Andreas Rudolph tritt als Präsident der Handballer zurück. Ohne sein Geld ist die Existenz des Champions-League-Gewinners akut gefährdet

Hamburg. Für diesen Freitag hat die Lizenzierungskommission der Handball-Bundesliga eine Sitzung in Hamburg anberaumt. Andreas Rudolph, der HSV-Präsident, war geladen, und dazu Schatzmeister Jens Lingthaler. Es gab da noch ein paar offene Fragen hinsichtlich der Finanzierung der kommenden Saison. „Dahin brauche ich ja wohl nicht mehr zu gehen“, soll Rudolph Lingthaler vor einigen Tagen beschieden haben. Inzwischen weiß man, wie die Aussage zu verstehen war: Am Donnerstagnachmittag ist Rudolph mit sofortiger Wirkung zurückgetreten.

Die „Turbulenzen der vergangenen Wochen, nicht nur um die Mannschaft und den Verein, sondern ganz besonders um meine Person“, hätten ihn zu diesem Schritt bewogen: „Ich kann es meinem Umfeld, besonders meiner Familie, Freunden, meinem Unternehmen und meiner Gesundheit gegenüber nicht mehr verantworten, dass in teilweise respektloser und vollkommen unrichtiger Weise über mich berichtet wurde.“ So heißt es in einer von Rudolph, 59, selbst verbreiteten Pressemitteilung. Sie erwischte auch den Champions-League-Sieger völlig unvermittelt: „Ich bin komplett geschockt“, sagte der neue HSV-Geschäftsführer Holger Liekefett dem Sport-Informations-Dienst und richtete einen dramatischen Appell an die Öffentlichkeit: „Wenn wir nicht schnell einen Bürgen oder Investor finden, dann wird es nur eine Konsequenz geben: Wir bekommen keine Lizenz und müssen die Mannschaft vom Spielbetrieb abmelden. Alles auf null.“

„Reset for the future“ – so hieß das Konzept, das Liekefett vor zwei Wochen vorgelegt hatte. Es sollte dem HSV den Weg in eine Zukunft ohne Rudolph weisen – einen jahrelangen Weg wohlgemerkt, in dem Sponsoren und Sparmaßnahmen dafür sorgen sollten, dass der Mäzen seine Zuwendungen nach und nach würde reduzieren können.

Der abrupte Rückzug führt nicht nur dieses Konzept ad absurdum, er gefährdet akut die Existenz des Vereins. Ohne Rudolphs Millionen ist der HSV derzeit nicht existenzfähig. Nachdem der Zuschauerschnitt in den vergangenen drei Jahren um mehr als 2000 gesunken ist und Sponsoren ausgestiegen sind, ist die Abhängigkeit sogar noch gestiegen.

Dies war so lange kein Problem, wie Rudolph seine Zusagen eingehalten hat, was er bis zu diesem Frühjahr auch stets getan hat. Ende 2004 hatte der Ahrensburger Medizinunternehmer (GesundHeits GmbH Deutschland) mit Privat- und Firmenvermögen den HSV vor der Insolvenz gerettet und zu einer Spitzenmannschaft aufgebaut. Wie viel von seinem Geld im Verein steckt, weiß wohl nur er selbst. Es könnten 40 Millionen Euro sein. Mit dem Gewinn der Meisterschaft 2011 hatte Rudolph das Präsidentenamt erstmals abgegeben. Damals allerdings war der Schritt lange angekündigt gewesen und versetzte kaum jemanden in Sorge. Denn als Mehrheitsgesellschafter zog Rudolph weiter die Strippen und fütterte den HSV mit seinem Geld.

Im vergangenen November dann trat er zum zweiten Mal das Amt an, das zwischenzeitlich zunächst Trainer Martin Schwalb und später Rudolphs Bruder Matthias bekleidet hatten. Als der nach kurzer Zeit aufgab, wurden die Rufe nach der Rückkehr des Mäzens auf den Chefposten so laut, dass sich Andreas Rudolph schließlich erweichen ließ. Die Begeisterung für die Aufgabe schien ihm da schon abhandengekommen zu sein. Jetzt ist die Lebensversicherung des HSV abgelaufen.

Im Februar hatte Rudolph den HSV bereits öffentlich als Sanierungsfall bezeichnet. Einen Monat später präsentierte er Liekefett als Hoffnungsträger, ließ ihn jedoch alsbald im Stich. Schon für die Märzgehälter der Spieler hatte Rudolph erst mit Verspätung Geld lockergemacht. Erst in letzter Sekunde konnte im April die Insolvenz abgewendet werden, indem Rudolph ein Darlehen über 750.000 Euro in Aussicht stellte. 600.000 Euro sind offenbar auch geflossen, einen weiteren Scheck über 40.000 Euro soll Rudolph Liekefett Anfang der Woche ausgehändigt haben. Es reicht bei Weitem nicht. Die Verbindlichkeiten sollen sich bis Saisonende auf drei bis vier Millionen Euro belaufen.

Dass er mit seiner Personalpolitik dafür mitverantwortlich sein könnte, wies Rudolph in seiner Erklärung weit von sich. Er wolle „nicht für eine Situation in Verantwortung genommen werden“, die er über zweieinhalb Jahre „nur sehr entfernt und ohne Einflussnahme begleitet“ habe.

Tatsächlich soll keine wichtige Entscheidung ohne Rudolphs Zustimmung gefallen sein, war er es doch in der Regel, der sie finanzierte. Als Gegenleistung bekam er eine Nähe zur Mannschaft, wie es sie für einen Boss in kaum einem anderen Verein gibt. Immer wieder lud Rudolph die Spieler und Trainer auf sein Anwesen nach Mallorca ein.

Zuletzt allerdings kühlte sich das Verhältnis zur Mannschaft spürbar ab. Dass sich nach der Niederlage Mitte April in Magdeburg nur zwei Spieler bei ihm gemeldet hätten, um sich für die Leistung zu entschuldigen, soll Rudolph gekränkt haben. Er selbst allerdings hatte zuvor erklärt, alle acht auslaufenden Verträge nicht zu verlängern.

Dass die Mannschaft sportlich hinter ihrer individuellen Qualität zurückblieb, mag zu seinem Verdruss beigetragen haben. Darüber konnte auch der Champions-League-Triumph nicht hinwegtäuschen. „Wir haben die beste Mannschaft aufgestellt und fliegen im Achtelfinale gegen Skopje raus“, hadert Matthias Rudolph und zieht eine Parallele zu seinem Geschäft: „Wenn ich eine Apotheke in einer Eins-a-Lage habe, aber nur Umsatz wie eine Dorfapotheke, dann geht es auch nicht weiter.“

Im Verein hofft man inständig, dass Rudolph zumindest dafür noch aufkommt, auf Forderungen verzichtet und dem Verein damit eine Überlebenschance gibt. Dem Radiosender NDR 90,3 sagte er am Abend: „Ich werde alle meine Sponsoren-Verpflichtungen erfüllen, aber kein privates Geld mehr in den Verein stecken.“ Damit ist die Bundesligalizenz in Gefahr. Sie wurde dem HSV bisher nur dank Rudolphs Patronatserklärung zugestanden.

Rudolph sieht jetzt die Stadt und die Wirtschaft in der Pflicht. Alle seien nun aufgefordert, „den HSV-Handball nicht fallen zu lassen und den Erfolg, die Begeisterung aufrechtzuerhalten, die er den Hamburgern gebracht hat“, heißt es in der Mitteilung.

Das HSV-Präsidium kam am Donnerstagabend zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Die Mannschaft muss versuchen, sich am Sonnabend im Heimspiel gegen die TSV Hannover-Burgdorf (19 Uhr, O2 World) von alldem nicht beeindrucken zu lassen.

Interimspräsident Frank Spillner versuchte am späten Abend Gelassenheit zu verbreiten: „Wir sind alle noch geschockt. Und klar ist im Moment, dass nichts klar ist. Aber den Fans würde ich sagen: Macht euch keine Sorgen!“