Die deutschen Kunstturner wurden am Barren beziehungsweise Reck jeweils Zweiter. Dressurreiter verpassen Gold, holen aber Silber.

London. Fabian Hambüchen hat sich am Dienstag in London mit Silber am Reck seinen Traum von einer erneuten Olympia-Medaille erfüllt. Vier Jahre nach Bronze in Peking turnte er am Königsgerät seine Übung perfekt durch und wurde von den Kampfrichtern für seine exakte Ausführung verdient mit hohen Noten bedacht. Mit 16,400 Punkten musste sich der Ex-Weltmeister aus Wetzlar in einer hochklassigen Konkurrenz nur dem Niederländer Epke Zonderland beugen, der für seine Übung mit Ausgangswert 7,9 die Rekordmarke von 16,533 Punkten erhielt. Bronze ging an Peking-Olympiasieger Zou Kai aus China. Zuvor hatte Marcel Nguyen bereits Silber am Barren geholt und damit seine zweite Medaille nach Silber im Mehrkampf.

Hambüchen ließ sich von seinem 15. Mehrkampfplatz nicht deprimieren und nutzte nervenstark seine letzte Medaillenchance bei diesen Spielen. In Vorbereitung auf das Finale hatte er sich mit Freundin Caroline, seinem Vater und seinem Onkel eine Auszeit im Seebad Brighton gegönnt, um den Kopf frei zu bekommen.

Der 24-jährige Hesse feierte damit nach langer Pause wegen einer Achillessehnen-Operation eine großartige Rückkehr auf die olympische Turnbühne. Mit ganz individueller Vorbereitung hatte er sich konsequent auf diesen Tag konzentriert und spielte seine mentale Stärke mit Bravour aus.

Dressurreiter "nur" mit Silber

Zuvor war die längste Gold-Serie der Olympischen Spiele gerissen – das deutsche Dressur-Team jubelte trotzdem. Die drei Olympia-Neulinge feierten am Dienstag in London ihren zweiten Platz hinter Großbritannien. „Das ist Silber gewonnen und nicht Gold verloren“, kommentierte der Dressurausschuss-Vorsitzende Klaus Roeser: „Das ist das jüngste Team, das wir je hatten. Das ist eine richtig starke Leistung.“ Zuvor hatten deutsche Teams nach dem Silber von München 1972 bei jedem Olympia-Start Gold gewonnen.

Auch der Bundestrainer freute sich mit seinen drei Debütantinnen und attestierte ihnen „ganz starke Auftritte“ in London. „Wir sind nicht schlechter geworden, die anderen sind besser als früher“, sagte Jonny Hilberath. Die siegreichen Briten, von 23 000 Zuschauern gefeiert, hatten zuvor noch nie eine Olympia-Medaille in der Dressur gewonnen. In der deutschen Statistik stehen hingegen 19 goldene.

Die Verantwortlichen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) waren voll des Lobes für ihr Debütantinnen-Trio mit Dorothee Schneider (Framersheim) mit Diva Royal, Kristina Sprehe (Dinklage) mit Desperados und Helen Langehanenberg (Havixbeck) mit Damon Hill.

„Ich bin super-happy mit den drei Mädels. Das war so nicht zu erwarten“, kommentierte Hilberath. Die Anspannung des Bundestrainers löste sich schon nach der Startreiterin Dorothee Schneider, die mit Diva Royal 77,571 Prozentpunkte erzielte. „Ein Felsmassiv – plumps“, umschrieb Jonny Hilberath den Druck, „der bei mir drin war.“ Nach der fehlerfreien Vorstellung der 43-jährigen Schneider lobte der Coach: „Sie hat alles zur aller vollsten Zufriedenheit gelöst.“ Die erst vor wenigen Wochen in die Weltspitze vorgestoßene Reiterin sagte: „Ich bin superzufrieden. Auch die kleinen Fehler sind ausgeblieben.“

Dass makellose Leistungen keine Selbstverständlichkeit sind, erlebte Kristina Sprehe (76,254 Prozentpunkte). In der Passage sprang ihr Hengst Desperados einmal weg. „Schade, dieser eine Klops war teuer“, kommentierte ihr persönlicher Trainer Jürgen Koschel. „Danach ist sie ein bisschen aus dem Konzept gekommen.“ Die 25-Jährige selbst meinte zu ihrem Fehler: „Das hat reingehauen. Das ärgert einen schon.“ Ihr Hengst sei von Anfang an „ein bisschen nervös gewesen“.

Das beste Ergebnis steuerte Schlussreiterin Helen Langehanenberg bei, die mit Damon Hill Nervenstärke bewies und trotz eines kleinen Fehlers nach der ersten Piaffe auf 78,937 Prozent. „Helen hat alles versucht, leider hatte sie eine kleine Unsicherheit“, kommentierte Bundestrainer Hilberath. Das Silber-Trio qualifizierte sich auch für das Einzelfinale mit der Kür.

Ob es mit dem als Wunderpferd bezeichneten Hengst Totilas, der wegen der Erkrankung seines Reiters Matthias Rath ausgefallen ist, wieder zu Gold gereicht hätte? „Das ist rein hypothetisch“, antwortete Funktionär Roeser: „Was wäre wenn – das ist jetzt müßig.“ Mit der Form der EM 2011 in Rotterdam, so viel ist klar, hätten Rath und Totilas in London den Sieg auch nicht retten können.

+++ Nguyen holt erste Medaille im Mehrkampf seit 1936 +++

Das verpasste Gold kam nicht wirklich überraschend. Die Zeiten der deutschen Dominanz sind schon länger vorbei. Nach mehr als 30 Championats-Siegen in Folge gab es bei der EM 2007 erstmals wieder eine Niederlage. „Die anderen haben aufgeholt“, erklärte FN-Präsident Breido Graf zu Ranzau. Nach den jahrelangen Zweikämpfen mit den Niederlanden sind nun die Briten vorbeigezogen.

Als erste deutsche Reiterin war Einzelstarterin Anabel Balkenhol aus Rosendahl ins Viereck geritten. Die 40-Jährige erhielt für die Vorstellung mit Dablino 73,032 Prozentpunkte. Die sichtlich enttäuschte Reiterin hatte mit „mehr Punkten gerechnet. Das Glück war mir in London nicht hold“, klagte Anabel Balkenhol.

Früher am Tag hatte schon Marcel Nguyen ebenfalls mit Silber die erste Olympia-Medaille seit 24 Jahren für deutsche Turner am Barren erkämpft. Sechs Tage nach seinem überraschenden zweiten Platz im Mehrkampf turnte der Sportsoldat aus Unterhaching seine schwierige Übung an seinem Spezialgerät sicher durch und musste mit 15,800 Punkten nur dem Chinesen Feng Zhe den Vortritt lassen. Feng erhielte 15,966 Punkte für seine Übung.

Als letzter deutscher Turner hatte der Leipziger Sven Tippelt 1988 in Seoul mit Bronze eine Medaille am Barren gewonnen. Bronze ging diesmal an den Franzosen Hamilton Sabot mit 15,566 Zählern. Weltmeister Danell Leyva aus den USA hatte die Qualifikation für das Finale verpasst.

Zum Auftakt des letzten Finaltages der Turner vor wiederum 15.000 Zuschauern in der voll besetzten North Greenwich Arena war der Tsukahara-Abgang, den derzeit keine anderer Turner der Welt beherrscht, der Höhepunkt von Nguyens spektakulärer Übung. Unmittelbar vor ihm war Top-Favorit Feng Zhe an die Holme gegangen und glänzte nach einem noch um 0,2 Punkte höheren Ausgangswert von 7,0. (dpa/HA)