2009 verlor die Bundesrepublik 40 000 Staatsbürger durch Abwanderung. Eines der beliebtesten Ziele ist der Nachbarstaat Polen.

Wiesbaden. Michael hat die Nase voll von Deutschland. Er fühlt sich hier nicht mehr wohl. Darum sitzt er auf gepackten Koffern, um sein Glück in Chile zu versuchen. Auch wenn das bedeutet, mit weniger Geld auszukommen: Hauptsache, er kann sein "eigenes Ding machen". So schreibt es der 24-Jährige aus der Nähe von Hamburg auf der Internetseite wohin-auswandern.de. Sein "Ding" wäre es, in Südamerika eine Selbstversorger-Kommune zu gründen. Im Gepäck hat Michael 5000 Euro "Notgroschen" für die nächsten ein bis zwei Jahre. Die wird er brauchen, denn einen Job in seiner künftigen Heimat hat der Groß- und Außenhandelskaufmann noch nicht.

Berufliche Gründe spielen eine große Rolle bei der Auswanderung

Michael ist einer von jährlich Zehntausenden Deutschen, die ihrem Land den Rücken kehren. Zwar ist die große Auswanderungswelle leicht abgeklungen, die Bereitschaft, auszuwandern, aber immer noch weit verbreitet. Für 2009 verzeichnete das Statistische Bundesamt 734 000 Fortzüge aus der Bundesrepublik, in 155 000 Fällen waren es Deutsche. Rechnet man die Zuzüge dagegen, verlor Deutschland unterm Strich 40 000 Staatsbürger.

Uta Koch vom Raphaelswerk in Hamburg, das Auswanderungswillige berät, kennt die Argumente, die Deutsche anführen, ihrer Heimat den Rücken kehren: "Berufliche Gründe spielen eine große Rolle. Viele erhoffen sich bessere Chancen auf dem anderen Arbeitsmarkt." Manch einer geht, weil ihm die Steuern zu hoch erscheinen, ein anderer flieht vor der deutschen Bürokratie, den nächsten lockt die Liebe. Viele ließen sich vom Fernsehen inspirieren. "Diese Auswanderungsserien haben den Effekt, dass die Hemmschwelle deutlich niedriger geworden ist. Viele machen sich aber die Risiken nicht bewusst", sagt Koch.

Früher hat man sich schon sehr genau überlegt, ob man auswandert. "In den vergangenen Jahren sind viele unvorbereitet etwa nach Spanien oder in die skandinavischen Länder gegangen - ohne Sprachkenntnisse, dafür mit naiven Vorstellungen", sagt auch Simone Eick, Direktorin des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven.

Polen bietet viele Möglichkeiten zur Firmengründung, speziell im Handwerk

Viele scheitern jedoch im Ausland und kehren zurück. Es gibt Grundregeln für Auswanderungswillige: "Sie sollten so viel Geld haben, dass sie notfalls sechs Monate im Ausland über die Runden kommen, plus Geld für den Rückflug", sagt Koch. "Sie sollten niemals eine Rückkehr ausschließen. Eine Auswanderung sollte niemals die Flucht vor Problemen sein. Es wäre besser, nicht unter Zeitdruck zu gehen und das Land vorher kennenzulernen - nicht nur während eines Urlaubs. Ganz wichtig sind Sprachkenntnisse."

Aber wie kommt es, dass das Hauptzielland der Abwanderer Polen ist? "Es sind Spätaussiedler oder deren Kinder, die zurückgehen. Die Wirtschaft in Polen ist im Moment so stark, dass Nachwuchskräfte gebraucht werden, und die alte Heimat ist ihnen oft näher als Deutschland, wo sie offensichtlich nie richtig heimisch geworden sind", sagt Eick. "Hier ist es für sie schwierig, einen Job zu bekommen, weil sie als Ausländer betrachtet werden. Es gibt auch deutsche Handwerker in Grenzgebieten, denen in Polen gute Jobs winken. Aber da kann man davon ausgehen, dass sie wieder nach Deutschland zurückkehren werden, wenn sich der Markt hier wieder erholt." Zudem seien die Lebenshaltungskosten in Polen geringer als hierzulande. Andrzej Osiak, Polens Generalkonsul in Hamburg, freut sich, dass die Deutschen die Vorteile seiner Heimat schätzen: "Polen bietet gute Möglichkeiten, gerade für Firmengründer. 2009 waren wir in der EU das einzige Land, das wirtschaftliches Wachstum verzeichnen konnte." Deutschland zieht aber auch Menschen an: 721 000 Einwanderer verzeichnete die Statistik, 39 000 Zuzüge mehr als 2008. Vor allem Polen kommen - wohl wegen der Verdienstmöglichkeiten.