Yvonne Li, 16, gilt als das größte Talent, das Hamburg je hatte. Die U-17-Europameisterin und Jugendweltranglisten-Zwölfte ist im Frauenbereich die große Hoffnung des Deutschen Badminton-Verbandes.

Hamburg. Für so eine zarte junge Frau kann sich Yvonne Li ganz schön derbe ausdrücken. „Wow, krasser Scheiß!“, jubelte die 16-Jährige über ihre erste Länderspielnominierung im Badminton. Ausgerechnet in ihrer Heimatstadt Hamburg und on top gegen Team-Weltmeister Japan. Die Norderstedter Regionalligaspielerin vom Hamburger SV findet es noch ein bisschen absurd, dass Freunde sie auf einmal „anschnorren“ wegen Länderspieltickets. Ihre Eltern wussten überhaupt nicht, dass ihr ein paar Umsonst-Eintrittskarten für die CU-Arena in Neugraben am Freitagabend (19 Uhr) zustehen. Sie hatten schon welche gekauft.

Aus heiterem Himmel kam Yvonnes Nominierung nicht. Die U-17-Europameisterin und Jugendweltranglisten-Zwölfte ist im Frauenbereich die große Hoffnung des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV). Vor zwei Monaten holte der DBV sie deshalb vom Bundesnachwuchsstützpunkt Hamburgs am Dulsberger Alten Teichweg zum Bundesdamenstützpunkt nach Mülheim aufs dortige Sportinternat.

Chef-Bundestrainer Holger Hasse, der sie an der Ruhr betreut und gegen Japan im Einzel für gesetzt erklärt hat, sagt: „Yvonne ist eine herausragende Nachwuchsspielerin. Der Weg in die Weltspitze ist sehr, sehr lang, es gibt noch viele Klippen, aber Yvonne ist keine Träumerin und weiß, was sie will.“ Absolut. Die Gymnasiastin (Notendurchschnitt 1,6) trainiert von Montag bis Donnerstag sechsmal auf dem Badminton-Court, plus drei Krafteinheiten. Eine Topspielerin Europas möchte sie mal werden, sagt die Dritte der deutschen Damen-Meisterschaften 2014. „An der Weltspitze wird es hart, weil da die ganzen Asiaten herumlungern“, erklärt Yvonne teeniemädchenmäßig salopp – und muss selbst kichern.

Schließlich zogen ihr Vater Li Wen Jun und ihre Mutter Huang Xiao Mei einst selbst als Studenten von Shanghai nach Hamburg. Yvonne aber ist in der Hansestadt geboren, überzeugte Hamburgerin und schnackt Hamburgisch. Mit elf flog sie zum bisher einziges Mal nach China auf Verwandtenbesuch kombiniert mit Urlaub. Ihr Vater importierte aus seiner Heimat die Badminton-Begeisterung. Selbst ist er nur Hobbyspieler, war aber lange Yvonnes Trainer. „In China haben die Stars Werbeverträge wie Mario Götze“, sagt Wolfgang Wienefeld, der Präsident des Hamburger Verbandes.

Badminton ist einfach so cool, weil es nie gleich ist

Yvonne schlug als Fünfjährige beim HSV ihre ersten Hightech-Federbälle, sie eiferte ihrem fünf Jahre älteren Bruder Yang nach. Yang, 21, ist heutzutage in der zweiten und dritten Mannschaft der Spielgemeinschaft VfL 93/Farmsener TV/HSV aktiv. Die kleine Schwester schmettert als Spitzenspielerin im ersten Team, das in der Regionalliga Nord hauchdünn hinter dem Stadtrivalen Horner TV Zweiter ist.

Was Yvonne Li an dem Sport so fasziniert? „Badminton ist einfach so cool, weil es eine Spielsportart ist, die nie gleich ist. Jedes Spiel entwickelt sich anders.“ Ihre Spezialität? „Ich laufe sehr gern und liebe es, den Ball zu verteilen, so dass das Feld für den Gegner riesig wird.“ Es klingt wie eine Drohung, man will nicht in der Haut ihrer umherjapsenden Gegnerin stecken.

Nationalcoach Hasse antwortet auf die Frage nach den Stärken der quirligen Rechtshänderin: „Sie ist eine sehr intelligente Spielerin, die weiß, welchen Schlag sie wann anbringen muss. Außerdem ist Yvonne mental enorm stark und stressresistent.“ Hasse wünscht sich für Yvonne mittelfristig wieder ein Hamburger Bundesliga-Team: „Schon jetzt hat sie in der Regionalliga nur noch eine richtige Gegnerin.“

Im Februar 2012 hatte sich der VfL 93 aus der Badminton-Bundesliga zurückziehen müssen. „Ich habe damals die Reste eingesammelt“, erzählt Roger Taddey, 59, der Betreuer der heutigen Spielgemeinschaft. Anfangs war es nur eine Kooperation aus VfL 93 und Farmsen TV, „aber dann haben wir uns um den HSV bemüht, um Yvonne für uns zu gewinnen“, sagt Taddey verschmitzt lächelnd. Leider kann er seinen Spielern nicht einen Cent für die Einsätze zahlen, nur T-Shirts und Fahrgeld gibt es. „Für Hamburger Unternehmen zählt Fußball, Fußball und noch mal Fußball“, klagt Verbandspräsident Wienefeld.

Wichtig sind für Yvonnes Entwicklung die internationalen Turniere

Für Yvonne ist es in der ersten Saison nach ihrem Umzug nach Mülheim noch ganz praktisch, während der Punktspielwochenenden ihre Familie in Norderstedt sehen zu können. Aus Sicht von Nationalcoach Hasse, 43, ist ein Wechsel in die Bundesliga auch „nicht zwingend nötig, wichtiger sind für Yvonnes Entwicklung die internationalen Turniere“. Die Elftklässlerin schlug unter anderem schon in Malaysia, Thailand, Kroatien, Portugal und der Türkei auf. Hasse lobt den HBV, der trotz wenig Geld einer von Hamburgs Vorzeigeverbänden in den olympischen Sportarten ist: „Was die in den letzten zehn Jahren aus dem Nichts auf die Beine gestellt haben, Respekt! Der DOSB hat sie nicht ohne Grund als Bundesnachwuchsstützpunkt ausgezeichnet.“

Yvonne Li ist das wohl größte Badmintontalent, das Hamburg je hatte. Sie fiebert ihrem Länderspieldebüt gegen die zweifache Jugendweltmeisterin Akane Yamaguchi entgegen. Ein Traum schwirrt ihr auch im Kopf herum: Olympia 2024 oder 2028 mit dem Badminton-Event in den Messehallen. „Dann wäre ich im perfekten Badminton-Alter. Boa, das wäre soo cool!“