Wenn die Technik versagt, muss das gute alte Maßband her. Nach der nächsten Nervenschlacht in London gewinnt Heidler Bronze für Deutschland.

London. Kurz vor Mitternacht hatte Betty Heidler es endlich schwarz auf weiß: Dritter Platz, 77,12 Meter. Was für ein Hickhack im Hammerwurf! „Ein Skandal“, sagte Michael Vesper, Chef de Mission des deutschen Olympia-Teams. „Ein irregulärer Wettkampf“, schimpfte Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop. Heidler selbst brach nach der kleinen Computerpanne mit großen Auswirkungen nicht den Stab über die Kampfrichter. „Die waren alle total nett und taten mir auch ganz doll leid“, sagte die Weltrekordlerin aus Frankfurt. Erst drei Stunden nach dem Wettkampf durfte sie sich in London ihrer ersten Medaille bei Sommerspielen gewiss sein.

Am Tag danach bedankte sich Heidler sogar dafür, „dass es mir die Kampfrichter möglich gemacht haben, dass der Wurf auf der Liste erschienen ist“. Ihr Coach Michael Deyhle ist seit 30 Jahren in der Hammerwurf-Szene tätig, ungefähr so lange werden die Weiten per Laser gemessen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte er.

Wie die 80 000 Zuschauer im Olympiastadion und viele, viele Millionen vor den Fernsehern sah Deyhle von der Tribüne aus Heidlers fünften Versuch. Das Vier-Kilo-Wurfgerät flog weit hinaus auf den Rasen. Auf dem Ergebnisschirm blinkte später kurz 72,34 Meter auf - dann verschwand die Weite wieder. „Ich habe Betty an die Bande gerufen und gesagt: Protest, Messfehler! Dann habe ich schnell unsere Teamleitung angerufen“, erklärte Deyhle am Tag danach.

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Heidlers Weite war zwar im Computer registriert, aber nicht in die Ergebnisliste übertragen worden. In diesem Moment hätten die Kampfrichter den Wettbewerb unterbrechen müssen, doch da stand schon Zalina Marghieva (Moldau) im Ring und schleuderte den Hammer hinaus. Deshalb tauchte deren Weite von 72,34 dann kurz in Heidlers Ergebnisspalte auf. „Das ist mir vorher noch nie passiert. Das nächste Mal bleibe ich stehen, bis die Weite offiziell ist“, sagte sie.

Deyhle bekam zu diesem Zeitpunkt schon erste Anrufe und SMS von Freunden aus Deutschland. Tenor: „Bettys Wurf war doch viel weiter.“ War er auch – 77,12. Heidler diskutierte derweil weiter mit den Kampfrichtern und bekam einen zweiten Versuch im fünften Durchgang zugestanden. Doch der war, kein Wunder bei ihrem aufgewühlten Gemütszustand, ungültig. „Da war Betty schon in Panik“, sagte ihr Coach. Im Nachhinein konnte die Weltmeisterin von 2007 gottfroh sein, dass damit nicht ihr weitester Wurf gelöscht wurde.

Um 20.40 Uhr London-Time war der Medaillenkampf beendet. Die Russin Tatjana Lysenko hatte 78,18 Meter geworfen und rannte als Olympiasiegerin los auf die Ehrenrunde, begleitet von der Polin Anita Wlodarczyk (77,60) und der Chinesin Zhang Wenxiu (76,34). Betty Heidler, zu diesem Zeitpunkt nur Achte, diskutierte immer noch mit den Kampfrichtern, die jetzt auf Video das Einschlagloch von Heidlers fünftem Versuch ausfindig machten und die Weite noch einmal mit dem Maßband sicherten.

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Um 21.15 Uhr tauchten die 77,12 in der Ergebnisliste hinter Heidlers Namen auf – und die Hammerwerferin hob jubelnd die Arme, schnappte sich die deutsche Fahne und posierte vor der Anzeigetafel im Innenraum. „Ich war schon ein bisschen traurig, dass mir die Stimmung und Emotionen genommen wurden im Stadion“, erklärte sie später. „Die Bronzemedaille bedeutet mir riesig viel, damit ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“

Deyhle, das ahnte Heidler in diesem Moment, „hat noch mehr Nerven und Haare gelassen“. Doch die Achterbahn der Gefühle war noch nicht zu Ende: Die Chinesen legten Protest ein, weil ihre Athletin auf den vierten Platz zurückgefallen war. Pressekonferenz und Siegerehrung waren da längst abgesagt. Erst kurz vor Mitternacht, als Heidler gerade in einem Fernsehstudio stand, wurde der Einspruch abgewiesen. „Das war schon ein krasser emotionaler Moment“, sagte die 28-Jährige. Ihr Trainer wollte die Kampfrichter nicht so ungeschoren davonkommen lassen: „Das war schon megapeinlich vor der Welt-Öffentlichkeit.“

(abendblatt.de/dpa)