In Saudi-Arabien ließ sich eine 33-Jährige am Steuer filmen und wird seither mit dem Tod bedroht. Doch sie gibt nicht auf und kämpft.

Hamburg. Sie wurde inhaftiert, mit dem Tod bedroht, aus dem Job entlassen und aus der Wohnung geworfen. Das einzige Vergehen von Manal al-Sharif war, dass sie Auto gefahren ist - und darüber auch noch spricht.

In weiten Teilen der Welt gehört eine Frau am Steuer zum selbstverständlichen Straßenbild. Frauen fahren zur Arbeit oder zum Sport, bringen ihre Kinder zur Schule oder zum Klavierunterricht. Nicht so in Saudi-Arabien. Das Öl-Königreich, Hochburg des Wahabismus, einer besonders rigiden Variante des Islam, verbietet Frauen vieles bei Strafe, darunter auch das Autofahren. Vor genau einem Jahr brach die unerschrockene Manal mit der Tradition, fuhr in der Ölstadt Khobar am Persischen Golf, die zusammen mit Dhahran und Dammam eine 2,5-Millionen-Einwohner-Metropole bildet, eine Stunde lang mit dem Wagen durch die Straßen und ließ sich dabei von ihrer Freundin Wajeha al-Howaider mit dem Handy filmen. Al-Howaider ist die wohl berühmteste Frauenrechtlerin Saudi-Arabiens.

Manal al-Sharif stellte den Acht-Minuten-Videoclip auf YouTube und Facebook. Binnen weniger Stunden klickten 600 000 Menschen das Video an, dann schwoll die Rate auf eine Million pro Tag an. "Dies ist eine Freiwilligen-Kampagne, um den Mädels in diesem Land das Autofahren beizubringen", hatte al-Sharif während der Fahrt gesagt. "Wenigstens für Notfälle, Gott behüte. Was soll man denn tun, wenn der Fahrer einen Herzinfarkt erleidet?"

Die mutige Frau wurde von der saudischen Religionspolizei, der gefürchteten Mutawwa, wegen "Aufstachelung zur öffentlichen Unordnung" festgenommen und erst auf internationalen Protest hin wieder freigelassen. Seitdem lebt sie in einer Art Bewährung, muss jederzeit damit rechnen, wieder zu Verhören vorgeladen oder inhaftiert zu werden. Die "New York Times" schrieb, das Regime wolle bei ihr ein Exempel statuieren und eine aufblühende Protestbewegung gleich im Keim ersticken. Saudi-Arabien löschte die Facebook-Seite zunächst und machte den YouTube-Clip unzugänglich.

Seitdem ist viel geschehen, Manal al-Sharif hat eine Lawine losgetreten. Was das für sie persönlich bedeutet, hat sie jetzt einem Reporter der angesehenen Londoner Zeitung "The Independent" sagen können. Vor einigen Monaten steckten offenbar staatliche Quellen den Medien, Manal al-Sharif sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. "Die Idee dahinter war, zu sagen: Seht, Gott hat sie bestraft, Frauen sollten eben nicht Auto fahren", sagt sie. Erst rief sie ihre Familie an, um zu sagen, dass sie lebt, dann verständigte sie ihre fast 100 000 Twitter-Partner.

Tag für Tag erhält sie Todesdrohungen und muss auch um das Leben ihrer Eltern und ihres sechs Jahre alten Sohnes fürchten.

In diesem Monat erhielt sie eine Einladung zum Oslo-Freiheitsforum, um dort eine Rede zu halten und den Vaclav-Havel-Preis für ihr humanitäres Engagement zu erhalten; Manal al-Sharif setzt sich auch für ausgebeutete Gastarbeiterinnen aus Asien ein.

Ihr Arbeitgeber, der staatliche saudische Ölförderkonzern Aramco, der größte der Welt, für den sie seit einem Jahrzehnt als Expertin für Internetsicherheit arbeitete, untersagte die Reise. Manal al-Sharif fuhr trotzdem nach Norwegen, hielt dort eine viel beachtete Rede - und verlor ihren guten Job bei Aramco sowie obendrein ihre Wohnung, die dem Konzern gehört.

Die Computerexpertin mit Universitätsabschluss hatte Autofahren 2009 bei einem Auslandsaufenthalt in Boston gelernt. "Ich konnte ein ganz normales Leben führen", sagt sie. "Ich konnte mir eine Wohnung ansehen und mieten, den Vertrag selber unterzeichnen. Ich konnte ein Bankkonto eröffnen und vor allem Auto fahren. So sollte ein Leben aussehen." Nichts von alledem ist für Frauen in Saudi-Arabien möglich. Sie könnten ohne ihre Männer nicht einmal bei der Polizei Anzeige wegen Brutalität in der Ehe erstatten.

An der Universität von Dschidda wurde ihr Seminar mit 60 Frauen auf einem abgetrennten Campus unterrichtet - von Professoren, die nur über Fernsehschirme zu ihnen sprachen. Manal al-Sharif trug dabei einen schwarzen Niqab, der nur Teile des Gesichts frei ließ, und lange Handschuhe. Als Mädchen war sie selber ultrakonservativ. Sie erinnert sich, dass sie die Pop-Kassetten ihres Bruders verbrannte, weil ihre Mutter sagte, die westliche Musik stamme aus "Satans Flöte".

Sie änderte ihre Ansicht nach den Anschlägen saudischer Fanatiker am 11. September 2001: "Ich sagte mir, keine Religion der Welt kann eine derartige Grausamkeit akzeptieren." Und sie begriff, dass es völlig unmöglich für Frauen in Saudi-Arabien sei, mit den ihnen erteilten Regeln zu leben. "Unmöglich!", sagte die 33-Jährige. "Du gibst dir alle Mühe, nach den Regeln zu leben - und schaffst es doch niemals, 'rein' zu bleiben." Der Kampf von Manal al-Sharif gegen das vermeintlich übermächtige System geht weiter. Das US-Magazin "Time" reihte sie unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt ein. "Je härter die Angriffe, desto besser werde ich", sagt sie. Und fügt hinzu: "Wissen Sie was? Die haben sich mit der falschen Frau angelegt."