Hamburg. Christoph Schubert will trotz einjähriger Pause noch einmal für die Crocodiles spielen. Einst versuchte er die Freezers zu retten.

Es duftet nach Orangenöl. Angenehme Wärme durchflutet den Raum, und für den Blick über die Speicher der Hafencity und die Elbphilharmonie würden manche ein Vermögen bezahlen. Christoph Schubert wünscht sich trotzdem kaum etwas sehnlicher, als nicht mehr hier sein zu müssen an diesem Ort, der seit gut elf Monaten seine zweite Heimat ist. Das würde schließlich bedeuten, dass er die längste Leidenszeit seiner an Leiden nicht gerade armen Karriere endlich hinter sich gelassen hätte. Aber wer ihn sieht, den Kapitän außer Dienst des Eishockey-Oberligisten Crocodiles Hamburg, wie er im Therapiezentrum Hafencity mit schmerzverkniffenem Gesicht seine Schulterübungen absolviert, der ahnt unweigerlich, dass der Weg noch ein weiter ist. Und dass er durchaus ins Karriereende münden könnte.

Am 10. Dezember des vergangenen Jahres hatte sich der 36-Jährige beim Auswärtsspiel in Essen bei einem Sturz die linke Schulter nahezu komplett lädiert. Die Bizepssehne und zwei weitere Bänder waren gerissen, das Schulterdach zerstört. Schubert, der zwischen 2005 und 2010 insgesamt 346 Spiele in Nordamerikas Topliga NHL absolvierte und von 2010 an zum Gesicht der Hamburg Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga wurde, ehe diese 2016 vom Spielbetrieb abgemeldet wurden und der gebürtige Bayer in der Oberliga landete, ist Verletzungssorgen gewohnt.

Kaum ein Körperteil kann er vorweisen, das noch nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aber ein Jahr Reha, ohne dass sich durchschlagende Verbesserungen abzeichnen würden, das nagt an ihm wie noch keine andere Auszeit vorher.

Warum Schuberts Genesung länger dauert

Von einer „Frozen Shoulder“, einer Schultersteife, sprechen Mediziner, wenn sie die Beeinträchtigung beschreiben, die Schubert im Januar nach der Operation heimsuchte. Crocodiles-Teamarzt Jan Schilling sagt: „80 Prozent der Menschen überwinden die Schultersteife nach zwölf bis 18 Monaten vollständig. Bei Christoph kommt aber erschwerend hinzu, dass er Vorschäden in der Schulter hatte. Außerdem braucht ein 36-Jähriger deutlich längere Regenerationszeit und viel mehr Disziplin, um seine Fitness zurückzuerlangen.“

Mehr als drei bis vier wöchentliche Fitnesseinheiten auf dem Fahrradergometer seien aktuell nicht möglich, sagt Schubert, schon das Auflehnen auf den Lenker überlaste die Schulter. Dass sportlergerechte Ernährung nicht sein größtes Hobby ist, verhehlt er nicht. „Man muss doch auch mal leben“, sagt er, „für den Kopf ist das wichtig.“

Physiotherapeut Robert Felbinger, der in der Hafencity in drei 45- bis 60-minütigen Rehaeinheiten wöchentlich mit Schubert arbeitet, sagt: „Bewegung ist wichtig, aber man darf die Schulter nicht zu sehr belasten, damit sie sich nicht entzündet.“ Das Mindestziel der Reha sei, die Beweglichkeit wieder so herzustellen, dass alle Alltagsbelastungen schmerzfrei bewältigt werden könnten.

Schubert kann nachts vor Schmerzen nicht schlafen

Christoph Schubert lacht bitter bei der Frage, wie sein Alltag aktuell aussehe. Nicht einmal eine Kiste könne er mit beiden Armen aus einem Regal heben, was man angesichts seines wuchtigen Oberkörpers kaum glauben mag. Jedes Mal, wenn er im Schlaf auf die verletzte Seite rolle, schrecke ihn der Schmerz auf. „Das raubt einem den Tiefschlaf und ist ziemlich zermürbend“, sagt er.

Dass ihm seine Frau Janina und sein Freundeskreis so viel Halt geben, bedeute ihm sehr viel. Und auch sein fünf Jahre alter Sohn Lenni, mit dem er im Flur der Familienwohnung jeden Tag Schlagschüsse übt, habe sich mittlerweile damit abgefunden, den Vater nicht mehr auf dem Eis zu sehen. „Anfangs war es komisch für ihn. Aber jetzt ahmt er schon die Pose nach, die ich auf der Bank einnehme, wenn ich bei den Spielen als Co-Trainer helfe“, sagt er.

Schubert kämpft gegen Karriereende

Doch auch wenn immer mal wieder Gedanken an ein Karriereende aufblitzen, kämen ihm diese vor wie ein Verrat an sich selbst. „Ich werde nicht aufgeben, bis die Ärzte mir sagen, dass es nicht mehr geht. Eishockey ist mein Leben, und ich will mir niemals vorwerfen müssen, nicht alles versucht zu haben, um noch einmal aufs Eis zurückzukehren“, sagt er.

Schuberts Kampf ist ein Kampf, den viele Leistungssportler schlagen. Den richtigen Zeitpunkt für den Abschied zu finden ist nur wenigen vergönnt, die meisten klammern sich an ihre aktive Karriere, weil sie das Loch fürchten, das die Ungewissheit beim Übergang ins neue Leben oft reißt.

Die Gefahr allerdings, bei einem erzwungenen Comeback nur noch als Schatten seiner selbst zu wirken und das Mitleid der Fans auf sich zu ziehen anstatt deren Hochachtung, ist groß. Schubert hat davor allerdings keine Angst. „Die Leute, die lästern, können die Leidenschaft, die wir für unseren Sport haben, gar nicht nachvollziehen. Jeder, der seinen Sport liebt, wird versuchen, so lange wie möglich zu spielen.“

Der frühere Freezers-Chef Michael Pfad, mit Schubert mittlerweile freundschaftlich verbunden und als Ratgeber auch in dessen Zukunftsplanung involviert, sagt: „Schuby hat eine so glänzende Karriere als Profi erlebt, dass ich ihm nun auch den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören wünsche.“

Gehalts-Poker um Schubert

Schubert ist zwar professionell genug, nicht erst einen Plan B zu entwickeln, wenn Plan A gescheitert ist. Doch wie genau dieser aussehen könnte, weiß er noch nicht. „Ich will im Eishockey bleiben, das ist sicher“, sagt er. Den C-Trainerschein hat er, die B-Lizenz soll folgen. Aber als Trainer alle zwei Jahre umziehen ist Gift fürs Familienleben.

Sportdirektor fände er auch interessant, aber gute Jobs sind rar. Aktuell geht er, obwohl er krankgeschrieben ist, jeden Tag in die Eishalle, um Cheftrainer Jacek Plachta zu assistieren, er fährt zu allen Auswärtsspielen mit und versucht, seine Erfahrungen einzubringen, um dem Team zu helfen.

„Wir wissen das sehr zu schätzen“, sagt Crocodiles-Geschäftsführer Christian Schuldt, „dennoch würden wir ihn alle lieber auf dem Eis sehen.“ Auch für den Verein ist die Ungewissheit hinderlich. Derzeit wird ein großer Teil von Schuberts Gehalt von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft bezahlt. Sollte er jedoch noch in dieser oder der nächsten Saison zurückkehren – sein Vertrag läuft bis 2020 –, müsse die entsprechende Summe im Etat vorgehalten werden. „Deshalb können wir das Geld nicht anderweitig verplanen“, sagt Schuldt.

Ob er an manchen Tagen das Gefühl habe, dass er von seinem Körper gerade die Quittung für jahrelangen Raubbau erhalte? Christoph Schubert hält kurz inne, dann sagt er: „Wenn das die Quittung ist, dann tut sie richtig weh.“