Der Hamburger Reeder Erich F. Laeisz war seiner Passion für den Wassersport so verfallen, dass er fast sein Unternehmen ruinierte.

Hamburg. Hinter dem Fenster des herrschaftlichen Hauses liegt die Hamburger Außenalster. Der Mann am Schreibtisch schaut auf das unberührte Blatt Papier, das vor ihm liegt. Anstatt zu Federhalter und Tinte greift er zu einem Bleistift, als hätte er Angst, etwas nicht mehr Änderbares aufzusetzen.

"Meine Frau und Tochter und ich gehen in das Hotel Vier Jahreszeiten", schreibt er. "Das Haus Harvestehuder Weg 27a wird geräumt. Aus Ersparnisgründen wohnt die Erzieherin zusammen mit den Mädchen im Gartenhaus. Eins von den Mädchen verbleibt als Einhüterin tagsüber im Haupthaus, nachts schläft dort der Diener. Der Stall und die Reitbahn sollen an Rittmeister Blakely mietfrei überlassen werden. Dafür erhält er den Stallburschen, der fortan sein Angestellter ist und zahlt fortan elektr. Licht und Heizung. Der Diener kann für die Firma Boten- und andere Dienste tun, wogegen die Firma sein Gehalt von M. 200 trägt. Ich gewähre ihm nur freie Wohnung für ihn und seine Familie, wofür er die Nachtwache im Hause übernimmt. Der Chauffeur ist gekündigt, Beschaffung einer Stellung sehr schwierig. Ich hoffe, daß mein Schwager durch eine Erbschaft in der Lage ist, mir Rückzahlungen in dem Umfang zu machen, daß Veräußerungen von Werten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes bis ultimo 1931 nicht notwendig werden. Verhandlungen wegen Verkaufs der Yacht schweben. Das Motorboot soll evtl. Kapt. Wendler mitgegeben werden."

Als Erich F. Laeisz - Träger eines Namens, auf den Segler und Seeleute weltweit mit Interesse blicken - die Zeilen abschließt, weiß er, dass er sich einschränken müsste. Die Warnungen seines Kompagnons Paul Ganssauge kennt er längst: "Die großen Entnahmen von Herrn L. veranlassten im Jahre 1926 eine Prüfung des Status der Firma", stand in einem von Ganssauge verfassten Brandbrief. Und weiter: "Hierbei ergab sich, dass derartig große Bar-Entziehungen für die Firma untragbar sind."

Wieder hatte E. F. Laeisz viel Geld privat verbraucht. 554 000 Mark waren es in jenem Jahr. Nach dem Kaufkraftindex entspricht das heute 2,2 Millionen Euro.

Es war nicht nur eine Frage des Lebensstils oder des Unterhalts der Villa am Harvestehuder Weg, nicht nur eine Frage des Personals oder von Reisekosten, die die Geldentnahmen von E. F. Laeisz in die Höhe trieb. Es war auch die Frage einer Leidenschaft: Segeln.

Erich F. Laeisz, am Weihnachtstag 1888 in Hamburg geboren, war der letzte männliche Nachkomme der großen Reederdynastie. Als sein älterer Bruder 1918 fiel, hatte er die von seinem Urgroßvater gegründete Reederei übernommen. Erich F. Laeisz besaß Kühnheit und in manchen Dingen Sinn für die Zukunft. Was mit der See zu tun hatte, faszinierte ihn. Er wusste, dass Menschenwerk vor der Macht der Natur nur bestehen konnte, wenn es das Bestmögliche war. Er war Reeder und Segler, einer, den die Leidenschaft für seinen Sport antrieb und der den Sport weiterentwickelte.

Als 16-Jähriger kam er 1904 zum Norddeutschen Regattaverein, von 1926 an war er im Vorstand. "Der Reeder war vermögend und experimentierfreudig genug, sich alle Jahre wieder in und an einer Yacht oder einer neuen Klasse zu versuchen, von der er sich für spätere internationale Einsätze viel versprach", schreibt der Autor Udo Pini 1993. Dieses Bild des Gönners nach außen war die eine Seite. Dass eine dafür notwendige finanzielle Gratwanderung die andere Seite bildete, und dass sie hochriskant war, zeigen die jetzt aufgefundenen persönlichen Unterlagen von Erich Ferdinand Laeisz.

1929 werden für die Jugendsegelei auf der Alster auch die kleinen Klassen unterstützt: 12-Fuß-Dinghies. Dinghi G 29 gehört E. F. Laeisz. Und: Auf der Kieler Innenförde segelt der Reeder sein größeres 14-Fuß-Dinghi "Primula". "Bei 13 auswärtigen Starts" gewinnt er in diesem Jahr "neun 1. und je einen 2. und 3. Preis", listet die Vereinschronik auf. Rund um das Jahr 1930 besitzt und unterhält der Reeder acht Segelboote bis hin zum Lustkreuzer.

Aus den neuen Unterlagen erschließt sich die Liste seiner historisch interessanten A&R-Yachten mit Baubeschreibungen und Messbriefen: 1927 R6 Yacht "Hamburg", Baunummer 2283; 1927 30-Quadratmeter-Schärenkreuzer "Pan", Baunummer 2242; 1928 R6 Yacht "Pan", Baunummer 2386; 1929 R6 Yacht "Pan" (vormals "Dorothea"), Baunummer 2508; die 12er Jolle "Pekari"; die 14er Jolle "Primula"; der 30er Schärenkreuzer "Pasch"; ein 40-Quadratmeter-Schärenkreuzer mit Baunummer 2662; 1931 kommt noch das Starboot "Paka" dazu, von dem in den Unterlagen der Standerschein vorliegt.

In jenen Jahren war es eine Herkules-Aufgabe, eine im Außenhandel tätige Firma wie zum Beispiel eine Reederei über Wasser zu halten. Da war die Hyperinflation von 1923, eine der radikalsten Geldentwertungen, die eine Industrienation je erlebt hat. Vor ihrem Beginn, Anfang 1921, kostete das Porto für einen Inlandsbrief 40 Pfennig. Anfang Oktober 1923 lag es bei zwei Millionen Mark, etwas mehr als einen Monat später, ab 12. November, musste der gleiche Brief mit einer Marke zu zehn Milliarden Mark frankiert werden.

Im März 1930 schreibt Reederei-Teilhaber Paul Ganssauge an den alleinigen überlebenden Vollstrecker des Testaments von Carl und Carl Ferdinand Laeisz: "Sehr geehrter Herr Hansen, ich erlaube mir in nachstehender Angelegenheit ihre Intervention zu erbitten, weil wie ich weiß, besonders auf Ihren Vorschlag seinerzeit Herrn Erich F. Laeisz die Inhaberschaft der Firma F. Laeisz übertragen worden ist." Er schildert ihm, dass es zuvor bereits eine Besprechung zwischen ihm, dem juristischen Beirat der Reederei Dr. Baur und E.F. Laeisz gegeben habe. Er schildert, dass Letzterer sich erneut zu "erheblicher Einschränkung seines Privatverbrauchs" bereit erklärt habe. "Der Erfolg", so Ganssauge in dem Schreiben, "ist leider nicht eingetreten." 1930 hätten die Entnahmen 240 000 Mark betragen, für drei Jahre addiert beliefen sie sich auf mehr als eine Million Mark.

Solche Entnahmen seien "für die Firma nicht tragbar. Wir erwägen ernsthaft die beiden Dampfer ,Poseidon' und ,Planet' zu verkaufen." Um eine "weitere finanzielle Schwächung der Firma" durch Privatentnahmen "zu verhindern", schlägt Ganssauge deren Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vor. Ihr bisheriger Eigentümer E. F. Laeisz und Paul Ganssauge sollen als künftige Vorstände nur noch ein Festgehalt und, falls möglich, die Dividenden aus ihren Aktienanteilen beziehen. Bei den wiederentdeckten Unterlagen ist dieses Dokument das letzte, das sich um die Privatausgaben von Erich F. Laeisz dreht. Der Vorschlag zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft wird jedenfalls nicht umgesetzt.

Eine Recherche in den Archiven des Vier Jahreszeiten ergibt: Laeisz ist nicht mit Frau und Tochter in das Hamburger Hotel umgezogen. Der mit Bleistift aufgesetzte "Sparplan" ist Plan geblieben. Ab 1931 werden die meisten Laeisz-Frachtsegler verkauft. Die Bananenfahrt mit Kühlschiffen entwickelt sich zum Hauptgeschäftsfeld. Laeisz, mit vollen Taschen geboren, konnte nicht auf Sparflamme leben. Oder er wollte es nicht. Er lebt seine Segelleidenschaft mit ungebremster Energie.

Über den Segler und stellvertretenden Vorsitzenden E.F. Laeisz schreibt später der NRV: "Er wagte sich weit vor, als er 1934 in einem Lokal auf Helgoland vor englischen Gästen SA-Rüpel zurechtwies. Seine Wunden der von der SA provozierten Prügelei mussten genäht werden. 1935 wurde Laeisz wieder in eine Tätlichkeit verwickelt." Nach dieser zweiten "Helgoländer Schlacht", wie sie NRV-intern hieß, nahm ihn der Club nach einem erzwungenen "Ehrengericht" aus der "Schusslinie", was bedeutet, dass er sein Amt als Vize-Vorsitzender des Vereins abgeben musste.

Seine Frau Franziska, geborene Ausspitzer und nach Sprachgebrauch der Nazis "Halbjüdin", brachte er rechtzeitig außer Landes nach London. Er ließ sich von ihr scheiden, nach dem Krieg heirateten die beiden wieder. Laeisz hatte seine Haltung in vielfacher Hinsicht unter Beweis gestellt, um dafür von 1946 bis 1949 Erster und danach bis 1953 stellvertretender Vorsitzender des Norddeutschen Regattavereins zu werden. Er starb 1958 in einem Sanatorium am Starnberger See.

Immer noch, zuletzt im vergangenen Juni, segeln Starboote auf der Alster den "Erich-F.-Laeisz-Preis" aus. Die Laeisz-Gruppe ist bis heute ein familiengeführtes Mittelstandsunternehmen. Die Reederei hat rund 1500 Besatzungsmitglieder auf See und 150 Mitarbeiter an Land. Sie bereedert 60 Containerschiffe, Massengutfrachter, Autotransporter, Fähren, Gastanker und Forschungsschiffe.

Der ungekürzte Text ist erschienen in dem Magazin "Yacht Classic". Die 130-seitige Spezialausgabe der Zeitschrift "Yacht" ist für 6,50 Euro im Zeitschriftenhandel erhältlich