Hamburg. Der Golfprofi spricht vor dem Turnier in Winsen über Mentaltrainer, seine neue Liebe Kampfsport und seine Klimaziele.

22 lange Jahre ist Marcel Siem auf Europas Profigolftouren unterwegs. Doch auch nach 478 gespielten Turnieren denkt der 41-Jährige noch lange nicht daran, die Golfschläger in die Ecke zu stellen. Mit vier Siegen auf der DP World Tour (früher European Tour) gehört der Ratinger zu Deutschlands erfolgreichsten Golfspielern. Nach einer sportlich sowie privat schweren Zeit mit dem Verlust der Spielberechtigung für die höchste Turnierserie in Europa und der Krebserkrankung seiner Frau kämpfte sich Siem mit einem Sieg auf der Challenge Tour im vergangenen Juli zurück auf die große Bühne. Von Donnerstag an gehört Siem wie Martin Kaymer, Maximilian Kieffer und Hurly Long zu den deutschen Startern bei den Porsche European Open in Winsen.

Herr Siem, wenn Sie an 2021 zurückdenken, welche Gefühle lösen der Turniersieg und der 15. Platz bei den British Open aus?

Marcel Siem: Es war das wahrscheinlich schönste und emotionalste Jahr meiner Karriere. In Frankreich das Turnier mit meiner Tochter an meiner Seite zu gewinnen und dann nur eine Woche später so ein überragendes Turnier bei den Open in England zu erleben und dabei von den Zuschauern getragen zu werden, war unglaublich. Ich war jeden Tag im Pressezelt, alle wollten mit mir reden. Das hat extrem gutgetan. Ich war so dankbar, dass ich das endlich mal wieder erleben durfte. Da merkt man erst, wie verwöhnt man als Profigolfer vom Erfolg eigentlich ist. Ich verstehe gar nicht mehr, wie andere Spieler sagen können: ‚Oh, jetzt muss ich schon wieder ein ProAm spielen, jetzt muss ich wieder Interviews geben.‘ Das ist doch das Größte, wenn die Leute mit dir sprechen wollen.

Auch dank dieser beiden Wochen haben Sie sich Ihre Spielberechtigung für die DP World Tour zurückgeholt, wo Sie direkt gut in diese Saison gestartet sind. Dann hat Sie eine Verletzung ausgebremst. Was ist passiert?

Beim zweiten Turnier in den Vereinigten Arabischen Emiraten Anfang Februar habe ich mich am Handgelenk verletzt. Eine Nervenwurzelentzündung, total bekloppt. Denn ich habe keine Ahnung, wo das herkam. Das bedeutete acht Wochen Zwangspause für mich. Noch nie zuvor in meiner Karriere hatte ich so lange keinen Schläger in der Hand. Natürlich habe ich dann bei meiner Rückkehr erst mal auf die Mütze bekommen. Ich verpasste drei Cuts am Stück. Doch jetzt bin ich hoffentlich wieder bei 100 Prozent, denn natürlich will ich vor heimischem Publikum im Golfclub Green Eagle richtig abliefern.

Ist der Nordkurs ein Platz, der Ihnen liegt?

Auf jeden Fall. Man muss den Platz lieben lernen und deutlich weniger aggressiv spielen, als man anfangs vielleicht denkt. Man muss gar nicht überall attackieren, ich werde eher versuchen, Fehler zu vermeiden. Die Taktik ist viel wichtiger, als man denkt.

Gilt die Kontrolle auch für die Emotionen? Die lassen Sie ja gerne einmal spontan raus.

Es stimmt, dass die Emotionen im Golfsport immer mehr verschwinden. Daran sind leider viele der Mentaltrainer schuld. Vor meinem Life Coach Holger Fischer hatte auch ich fünf verschiedene Mentaltrainer, bei denen es immer nur darum ging, die Emotionen zu unterdrücken. Da bin ich irgendwann so aggressiv geworden, dass ich angefangen habe, Schläger zu zerbrechen. Ich bin einfach ein emotionaler Typ, und deshalb würde ich es mir so sehr wünschen, mit den deutschen Fans mal richtig abfeiern zu können über ein gutes Resultat an diesem Wochenende.

Sie könnten in dieser Saison die Marke von 500 gespielten Karriereturnieren knacken. Das sind mehr als 100 mehr als Tiger Woods bisher gespielt hat. Was treibt Sie noch an?

Das vergangene Jahr hat mich noch einmal so richtig motiviert. Auch wenn es nur ein Sieg auf der Challenge Tour war: zu gewinnen ist einfach das Größte! Konstant Golf zu spielen, Cuts zu machen, die Welt zu bereisen, die schönsten Golfplätze der Welt spielen zu dürfen, das macht einfach unendlich Bock! Ich bin noch nicht so weit, zu Hause rumzusitzen und Däumchen zu drehen, will mich mit den Besten der Welt messen und dann auch Turniere gewinnen. Das ist alles auch Teil meiner Reise unter dem Hashtag #mywayback (mein Weg zurück, d. Red.), der in den sozialen Medien meine Rückkehr auf die DP World Tour begleitet hat.

Wie kam es zu dieser Kampagne?

Mein Manager Dirk Schimmel, Holger Fischer und ich haben uns zusammengesetzt und überlegt: Wo will ich hin? Wo sehe ich mich? Und wie bekommen wir ein bisschen Dampf auf den Kessel? Und so entstand #mywayback. Ein Slogan, der mich seither begleitet. der auch auf meiner Golftasche steht und mich immer noch jedes Mal neu motiviert, wenn ich darauf blicke.

Platz eins und zwei für Hamburger Damen und Herren


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  • Während der Corona-Zeit haben Sie zudem mit Mixed Martial Arts, also einer Vollkontakt-Kampfsportart, angefangen. Inwiefern hat das Ihr Golfspiel beeinflusst?

    Das bringt mir extrem viel. Ich mache das zusammen mit dem MMA-Kämpfer Paul Götte, durch den ich das erste Mal meinen Körper so richtig kennengelernt habe. Wir haben vor allem in den Bereichen Kraftaufbau, Schnellkraft und Koordination gearbeitet und praktizieren das täglich, auch während den Turnieren via Face­time als Aufwärmprogramm. Obwohl ich nicht zu alt bin, um mit den jungen Spielern mitzuhalten zu können, muss ich topfit sein. So muskulös wie jetzt gerade war ich noch nie. Ich zählte bisher eher zu der Kategorie Spargeltarzan (lacht).

    Ihr Motto als Jugendlicher und junger Golfspieler war „no risk, no fun“. Gilt das noch?

    Nein. Das ist schon lange her. Ich bin zwar eher der Draufgängertyp, aber mein Golfspiel ist mittlerweile sehr strategisch. Gerade bei den heutigen Plätzen, die ja immer schwerer werden.

    Strategisch ist ein gutes Stichwort. Sie haben sich ein großes Ziel gesetzt, wollen als erster Profispieler sowohl im Golfbereich als auch im privaten Bereich einen neutralen Fußabdruck in Sachen CO2 hinterlassen. Wie gehen Sie das an, gerade im Hinblick auf Ihre bekannte Vorliebe für schnelle Autos?

    Kürzere Strecken und alles rund um zu Hause fahre ich mit dem Elektroauto. Für alle langen Strecken, gerade im Ausland, nehme ich meinen Benziner. Das ist, so haben wir berechnet, immer noch deutlich emissionsärmer, als die Strecke mit dem Flugzeug zurückzulegen. Bald bekomme ich für die längeren Reisen von meinem Sponsor einen Hybrid.

    Und wie genau sieht der Plan aus, um den Fußabdruck tatsächlich neutral zu halten?

    Mit der Firma AQ Green Tech aus Hamburg analysieren und planen wir zurzeit, was ich an CO2 verbrauche, auch im privaten Bereich, und was genau ich zur Reduktion tun kann. Jeder Kilometer, den ich dann fahre, wird in die Erhaltung von Lebensraum gesteckt. Ob Aufforstung, CO2-reduzierende Projekte in Afrika wie zum Beispiel Kochöfen: alles wichtige Ansätze, die ich unterstützen möchte. Denn auf den mehr als 20 Jahren auf der Tour habe ich die Auswirkungen des Klimawandels hautnah miterlebt und möchte als Familienvater nun aktiv gegensteuern.