, es ist an der Zeit, meinem Land etwas zurückzugeben."

Beale ist sich darüber im klaren, daß sie in drei Monaten, nach der Grundausbildung, nach Irak geschickt und ihre Lebenserwartung dadurch drastisch verkürzt werden könnte. Bisher verloren dort mehr als 550 Marines ihr Leben. "Dieser Rekrut hat keine Angst zu sterben, er hofft nur, daß es möglichst schnell und schmerzfrei geht", sagt Beale im Stakkato.

Sie ist keineswegs eine Ausnahme. 1500 bis 1800 Amerikanerinnen (Tendenz steigend) aus den verschiedensten Sozial- und Bevölkerungsschichten kommen Jahr für Jahr ins Boot Camp (Ausbildungslager) auf die sumpfige, von Moskitos verseuchte Insel Parris Island im Süden South Carolinas, um eine der "The few, the proud" (Die Wenigen, die Stolzen), so das Motto der US-Marines, zu werden. Die Selektion ist brutal. Nur etwa jeder zweihundertste Bewerber wird akzeptiert. Erfolgreicher Abschluß der Höheren Schule ist genauso Voraussetzung wie körperliche und mentale Belastbarkeit.

Von dem Moment an, in dem die Rekruten mitten in der Nacht per Bus nach Parris Island gekarrt und dort ausgeladen werden, beginnt das, was sie hier stolz "The Making of a Marine" (Die Erschaffung eines Marines) nennen. "Jeder auf die gelben Fußabdrücke am Boden stellen", "da rein, persönliche Sachen abgeben", "sofort zum Arzt", "ab zum Friseur" - die Tirade, die über die übernächtigten und verschreckten jungen Rekrutinnen hereinbricht, scheint nicht enden zu wollen. Dem ersten Check folgen drei Stunden Schlaf und dann zwölf Wochen Grundausbildung, die aus normalen Menschen die gefürchteten und in den USA höchst geachteten Elite-Soldaten formen sollen. Es ist in den ersten Tagen eine Mischung aus härtestem körperlichen Training und mentalem Drill, die die jungen Frauen unbedingten Gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten lehrt. Was für Außenstehende wie Schikane und Psychoterror aussieht, nennen sie hier die "forming phase", die Zeit, in der die Mädchen von Privatpersonen zu Soldaten werden.

Schon im Morgengrauen sind die rhythmischen Gesänge der jungen Frauen zu hören, wenn sie von ihren DIs, den Ausbildungsoffizieren, zum ersten Drei-Kilometer-Lauf des Tages angetrieben werden. Ohne Pause folgt ein einstündiger Hindernisparcour, bei dem sich die Rekrutinnen über hohe Holzgebilde mit so schönen Namen wie "Himmelsleiter", "Webrahmen" oder "Wolkenkratzer" quälen müssen. Krysta Blank kämpft mit den Tränen, als ihr DI sie anschreit, weil sie beim Versuch, auf einem Seil über einen künstlichen Teich zu gelangen, aus vier Meter Höhe ins Wasser gefallen ist. Die 18jährige aus Twin Falls (Idaho) ist hier, weil sie ihren Großvater verehrt, der einst bei den Marines war. "Dieser Rekrut findet die Ausbildung sehr hart und hat großes Heimweh, aber dieser Rekrut wird nicht aufgeben und bis zum Ende durchhalten", erklärt Blank, die wie wenige andere ausgesucht wurde, dem Abendblatt Fragen zu beantworten. Sie tut das in der Art und Weise, wie Soldaten hier über sich zu sprechen haben - in der dritten Person. Sie dürfen dabei keinem Vorgesetzten in die Augen schauen, sondern müssen den Blick zum Boden senken. Und sie müssen, wie sie angesprochen werden, auch antworten: im Brüllton.

Rekrutin Krysta Blank beißt sich durch, schafft endlich die Überquerung des Teiches und darf ins Glied ihres Zuges zurück. Jedoch nicht, ohne sich vorher ins Gesicht schreien zu lassen: "Das war sehr mittelmäßig, Blank!"

Abgesehen von der etwas geringeren Höhe einiger Hindernisse gibt es keinen Unterschied in der Ausbildung zwischen Männern und Frauen. "Wir brauchen uns hinter den männlichen Marines nicht zu verstecken", meint Tammy Martin selbstbewußt. Die 26jährige weiß, wovon sie spricht. Im Gegensatz zu den meisten Mädchen, die sie ausbildet, hat sie nicht nur für vier Jahre unterschrieben, sondern will ihr gesamtes Arbeitsleben als aktiver Marine verbringen. Die Frau im Range eines Oberstleutnants trägt seit neun Jahren die Uniform der Marines und hat in dieser Zeit oft genug gesehen, daß weibliche Marines bei Übungen und Prüfungen besser abgeschnitten haben als ihre männlichen Kollegen.

Zum Beispiel auf dem Schießstand, wo Ziele in bis zu 450 Meter Entfernung getroffen werden müssen. Korporal Brian Kester: "Fast alle Männer, die zu uns kommen, haben schon Erfahrung mit Waffen im Gegensatz zu Frauen, und doch haben sie schlechtere Ergebnisse." So bestanden bisher 99,49 Prozent aller weiblichen Marines-Bewerber die Schießprüfung, aber nur 96,29 Prozent der Männer. Wer am Schießstand versagt, muß seine Sachen vorzeitig packen und ins Zivilleben zurück.

Im zweiten Abschnitt ihrer Ausbildung springen die Rekrutinnen mit 20 Kilogramm Gepäck und in voller Uniform vom Fünf-Meter-Brett in ein Wasserbecken und lernen, wie man überlebt, wenn man aus dem Hubschrauber ins Wasser abgeworfen wird. Die Frauen werden in eine Kammer mit Reizgas geschickt und müssen dort mehrere Minuten ohne Gasmasken aushalten, bevor sie diese wieder überstülpen dürfen. Sie stürzen sich an Seilen von 30 Meter hohen Türmen, um notfalls für Einsätze im gebirgigen Gelände oder im Häuserkampf gerüstet zu sein. Die Rekrutinnen bohren mit Wucht und unter wildem Geschrei Bajonette in Gummipuppen, die sich ihnen in den Weg stellen.

All diese Schinderei gipfelt in der 11. Woche im sogenannten "Crucible", dem brutalsten Härtetest, den die US-Streitkräfte zu bieten haben. "Crucible" ist eine 54stündige Gewaltübung, die mit einem zehn Kilometer langen Nachtmarsch durch unwegsames Gelände in der Früh um 2 Uhr beginnt. Insgesamt müssen die Frauen während des "Crucible" 68 Kilometer zurücklegen, sich durch dichten Urwald, Sumpf und Steppe kämpfen. Dabei sind 29 Team-Aufgaben zu erfüllen, die benotet werden.

So müssen die Rekrutinnen bei Nacht 25 Kilogramm schwere Munitionskisten über hohe Hindernisse und schwankende Seilbrücken transportieren und von Krokodilen bevölkerte Flüsse in voller Uniform und Gepäck durchqueren. Auf einer rund 300 Meter langen Strecke im offenen Gelände werden sie "unter Beschuß" genommen: Aus riesigen Lautsprechern dröhnt ohrenbetäubendes Maschinengewehr- und Granatfeuer. Die Mädchen robben mit ihrem M16-Gewehr im Anschlag durch den Schlamm, unter Stacheldrahtzäunen hindurch und über zweieinhalb Meter hohe Holzwände.

"Marte, Sie sind tot!" brüllt eine Ausbilderin. Das Latinomädchen sackt zusammen und bleibt bewegungslos im Dreck liegen. Kameradinnen ihres Zuges nehmen ihr die Waffe ab, fesseln ihre Hände und schleppen die "Tote" mit sich, während das Maschinengewehrfeuer wieder aufflammt. "Never leave a man behind", lasse niemals einen Mann (bzw. eine Frau) zurück, heißt eine der Grundregeln der Marines.

Als die Frauen im Morgengrauen des dritten Tages in die Militärbasis zurückmarschieren, sind sie am Rande der Erschöpfung. Während der letzten 54 Stunden durften sie nur insgesamt acht Stunden schlafen und nur drei Mahlzeiten zu sich nehmen. Fast alle haben schmerzende Blasen an Füßen und Händen. Einige humpeln auf Krücken. Und doch müssen alle noch kraftvoll singen: "Than they send me to a war, far away to a foreign shore" (Dann schicken sie mich in einen Krieg, weit entfernt an einer fremden Küste).

Nach der ersten Dusche seit fast drei Tagen wartet auf die Rekrutinnen das sogenannte "Krieger-Frühstück". Das ist das erste und einzige Mal während der gesamten Ausbildungszeit, daß sie sich nach Herzenslust sattessen können. In der Cafeteria warten von Omelettes, über Steaks und Pancakes bis hin zu Eiskreme und fetten Schokotorten all die Köstlichkeiten, wovon die zukünftigen Marines während des "Crucible" geträumt haben. Auch Vanessa Marte, die tags zuvor noch "tot" im Schlamm gelegen hat, ist wieder quicklebendig. Noch etwas Tarnfarbe hinter den Ohren, schaufelt sie Eis, Truthahn, Steak und Torte in sich hinein. "Dieser Rekrut ist sehr müde, aber auch sehr glücklich", sagt die zierliche Frau, die zu den Marines gegangen ist, um ihrer "harten und lebensgefährlichen Nachbarschaft in Boston zu entfliehen". Die 18jährige, deren Eltern aus der Dominikanischen Republik in die USA kamen, hat viele ihrer Freunde sterben sehen und wollte selbst nicht in irgendeiner der Banden, die ihr Leben gefährdeten, landen. "Dieser Rekrut hat mit den Marines hier eine neue Familie gefunden", meint sie mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht.

Während Marte und ihre Kameradinnen nach dem Krieger-Frühstück zurück auf den Exerzierplatz müssen, um Marschformationen zu vertiefen, sind zwei Züge weiblicher Rekruten gerade auf dem Weg zum großen Paradefeld. Für sie ist der letzte Tag der Grundausbildung gekommen. In einer militärisch-patriotischen Zeremonie bekommen sie im Beisein ihrer Familien und Freunde von ihren Vorgesetzten die begehrte Marine-Nadel mit Weltkugel, Anker und Adler an die Mütze geheftet. Es ist der für alle sichtbare Beweis, daß sie nun endgültig zu "The Few, the Proud" gehören. Die Erfolgszahlen sind beachtlich. Insgesamt verlassen 94,75 Prozent aller weiblichen Rekruten Parris Island als Marines.

Glücklich umarmen Jeremy Black und seine Frau Mia ihre Tochter Julie nach der Abschlußfeier und stellen sich auf zum obligatorischen Foto. "Ich war noch nie in meinem Leben so stolz auf Julie", schwärmt Vater Black, ein Vietnamkriegs-Veteran. Auf die Frage an die Eltern, ob sie nicht Angst haben, daß ihr Kind schon bald nach Irak entsandt werden könnte, antwortet Black: "Wir beten dann natürlich, daß sie heil zurückkehrt. Aber wir sind uns auch im klaren darüber, daß Frieden und Freiheit einen hohen Preis haben können. Manchmal sogar den deines Kindes."