Georgien trauert um den toten Nodar Kumaritaschwili. Präsident Saakaschwili kritisierte indirekt die Sicherheit der Bahn in Whistler.

Tiflis/Vancouver. Georgiens Präsident Michail Saakaschwili eilte zackig, mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Eiskunstläufer Omar Japaridze im Schlepptau in den Saal „Gabriola“ – und legte ohne ein Anzeichen von Trauer los. „Die Offiziellen haben mir mitgeteilt, dass es ein menschlicher Fehler war“, sagte das Staatsoberhaupt am Sonnabend im Medienzentrum von Vancouver zum Unfalltod des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili und übte indirekt Kritik an der Sicherheit der Bahn in Whistler: „Ich bin kein Experte, doch kein sportlicher Fehler darf zum Tod führen.“ Inzwischen sei nach dem Unglück ausgangs der Zielkurve eine Wand errichtet worden. „Da muss man in Zukunft sensibler sein“, forderte Saakaschwili.

Der 21-jährige Kumaritaschwili war ein junger, aber kein unbedarfter Athlet. „Im Rodeln ist man zwar mit 30 ein wirklich erfahrener Sportler, doch er war nicht unerfahren und startete bei allen europäischen Veranstaltungen“, sagte Saakaschwili. Sein Tod sei eine Tragödie, doch in den Wintersport soll weiter kräftig investiert werden. Dazu gehört auch der Bau einer Rodelbahn in Kumaritaschwilis Heimatstadt Bakuriani, die nach seinem Namen benannt werden soll. Eistänzer Japaridze durfte nur kurz etwas kund tun. „Das ist der Tiefpunkt unserer Karriere. Wir danken für die Solidarität und werden an den Winterspielen teilnehmen, um seinen Traum zu verwirklichen“, sagte der 22-Jährige.

Schock, Tränen, Entsetzen löste der Tod des georgischen Rodlers in seinem Heimatland aus. Die Tragödie im Olympia-Eiskanal geschah vor den Augen des Vaters: Felix Kumaritaschwili ist der Trainer der südkaukasischen Rodler-Mannschaft. „Er hat doch noch nie einen solchen Fehler gemacht“, sagte der untröstliche Coach nach dem Sturz seines Sohns. „Ich habe ihn doch so erzogen, dass er vor Wettbewerben nie nervös wurde.“ Die georgische Mannschaft will trotz der Tragödie an den Spielen teilnehmen – mit einer Ausnahme.

Der Rodler Lewan Gureschidse, der mit Kumaritaschwili an den Start gehen sollte, sagte unter dem Eindruck der Ereignisse den Wettkampf ab. „Lewan und Nodar sind zusammen aufgewachsen“, erklärte Sportfunktionär Irakli Dschaparidse. „Beide waren von klein auf zusammen und auch in derselben Klasse. Deswegen kann und will Lewan nicht weitermachen.“ Kein Verständnis zeigte er für den Eiskanal in Whistler. „Auch wenn Nodar Fehler gemacht hat, ist die Sicherheit auf dieser Piste nicht ausreichend. Warum ist die Seitenwand so niedrig?“

Wintersport gilt in Georgien mit seinem milden Klima als nicht übermäßig beliebt. Aber viele der fünf Millionen Einwohner fiebern dem Start der Eiskunstläuferin Elene Gedewanischwili entgegen, der sie Medaillenchancen einräumen. Voller Vorfreude war am Samstag auch die Stadt Bakuriani erwacht, wo Wintersportarten trainiert werden. Doch schnell sprach sich in dem Ort rund 170 Kilometer westlich der Hauptstadt Tiflis die Tragödie der Familie Kumaritaschwili herum, die hier das Hotel „Saba“ betreibt. Nodar ist in Bakuriani geboren.

Der Sport- und Kulturminister der Kaukasusrepublik, Nikolos Rurua, zeigte offen seinen Schmerz. „Wir können kaum denken und sprechen. Der Junge ist quasi in unseren Händen aufgewachsen, er war so ein netter und freundlicher Kerl.“ Bereits bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Peking im August 2008 war Georgien wegen des Einmarsches russischer Truppen in aller Munde.

„Wir werden in der Regierung über eine Entschädigungszahlung für diesen tragischen Tod beraten. Aber jetzt ist nicht der richtige Moment, um über Geld zu sprechen. Nodars Tod ist für unser Land und umso mehr für die Familie sowieso nicht zu kompensieren“, sagte Rurua. Nach Kumaritaschwilis Tod und der Absage von Gureschidse ist Georgien in Vancouver noch mit sechs Sportlern vertreten. „Alle haben gesagt, dass sie bleiben und für Nodar kämpfen möchten“, betonte Rurua. „Die georgische Mannschaft widmet ab sofort diese Spiele ihm.“

Auch der Rodler Lewan Gureschidse blieb in Kanada, doch es fiel ihm nicht leicht. Er hat sich mit Nodar Kumaritaschwilis ein Zimmer geteilt und am Tag des Unglücks noch mit ihm gefrühstückt. «Lassen Sie mich ein bisschen von Nodar erzählen...», sagte er am Rande der Eröffnungsfeier einem Reporter, ehe ihm die Stimme versagte und er in Tränen ausbrach. Tags darauf verzichtete er auf seinen Start im Rennen.

Georgische Athleten nehmen zum zweiten Mal in Folge unter tragischen Umständen an Olympia teil. Vor eineinhalb Jahren befand sich ihr Land im Krieg mit Russland, als sie in Peking um Medaillen kämpften. «Auch das war ein tragischer Moment, aber bereits damals hat sich das Team entschieden, teilzunehmen. Damals wie heute war es allein die Entscheidung der Athleten», sagte Saakaschwili.

Es war eine Entscheidung für den Sport, der auch das Leben von Nodar Kumaritaschwili war. Nodar soll in den kommenden Tagen zurück in seine Heimat gebracht werden. Nach Bakuriani, wohin er als Held heimkehren wollte. Und sein Vater jetzt auf einer kalten Bank sitzt. (SID/abendblatt.de)