Die Scharia erlaubt der Iranerin Ameneh Bahrami, ihrem Attentäter das Augenlicht zu rauben. Doch die Vollstreckung des Urteils wurde verschoben.

Teheran/Berlin. Sie ist fest entschlossen, Vergeltung zu üben - doch die Stunde der Wahrheit ist wieder einmal in weite Ferne gerückt. Die Iranerin Ameneh Bahrami hatte in ihrer Heimat vor Gericht das Recht erstritten, einen jungen Mann zu blenden, der ihr aus verschmähter Liebe bei einem Säureattentat das Augenlicht geraubt hatte. Nach dem Prinzip „Auge um Auge“ erzwang die 30-Jährige in Teheran ein Gerichtsurteil, nach dem sie Rache üben und dem Attentäter mit einer Pipette Säure in die Augen träufeln darf. Das Urteil sollte am Sonnabend in Teheran vollstreckt werden, doch die iranische Justiz hat die Vergeltungsaktion kurzfristig verschoben. Das berichtete die iranische Nachrichtenagentur ISNA.

Bahrami war nach Angaben ihres deutschen Verlages „wütend und traurig“ über die Verschiebung. Die Blendung sei „aus fadenscheinigen Gründen“ abgesagt worden, zitierte der mvg-Verlag in München die Frau in einer Mitteilung. „Angeblich war kein Arzt da. Das stimmte aber nicht. Bei uns stand ein Arzt, der sagte, dass er extra für die Vollstreckung gekommen ist.“ Später habe es geheißen, es sei versehentlich das falsche Krankenhaus gewählt worden. Ameneh Bahrami lebt seit sechs Jahren in Barcelona in Spanien, sie war für die Racheaktion extra nach Teheran gereist.

Ihr Gesicht ist von der Säure zerfressen. Die Haut ist narbig und gespannt. Ihr rechtes Auge ist aus Glas, das linke von einem Hautstück überwachsen. Die Ärzte haben praktisch keine Hoffnung, dass sie jemals wieder sehen kann. Ameneh musste mehr als 20 Operationen an den Augen und am Gesicht über sich ergehen lassen.

„Das Attentat hat mein Leben zerstört“, hatte sie 2009 in einem Interview gesagt. „Ich habe fast alles verloren, mein Gesicht, mein Augenlicht, meine Arbeit.“ Damals, im September 2004, war die Elektrotechnikerin in Teheran auf der Straße von einem Studienkollegen gestoppt worden. Der fünf Jahre jüngere Madschid Mowahedi schüttete ihr Schwefelsäure ins Gesicht, die er in einer Drogerie für umgerechnet drei Euro gekauft hatte. Die Säure verätzte Ameneh das Gesicht, den Hals und die Hände. Die junge Frau hatte zuvor einen Heiratsantrag des Studenten abgewiesen, den dieser über seine Mutter hatte übermitteln lassen. „Ich kannte ihn fast gar nicht“, sagt Ameneh. „Er war kein Freund oder Verlobter. Ich hatte ihn nur in der Universität ein paar Mal gesehen.“

Nach dem Attentat wurde sie in verschiedenen Krankenhäusern behandelt. „Dann sagten mir die Ärzte, dass sie für mich nichts mehr tun konnten, und empfahlen mir, mich in Barcelona behandeln zu lassen“, erinnert sie sich. Dort gelang es den Medizinern, an einem Auge die Sehkraft wiederherzustellen. Aber Ameneh erlitt später eine Infektion – möglicherweise infolge der unhygienischen Verhältnisse in einem Obdachlosenasyl – und erblindete völlig.

Im Iran hatte sie in einem Prozess über mehrere Instanzen erstritten, dass sie den Säureattentäter auf beiden Augen blenden darf. Ursprünglich hatten die Richter ihr nur ein Auge des Täters zugestanden. „Nach dem Scharia-Recht sind zwei Augen einer Frau nur ein Auge eines Mannes wert“, sagt sie. Der Verurteilte, der im Iran im Gefängnis sitzt, werde bei der Vollstreckung keine Schmerzen spüren – anders als sie damals bei dem Attentat. Er wird betäubt sein, wenn ihm die Säuretropfen in die Augen geträufelt werden.

Offen ist, ob sie das selbst ausführen oder - wegen ihrer Blindheit - ein Familienmitglied die Blendung übernehmen soll. "Ich würde es am liebsten selbst tun. Aber meine Mutter und Freunde haben gesagt, dass ich wegen meiner Blindheit dazu nicht in der Lage sein werde", hatte Ameneh vor zwei Jahren gesagt. Nach Angaben des mvg-Verlags in München möchte die Frau es nun selbst tun. In dem Verlag ist die Geschichte Ameneh Bahramis erschienen.

Der Fall und das Urteil des Gerichts im Jahr 2008 hatten weltweit für Aufsehen gesorgt. Auch iranische Stellen hatten versucht, das Opfer umzustimmen und dazu zu bewegen, auf die Vollstreckung zu verzichten.