Auch ein dünn besetztes Teilnehmerfeld hält Fans nicht vom Besuch der Anlage ab. Der Sport wird dabei fast zur Nebensache.

Als am Mittwochmittag gegen 13.40 Uhr der Charme des Rothenbaums vom Platzregen kurzzeitig weggespült wird und sich die 6000 Besucher auf der Suche nach Schutz unter die Zeltdächer der Verpflegungsstände drängen, da ist sie wieder da, diese Mahnung. In Hamburg, das war so, ist so und bleibt so, kann man sich einer Sache nie gewiss sein: des Wetters. Dass der Hamburger an der Temperatur des Regens die aktuelle Jahreszeit abliest, ist natürlich nur eine böse Frotzelei derjenigen, die außer Sonnenschein nicht viel mehr zu bieten haben in ihren Heimatstädten. Wie wenig meteorologische Einflüsse der Lust der Einheimischen am Rothenbaum-Bummel anhaben können, zeigt sich vielmehr auch in diesem Jahr wieder.

Qualitativ schlechte Spieler wie nie

Bereits zum 110. Mal wird in dieser Woche ein Herrentennisturnier in Hamburg ausgetragen. Weil die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro, in deren Rahmen vom 6. bis zum 13. August auch ein Tennisturnier gespielt wird, für Terminnot sorgten, entschied die Herrentennisorganisation ATP, in diesem Jahr zeitgleich zur Hamburger Woche die Viertelfinalspiele im Teamwettkampf Daviscup anzusetzen. Das führte dazu, dass Turnierdirektor Michael Stich am Tag vor dem offiziellen Meldeschluss 14 kurzfristige Absagen von namhaften Profis hinnehmen musste. Weil auch keine 500.000 Euro übrig waren, um einem Spieler aus den Top Ten der Weltrangliste das verlangte Antrittsgeld zu zahlen, ist das Teilnehmerfeld qualitativ so schwach besetzt wie nie zuvor in der professionellen Ära des Turniers. Der Augsburger Philipp Kohlschreiber, Nummer 22 der Welt, ist als ranglistenhöchster Spieler der topgesetzte Akteur.

Dem Interesse der Fans hat das jedoch kaum geschadet. Die Anlage des Clubs an der Alster an der Hallerstraße ist seit dem Sonnabend, als die Spiele der Qualifikation starteten, gut besucht. In die Karten gespielt hat der veranstaltenden Agentur HSE dabei, dass der Vorverkauf um 50 Prozent höher lag als im Vorjahr, was der Tatsache geschuldet war, dass die Fans 2015, als der spanische Topstar Rafael Nadal das Turnier gewann, und auch im Jahr davor, als der Hamburger Jungstar Alexander Zverev sensationell das Halbfinale erreichte, an manchen Tagen keine Karten mehr bekommen konnten. Guter Vorverkauf macht immun gegen schlechtes Wetter.

Ein Urlaubstag auf der Tennisanlage

Ein anderer, mindestens genauso wichtiger Grund für den Zulauf ist aber, dass Stich und sein Team mit der ein Jahr nach ihrer Amtsübernahme 2009 geborenen Idee, den Eintritt zur Anlage und den Nebenplätzen kostenfrei anzubieten, einen Volltreffer gelandet haben. Die Menschen nutzen dieses Angebot rege. Manche nehmen sich Urlaub, um einen ganzen Tag auf dem 4000-Quadratmeter-Areal zu verbringen, andere kommen, um bei einem Glas Prosecco oder Blockbräu vom Fass – der Hamburger Brauer ist in diesem Jahr erstmals im Sponsorenpool vertreten – den Feierabend zu genießen.

„Ich war vor 15 Jahren zum ersten Mal am Rothenbaum. In erster Linie bin ich hier, um Tennis zu gucken. Aber ich liebe es, durch die verschiedenen Shops zu bummeln. Und man trifft häufig alte Tenniskollegen, weil die auch jedes Jahr zum Rothenbaum kommen“, erzählt Peter Lochmann (71), der von einem Freund in die VIP-Loge eingeladen wurde. „Ich bin schon als Kind mit meinen Eltern zum Rothenbaum gegangen. Ich habe mir die Woche extra Urlaub genommen, um so oft wie möglich zu kommen“, sagt eine Frau, Anfang 20, die ihren Namen nicht nennen möchte.

Die Umgestaltung der Anlage, die die HSE seit 2009 sukzessive umgesetzt hat, trägt ebenfalls zum Wohlfühlfaktor bei. Pflanzen lockern das sonst von Massenveranstaltungen wie Alstervergnügen oder Hafengeburtstag gewohnte Bild aneinandergereihter Verkaufsstände auf. Der großzügig angelegte Marktplatz, an dessen Stirnseite die Spiele vom Centre-Court auf eine große Leinwand übertragen werden, schafft als Fixpunkt des Geländes mit seiner Strandoptik ein Urlaubsambiente, das die Gäste zu schätzen wissen. Florian Seyer (26) sagt: „Ich komme gerne her, um mit Freunden zusammenzusitzen, ein Bier zu trinken und die Atmosphäre zu genießen.“

Wer bei der HSE anfragt, um die Schaltzentrale des Kosmos Rothenbaum kennenzulernen, der steht irgendwann in einem schmucklosen, 30 Quadratmeter großen Raum im Bauch des Stadions unterhalb der Büros, in denen der Deutsche Tennis-Bund (DTB) seine Zentrale hat, und kann kaum glauben, dass dort die Fäden zusammenlaufen, an denen das traditionsreichste deutsche Herrenturnier in der Balance gehalten wird. Fünf Computerarbeitsplätze gibt es, dazu einen gut gefüllten Kühlschrank, ein Flipchart und ein Whiteboard sowie einen Durchgang zum Lager, in dem die Kaffeemaschine blubbert und der technische Leiter Jan-Ole Marten Prömel, von allen Jomp genannt, seinen Arbeitsplatz hat – das war es.

50 Freiwillige helfen mit

Doch während man sich fragt, ob das alles gewesen sein kann, lernt man Katja Wehlitz kennen – und spürt sofort, dass auch ein Verschlag als Schaltzentrale reichen könnte, solange die 40-Jährige die Fäden in der Hand hält. Gemeinsam mit ihren Kollegen Jens Pelikan, Timo Christmann und vier Praktikanten ist die Diplom-Sportwissenschaftlerin und Sportökonomin dafür verantwortlich, dass am Rothenbaum alle Räder ineinandergreifen. „Außerdem haben wir die Hilfe von rund 50 Freiwilligen, für die wir sehr dankbar sind“, sagt Wehlitz.

Die Aufgabenbereiche sind klar abgesteckt. Pelikan, einer der drei HSE-Geschäftsführer, ist für VIP-Betreuung und die Event-Organisation zuständig. Christmann koordiniert die Zusammenarbeit mit den 25 Dienstleistern, die in dieser Woche an der Hallerstraße arbeiten. Wehlitz ist die Verbindungsfrau zu den 45 Sponsoren und Partnern. Insgesamt fünf Wochen – drei vor dem Turnier zum Aufbau und eine danach für den Abbau eingerechnet – ist das Büro so etwas wie das zweite Zuhause für das Organisationsteam. Spätestens um acht Uhr morgens beginnt der Arbeitstag mit einem Rundgang über die Anlage, wo vor allem Wetterschäden beseitigt werden. Nach der Öffnung um 10.30 Uhr bis zur Schließung nach dem letzten Match sind alle in ihren Teilbereichen beschäftigt, aber ständig per Funk auf fünf verschiedenen Funkkreisläufen verbunden. Danach gibt es eine Lagebesprechung und einen letzten Rundgang vor dem Feierabend. 80 Wochenstunden kommen da locker zusammen.

Gewerbe und Sponsoren müssen betreut werden

Ein Mitarbeiter übernachtet sogar auf der Anlage, in einem vom gastgebenden Club an der Alster bereitgestellten Zimmer in dessen Vereinsinternat, damit rund um die Uhr Wünsche von Geschäftspartnern erfüllt werden können. Zusätzlich gibt es einen externen 24-Stunden-Wachdienst. Einbrüche auf die Anlage gibt es trotzdem immer wieder.

25 verschiedene Gewerbe, vom Klempner über Elektriker, Zeltbauer und Gartengestalter bis zu Sanitätern und Medienvertretern, sind während des Turniers auf der Anlage tätig, rund 1000 Arbeitsausweise werden alljährlich ausgegeben. 50 Sattelzüge brauchte es, um das benötigte Material anzuliefern. 30 Kilometer Kabel wurden verlegt, 3000 Quadratmeter Holzboden und 4000 Quadratmeter Zeltplanen verbaut, um den 16 Essensständen und rund zehn Non-Food-Anbietern das gewohnte Ambiente bieten zu können.

Um die Sponsoren ins richtige Bild zu setzen, wurden 100 verschiedene Banner, Fahnen und Werbeflächen montiert. All diese Arbeiten versuchen Wehlitz und Christmann so genau wie möglich zu koordinieren. „Trotzdem gibt es jede Stunde Dinge, die unerwartet passieren: Baumfällarbeiten, die die Anlieferung von Containern behindern, oder dringend erwartete Lieferungen, die nicht ankommen“, sagt Katja Wehlitz. Auch wenn für sie und ihr Team am Ende kein Titel wartet: Die Lösung für ein Problem zu finden ist wichtiger als so manch verwandelter Matchball. Es ist schließlich das Herz des Turniers, das in dem unscheinbaren Raum im Takt gehalten werden muss, um den Besuchern den bestmöglichen Komfort zu bieten.

Das Phänomen, dass ein ansprechendes Umfeld Menschen auch zu Veranstaltungen treibt, die sie im Kern eher nicht interessieren, ist im Hamburger Sport seit Anfang dieses Jahrtausends bekannt. Heimspiele der Bundesligafußballer des HSV sind seit dem Neubau des Volksparkstadions (1998 bis 2000) viel besser besucht, als das sportlich gebotene Niveau es vermuten ließe. Das vor zwei Monaten vom Spielbetrieb abgemeldete Eishockeyteam der Hamburg Freezers und die seit Jahresbeginn insolventen Bundesliga-Handballer des HSV Hamburg hatten in der 2002 eröffneten Barclaycard Arena auch in sportlich miserablen Zeiten gute vierstellige Besucherzahlen. Spielten die Handballer gegen namhafte Gegner in der Sporthalle Hamburg, kamen oft weniger Fans als zu Partien gegen namenlose Gegner in der Multifunktionsarena im Volkspark.

Der Rothenbaum ist in diesem Jahr schon zum zweiten Mal Anziehungspunkt für Sportfans. Anfang Juni sorgte das Major-Turnier im Beachvolleyball, zu dem der Eintritt sogar auf den mit 7500 Plätzen ausgelegten Centre-Court frei war, für so viel Begeisterung, dass die Stadt das Event unbedingt zur dauerhaften Einrichtung machen möchte. 2022, so plant es der Club an der Alster, soll die Anlage komplett neu gestaltet, das große Stadion abgerissen und durch eine moderne Arena ersetzt sein. Ihr Gesicht als Wohlfühloase des Sommers sollte dabei dringend gewahrt werden, denn den Hamburgern gefällt das.