Autogramme: Mit 8000 Stück zählt Norbert aus Hamburg zu den eifrigsten deutschen Sammlern. Dafür stehen er oder sein Freund Gunter schon mal zwölf Stunden für einen Filmstar an.

Hamburg. Der letzte Mensch, dem Norbert Bahn vor dem Einschlafen in die Augen schaut, ist Arnold Schwarzenegger. Arnie, sagt Norbert. Wie jeden Abend, wenn der Mond etwas heller als sonst durch Norberts Fenster scheint, blickt Arnie ein bißchen erschrocken zurück. Und über seine Schulter lugt Norbert selbst, eine jüngere Ausgabe seiner selbst, mit schwarzem Bart anstatt, wie jetzt, mit kurzem grauen.

Sie schauen auf den Norbert von heute, der auf der anderen Zimmerseite allein in seinem schmalen Bett liegt, seit er nicht mehr mit seiner Frau zusammen ist. Seit er sein Schlafzimmer statt dessen mit Arnie teilt. Und mit Heidi Kabel. Und mit Helmut Kohl. Und Freddy Quinn. Freddy, sagt Norbert. Und Roger Moore. Und Schlagersängerin Michelle. Und Gerhard Schröder. Der Schröder, sagt Norbert. Aber der kommt runter, sagt Norbert, sobald er wieder einen freien Rahmen braucht. "Der Schröder hat mich zu sehr enttäuscht."

Film-Premiere in Hamburg. Pflichttermin für Norbert. Die französische Schauspielerin Audrey Tautou, zierlich, süß, schwarzgelockt, posiert auf dem roten Cinemaxx-Teppich für die Presse. Es hagelt. Hamburgs Autogrammsammler, die jeden, der sie Autogramm jäger nennt, umgehend korrigieren, drängen sich an der Kino-Drehtür. Aufgereiht und aufgeregt hinter der Absperrkordel. Norbert ist einer von ihnen. "Am Hotel hat sie geschrieben", sagt er, und einige nicken. Obwohl keiner weiß, was das eigentlich heißt. Hat sie damit ihre Pflicht erfüllt? Hat sie genug? Oder ist sie noch einmal bereit, ihren Namen in die vielen Poesiealben zu malen, die man ihr entgegenstreckt? Auf die weißen Zettel? Auf ihr eigenes, oft kopiertes Filmgesicht?

"Manchmal ist es ganz schön stressig", findet Gunter Drewes, der wie sein Freund Norbert zu einer kleinen Clique eingeschworener Hamburger Sammler gehört. Sie treffen sich am Rothenbaum, wo "Kerner" aufgezeichnet wird, sie verabreden sich beim "Bild-Dom-Treff", vor den großen Hotels, am Flughafen, am Rathaus, bei jeder Premiere. Gunter (46), Junggeselle, tagsüber beschäftigt bei der IG Metall, kommt in seiner Freizeit. Norbert (46), geschieden, gerade ohne festen Job, kommt eigentlich immer. Film oder Theater oder Sport oder Politik, egal, Hauptsache, die Berühmtheiten kommen auch. Und schreiben. Und lächeln. Vielleicht, wenn es gut läuft, für ein gemeinsames Foto. "Mir geht es nicht nur um die Unterschrift", sagt Gunter, "viel wichtiger ist die persönliche Begegnung." Wenn die Stunden des Wartens in jenem Moment gipfeln, in dem der Stift endlich gegriffen wird. In dem zwei Lebenswege sich berühren. Ein flüchtiger Glanz. "Die Freude", sagt Gunter, "kommt eigentlich erst hinterher."

Ungeschlagene Favoritin in der Sammlung des gläubigen Christen ist Mutter Teresa. "Sie getroffen zu haben, das war schon etwas ganz Besonderes." Wie auch die Begegnungen mit dem Dalai Lama, mit Kardinal Höpfner und, natürlich, diversen Weltlichen. Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel zum Beispiel, den Gunter duzt, weil das in der Gewerkschaft so üblich ist. Der hat ihm eine ganz spezielle Widmung verfaßt: "Gunter, du und ich, wir sind die zentralen Persönlichkeiten der Gewerkschaft." Zentral deshalb, weil Gunter bei der IG Metall doch in der Telefonzentrale sitzt.

Das heißt, wenn nicht gerade ein roter Teppich ansteht. Audrey Tautou, der französische Filmstar, auf den sie im Cinemaxx warten, gibt Interviews. Sie friert. Sie lächelt. Die Sammler hoffen. Es hagelt noch immer, ab und zu fegt eine hinterhältige Böe vorbei. Klitschnaß steht das Sicherheitspersonal vor der Kordel und läßt nur Gäste mit Einladung auf den durchweichten Stoff.

Um Audrey Tautous hohe Hacken haben sich kleine Pfützen gebildet. Die Autogrammsammler versuchen erst gar nicht, auf die verbotene Seite der Absperrung zu gelangen. "Ja", nickt einer der Türsteher und zieht seinen kräftigen Nacken fröstelnd zwischen die Schultern, "die verhalten sich eigentlich immer korrekt. Die Presse-Fotografen rennen alles über den Haufen, die Sammler stehen anständig in einer Reihe."

Gunter, der wegen seiner markanten Augen und den vollen Lippen manchmal mit dem Politiker Günter Verheugen verwechselt wird, was er als "ein nettes Kompliment für den Politiker, für mich weniger" empfindet, ist mit 13 Jahren mal von Uschi Glas aus einem Hotelzimmer geworfen worden. Er hatte ihr vom Taschengeld einen Blumenstrauß gekauft, sie schrie bloß: "Raus hier!" "Inzwischen", sagt Gunter und lächelt gütig durch die Brillengläser, "hat sie sich längst entschuldigt."

Solche Geschichten passieren. "Diejenigen, die im Fernsehen die freundlichsten sind", hat Norbert herausgefunden, "sind oft die schwierigsten im Umgang." Und umgekehrt. "Klaus Kinski, der war so was von lieb. Der freundlichste Mensch, den ich je kennengelernt hab." Das war am 26. Oktober 1986 nach der Aufzeichnung der NDR-Talkshow. Solche Daten kennt Norbert auswendig, da muß er gar nicht nachgucken. So wie den 26. September 1981. Damals, zur Aufzeichnung der 1000. "Schaubude" auf dem Heiligengeistfeld, ist er vom Gelegenheitssammler zum ernsthaften Archivar geworden: "Da habe ich die anderen Sammler kennengelernt." Seither lungert man gemeinsam an Bühneneingängen, "ein fester Kern von sieben, acht Leuten", die Ausrüstung (Buch, Kamera, Zettel, Stift) immer dabei. Bei jedem Wetter.

"Vorm Atlantic-Hotel ist es besonders zugig", weiß Norbert. Für Michael Jackson stand er sich dort einmal vier Tage hintereinander die Beine in den Bauch. Nur zum Schlafen ist er nach Hause. Und wie Michael Jackson dann mit Polizei-Eskorte über die Lombardsbrücke angefahren kam, sagt Norbert, "das war schon ein ganz besonderes Feeling". In seiner Sammlung allerdings fehlt der Popstar bis heute.

Dafür besitzt Norbert "einen Freddy Quinn von 1973". Mit persönlicher Widmung. "Heutzutage kann man so was von Freddy gar nicht mehr erwarten. Der ist verbittert geworden." Im selben Album: "Meine erste Inge Meysel." Da hat es ihm damals vor Aufregung die Sprache verschlagen. Als sie seinen Namen wissen wollte, hat Norbert nur genickt.

Anfangs, als er in seiner Barmbeker Wohnung noch nicht eine komplette Wand für die in farbigen Stoff gebundenen Alben freigeräumt hatte, ließ er sich seine Unterschriften in Schulhefte geben. Solche, in denen die Blätter mit Bindfäden zusammengehalten wurden. Heute sammelt er auf losen Zetteln, die er später fein säuberlich in Alben klebt und handschriftlich katalogisiert. An Sylvester wird gezählt. "Das ist so eine Marotte", sagt Norbert. 122 volle Bücher, 8000 Unterschriften waren es beim letzten Mal, doppelte nicht mitgerechnet.

Ob Audrey Tautou in Buch Nummer 123 aufgenommen wird, bleibt fraglich. Kurz vor dem Kino-Eingang dreht sie ab und betritt das Gebäude durch den Hintereingang. Bereits aufgeschlagene Bücher senken sich. "Scheiße", sagt einer. "Ja, tschüs", antwortet ein anderer und stopft Stift und Kamera in seinen Rucksack. Norbert bleibt. Er hatte schon morgens vergeblich am "Vier Jahreszeiten" gewartet. Seit halb zehn. Er kann jetzt noch nicht gehen.

Es ist schwerer geworden seit Ebay, erzählt Gunter. "Ebay versaut die Promis." Die sind genervt, wenn ihre Unterschriften im Internet gehandelt werden. Für einen Nelson Mandela kann man inzwischen gut 250 Euro verlangen. Und kaum ist einer tot, schießen die Preise nach oben. "Max Schmeling würde jetzt locker für'n Hunni oder mehr gehen", glaubt Gunter. Einen Schmeling hat er natürlich. Gibt er aber nicht her. "Wir machen da nicht mit. Für uns ist das was Persönliches." Wenn Gunter was verkauft, dann nur auf dem Kirchenbasar der St. Gertrud-Gemeinde, für die er sich engagiert. Und nur, nachdem er vom Künstler das Okay hat.

Gute Beziehungen sind wichtig. Hugh Grant, Wilhelm Wieben, Uschi Glas, "die wissen alle, wer ich bin", sagt Gunter stolz, "die haben alle schon für den Basar gespendet." Seine schönste Begegnung aber ist - für den Sammler - eigentlich eine des Scheiterns. Frère Roger, Gründer der Bruderschaft von Taize, verweigerte ihm vor ein paar Jahren seine Unterschrift. "Ich schreibe keine Autogramme", sagte der Kirchenmann und bescherte dem Fan dennoch ein unvergeßliches Erlebnis: Er segnete ihn.

Abends, um Viertel nach neun, hat Norbert Glück. "Erleichterung", sagt er, "ein Gott-sei-Dank-Gefühl." Fast zwölf Stunden hat er gewartet, unermüdlich, daß Audrey Tautou, der französische Filmstar, seinen "Sharpie" in die schmale Hand nimmt und mit blauer Farbe unterschreibt. Einfach aus dem Vordereingang des Kinos hinausspaziert, winkt und nach dem Stift greift. Wasserfest, schnell trocknend. Dann geht Norbert nach Hause. Zu Arnie und Heidi Kabel und Helmut Kohl. Und zu seinen Sittichen Lola und Blaubart, neben deren Käfig ein gerahmter Text die Wand ziert: "Rezept für ein glückliches Leben."