Der Richter sprach von einem “kräftigen Stoß“ gegen das Opfer und rügte die “selbstgerechte Art“ des Angeklagten.

München. Am Ende ließ das Gericht Milde walten: Eine Große Strafkammer am Landgericht München I verurteilte gestern den Münchner U-Bahn-Schubser Ludwig D. wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis. Der 70 Jahre alte Rentner war damit nur knapp um eine weitaus strengere Bestrafung wegen versuchten Mordes herumgekommen. Im vergangenen Juni hatte er ein damals 13 Jahre altes Mädchen gegen eine einfahrende U-Bahn gestoßen. Die Schülerin hatte großes Glück. Sie kam mit nur leichten Verletzungen davon.

Wie bei anderen Gewalttaten in der Münchner U-Bahn leisteten auch in diesem Fall Überwachungskameras wertvolle Hinweise zur Aufklärung des Falls. So widerlegten die Bilder Erklärungsversuche des Rentners, er habe sich durch eine Horde von Schülern bedrängt gefühlt. Vielmehr hatte die Kamera des Münchner U-Bahnhofs "Petuelring" gezeigt, dass der Rentner der Schülerin Dimitra T. grundlos einen Schlag in den Rücken versetzt hatte. Das Mädchen stürzte daraufhin zwischen zwei Waggons der einfahrenden U-Bahn. Durch den Aufprall an der Ecke des nachfolgenden Wagens wurde sie wieder aus dem Zwischenraum und auf den Bahnsteig geschleudert. Sie erlitt Prellungen und Hautabschürfungen.

Nur eine Zehntelsekunde habe die Schülerin vor dem sicheren Tod unter den Rädern des Zuges bewahrt, hielt der Gerichtsvorsitzender Manfred Götzl dem zerknirscht wirkenden Angeklagten vor. Die Bezeichnung "Schubsen" treffe das Geschehen nicht, es habe sich vielmehr um einen "kräftigen Stoß" gegen ein völlig argloses Opfer gehandelt.

Bei der Suche nach einem Motiv hatten es die Richter nicht leicht. Offenbar habe sich der Rentner durch eine Gruppe von 13- bis 14-jährigen Schülern gestört gefühlt, die sich in dem U-Bahnhof "lebhaft" unterhalten hatten, sich aber keineswegs ungebührlich aufführten, so der Vorsitzende. Der Angeklagte habe in seiner "selbstgerechten Art" aus einer Verärgerung heraus gehandelt. "Selber Schuld", hatte der Angeklagte damals seiner Ehefrau zurückgegeben, als diese ihm Vorhaltungen gemacht hatte. Ohne sich um das Mädchen zu kümmern, war der "U-Bahn-Schubser" weggefahren, hatte noch ein Kaufhaus besucht und war dann nach Hause gegangen.

Der Staatsanwalt hatte wegen versuchten Mordes fünf Jahre Gefängnis gefordert. Der Vorsitzende ließ durchblicken, dass die Sicht der Staatsanwaltschaft durchaus nicht abwegig sei. Wenn jemand gegen eine einfahrende U-Bahn gestoßen werde, stehe immer ein Tötungsdelikt im Raum. Die "zentrale Frage", ob Ludwig D. mit Tötungsvorsatz gehandelt habe, verneinten die Richter aber schließlich. Die heute 14 Jahre alte Dimitra T. hatte selbst um ein mildes Urteil gebeten. Ihre Eltern sähen die Sache nach Angaben ihres Nebenkläger-Anwalts etwas anders.

D. nahm das Urteil gefasst auf. "In meinem ganzen Leben war das das erste Mal, dass ich was angestellt habe", hatte er noch kurz vor der Urteilsbegründung beteuert. Dem Mädchen hat er neben einer schriftlichen Entschuldigung ein Schmerzensgeld von 10 000 Euro zukommen lassen, was das Gericht zu seinen Gunsten wertete. Da Dimitra T. die Entschuldigung angenommen habe, könne man einen Täter-Opfer-Ausgleich annehmen, meinte der Vorsitzende.

Verteidiger Peter Guttmann zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis: "Ich denke, wir werden das Urteil akzeptieren." Ludwig D. sitzt seit Juni vergangenen Jahres in U-Haft, die auf die Strafe angerechnet wird. Bei guter Führung könnte er in gut einem Jahr wieder entlassen werden.