Der Champions-League-Sieger von 2013 erhält auch in zweiter Instanz keine Bundesligalizenz. Jetzt droht der Sturz in die Drittklassigkeit

Hamburg. Noch um 14.20 Uhr am Dienstag war sich Frank Spillner seiner Sache ganz sicher: „Dass wir keine Lizenz bekommen, halte ich für ausgeschlossen“, sagte der Interimspräsident des Handball-Sport-Vereins Hamburg. „Die Zahlen, die wir eingereicht haben, sind unanfechtbar.“ Nur sechs Minuten später war das Undenkbare plötzlich ganz konkret: Die Bundesliga hat dem HSV auch in zweiter Instanz die Spielberechtigung verweigert. Dieser Entscheidung der unabhängigen Lizenzierungskommission hatte sich das Ligapräsidium bei seiner Tagung in Hamburg einstimmig angeschlossen.

„Der HSV konnte für die Zeit bis zum Ende dieser Saison wie auch für die kommende Saison seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nachweisen“, sagte Ligageschäftsführer Holger Kaiser dem Abendblatt. Den Hamburgern bleibt nun noch die Möglichkeit, binnen einer Woche nach Zustellung der Entscheidung das unabhängige Schiedsgericht der Bundesliga anzurufen. Bestätigt dieses bis spätestens 15. Juni die Entscheidung, könnte der Club, der bis Sonntag noch als Champions-League-Sieger amtierte und 2011 deutscher Meister war, bestenfalls in der Dritten Liga antreten. Einen vorsorglichen Lizenzantrag für die Zweite Bundesliga zu stellen hatte der Verein versäumt.

„Wir werden uns nun intern abstimmen und dann reagieren“, sagte HSV-Geschäftsführer Dr. Holger Liekefett. Die Erfolgsaussichten in dritter Instanz sind gering: Das Schiedsgericht entscheidet aufgrund der vorliegenden Unterlagen, Nachbesserungen am Lizenzantrag sind nicht mehr möglich.

HSV-Hauptgesellschafter Matthias Rudolph, 56, empfahl dennoch, alle juristischen Möglichkeiten auszuschöpfen: „Die Liga macht sich mit diesem Beschluss doch selbst kaputt.“ Tatsächlich gibt es bis auf den sportlichen Absteiger HBW Balingen-Weilstetten, der nun auf den Verbleib in der Liga hoffen darf, kaum Profiteure dieses Bebens.

Dessen erster Auslöser war der Rücktritt von Rudolphs Bruder Andreas als HSV-Präsident am 8. Mai. Bis Ende vergangenen Jahres hatte der Ahrensburger Medizintechnikunternehmer den Verein, den er einst selbst vor der Insolvenz gerettet hatte, noch mit seinen Millionenzuwendungen fast allein unterhalten. Dann begannen seine Zahlungen plötzlich zu stocken. Rudolph, 59, hatte nach neun Jahren offenbar die Lust an seinem Projekt verloren. Interne Grabenkämpfe, heißt es aus seinem Umfeld, sollen maßgeblich daran schuld gewesen sein.

Damit aber entzog er dem HSV die wirtschaftliche Existenzfähigkeit. Dem ersten Lizenzantrag über 8,1 Millionen Euro, in dem mehrere Millionen Euro des Mäzens eingeplant waren, fehlte nach dem Rückzug die Grundlage. Nach der erwartbaren Ablehnung hatte der HSV einen auf etwa sechs Millionen Euro reduzierten Etatentwurf eingereicht. Doch auch der war nicht ausreichend gedeckt, obwohl die Spielergehälter weiter abgesenkt und die besten Profis wie Joan Cañellas und Andreas Nilsson sofort verkauft werden sollten.

Das zweite, für die Lizenzverweigerung entscheidende Problem: Bis zum Saisonende fehlten dem Club trotz des Verzichts der Spieler auf ihr Aprilgehalt noch 2,25 Millionen Euro. Die dadurch drohende Insolvenzgefahr sollte durch frisches Geld abgewendet werden: 750.000 Euro wollte Andreas Rudolph selbst beisteuern, nachdem ihn Spieler erfolgreich beschworen hatten, den HSV nicht im Stich zu lassen. 800.000 Euro sollten durch Einlagen in die Kommanditgesellschaft kommen, weitere 700.000 von anderen Geldgebern.

Doch die geplante Kapitalaufstockung konnte man der Liga nicht zweifelsfrei nachweisen. Zwar wurden in den Antragsunterlagen, die der HSV erst sieben Minuten vor Ende der Einspruchsfrist am 23. Mai eingereicht hatte, die Namen der neuen Kommanditisten aufgezählt. Beglaubigte Unterschriften oder eine Bankbürgschaft fanden sich nicht. Somit war die Finanzierung der laufenden Saison nicht gesichert. Auch für die nächste Spielzeit fehlten für drei Viertel der geplanten Einnahmen werthaltige Belege. Darauf soll die Liga den HSV in Vorgesprächen sogar wiederholt hingewiesen haben.

Noch vor einem Jahr hätte sich die Lizenzierungskommission wohl mit den vagen Zusagen abspeisen lassen. Nun aber ist das Prinzip Hoffnung abgeschafft. Es gelten neue Regeln – und die wollte die Liga nicht gleich bei der ersten Belastungsprobe brechen. „Die Lizenzbestimmungen sind für alle gleich – unabhängig vom Namen, von der Stadt oder der Marke“, sagte Kaiser.

Gleichwohl: Der Verlust des Standorts Hamburg wäre ein schwerer Rückschlag für die gesamte Sportart. Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes und Manager der Füchse Berlin, sprach sogar von einer „Katastrophe für den Handball und für die Liga“. Für die Füchse ließen sich in einem Sonntagabendheimspiel gegen Balingen-Weilstetten etwa 50.000 Euro weniger erlösen als gegen den HSV.

Dem droht nun der Gang in die Insolvenz. Denn die neuen Kapitaleinlagen standen unter dem Vorbehalt einer Bundesligalizenz. Ohne sie fehlt dem HSV das Geld, um die ausstehenden Zahlungen vor allem für Gehälter und die Hallenmiete an die O2 World zu leisten. Hatte der Einspruch gegen den Lizenzentzug aufschiebende Wirkung, würde Liekefett jetzt riskieren, sich der Insolvenzverschleppung schuldig zu machen. Denn eine seriöse Aussicht auf neue Einnahmen besteht nicht mehr. Eine Insolvenz würde den Zwangsabstieg bedeuten – und den Gang vors Schiedsgericht überflüssig machen.

Es wäre das Ende der Ära Rudolph. Die beiden Brüder haben zwar kein operatives Amt mehr inne, kontrollieren den HSV indes weiter über ihre Anteile sowie ein Millionendarlehen. Einen Verzicht hatten sie abgelehnt. Jetzt hat im HSV kaum noch jemand etwas für sie übrig – und sie kaum noch etwas für den HSV. „Ich habe jede erdenkliche Hilfestellung gegeben“, sagte Andreas Rudolph dem Radiosender NDR 90,3, „jetzt kann ich nicht mehr helfen.“

Ob es zwölf Jahre nach Übertragung der Bundesligalizenz des VfL Bad Schwartau auf den HSV einen Neuanfang in der Drittklassigkeit gibt, ist fraglich. Immerhin: Der Verein verfügt über einen soliden Unterbau mit sechs starken Jugendmannschaften. Möglich wäre, dass der HSV die Spieler seiner U23-Auswahl mit den verbleibenden Profis zu einem neuen Team verschmilzt. Kapitän Pascal Hens, einer der Weltmeister von 2007, mag sich damit gar nicht beschäftigen: „Ich hoffe sehr, dass es hier irgendwie doch noch weitergeht.“