Der neue HSV-Präsident Matthias Rudolph bezieht Stellung über die Finanzprobleme und die neue Personalpolitik der HSV-Handballer.

Hamburg. "Zehn Jahre HSV Handball. Und das ist erst der Anfang", ist eine Broschüre betitelt, die der Hamburger Bundesligaklub in diesen Tagen herumreicht. Aber nach Feiern ist trotz des Jubiläums beim letztjährigen Meister niemandem zumute. Das Ansinnen, die Spielergehälter um 20 Prozent zu kürzen, und die Auftaktniederlage in Wetzlar drücken vor der Bundesliga-Heimpremiere gegen Großwallstadt am Sonnabend (19 Uhr, O2 World) auf die Stimmung. Der neue Präsident Matthias Rudolph, 54, bezieht Stellung.

Hamburger Abendblatt: Herr Rudolph, Sie sind Apotheker. Wissen Sie ein Mittel, das dem HSV Hamburg hilft?

Matthias Rudolph: Das Mittel, das wir brauchen, ist das, was der ganze Sport braucht. Viele sonnen sich im Erfolg. Aber wenn es darum geht, finanziell etwas für den Sport zu tun, ducken sich alle weg. Unser Verband hat in der Zielvereinbarung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund zwei olympische Medaillen eingeplant. Aber für die Basis der Vereine wird nichts getan, damit junge Leute ausgebildet werden können. Das ist, was dem HSV fehlt. Aber nennen Sie mir einen Handballverein, der im Geld schwimmt! Auch der THW Kiel ist am Limit.

Er hat die Spieler aber nicht zu einem Gehaltsverzicht aufgefordert.

Rudolph: Wir werden am Gehalt der Spieler aller Wahrscheinlichkeit nach Einsparungen vornehmen müssen. Wenn der Weg nicht mitgetragen wird, bekommen wir ein Problem. Das gilt auch für andere Leistungsempfänger im Verein. Wir beugen uns da auch einem allgemeinen Trend in vielen Berufsfeldern: Es wird entweder gleiche Leistung für weniger Geld verlangt oder deutlich mehr Leistung fürs gleiche Geld. Das betrifft Ärzte und Apotheker genauso wie Handballspieler.

Immerhin gibt es gültige Verträge.

Rudolph: Wenn Sie ein Geschäft betreiben und sich die Lage ändert, können Sie Ihrem Vermieter sagen: Ich kann die Miete nicht mehr aufbringen, will aber gern ein guter Mieter zu einem geringeren Satz bleiben. Ein schlauer Vermieter wird sich darauf einlassen.

Sie erwarten, dass alle Profis einwilligen?

Rudolph: Wir müssen natürlich Einzelschicksale berücksichtigen, aber nicht jedes Problem lösen. Die Mannschaft muss es als Gesamtheit tragen. Wenn sie den Verzicht eines Spielers mitträgt, der zum Beispiel gerade erst einen Vertrag unterzeichnet hat, dann ist das auch in Ordnung. Ob wir dann in ein normales Gehaltsgefüge kommen, vermag ich nicht zu sagen, da ich nicht weiß, was man beim THW Kiel verdient.

Setzen Sie mit einer solchen Maßnahme nicht den Ruf des HSV aufs Spiel?

Rudolph: Wenn Sie darunter verstehen, dass es heißt: Geh mal zum HSV, die zahlen und machen alles - auf diesen Ruf kann ich gut verzichten.

Hat sich der HSV in den vergangenen Jahren finanziell übernommen?

Rudolph: Wenn man um die großen Titel - Champions League, deutsche und spanische Meisterschaft - spielen will, muss man mit den Großen mitschwimmen. Wir konnten das jahrelang stemmen, momentan nicht mehr.

Heißt das, der HSV muss sich von den großen Zielen verabschieden?

Rudolph : Wir haben die Erwartungshaltung in Hamburg seit 2006 sehr hochgeschraubt. Ob es gelingt, über eine bessere Eingliederung von Talenten ähnliche Erfolge zu erzielen, ist fraglich. Wir haben eine gute Mannschaft. In Wetzlar haben wir das etwas verheimlicht. Aber wenn wir die nächsten drei Punktspiele gewinnen, sieht's gut aus.

Dazwischen steht noch die Champions-League-Qualifikation an. Drohen im Fall des Scheiterns weitere Einschnitte?

Rudolph: So ein großes Geschäft ist die Champions League ja nicht. Ob die Zuschauer auch im EHF-Pokal in die Sporthalle Hamburg kommen würden, ist allerdings schwer abzuschätzen.

Wussten Sie um die finanzielle Lage des HSV, als Sie das Amt antraten ?

Rudolph: Natürlich. Dass es nicht mehr so rosig weitergeht und uns das Finanzamt weitere Steine in den Weg legen würde, war klar. Und das Sponsoring bleibt ein schwieriges Feld. Es gibt kaum große deutsche Firmen, die sich im Handball engagieren.

Viele beim HSV hatten sich von Ihrer Kandidatur erhofft, dass die Geldquelle Rudolph wie in der Ära Ihres Bruders Andreas weitersprudelt. Wie stark können Sie sich finanziell engagieren?

Rudolph: Ich werbe mit dem HSV für meine Apotheken. Aber natürlich verfüge ich nicht über die Mittel meines Bruders. Mir geht es darum, den Verein so aufzustellen, dass die Einnahmen die Ausgaben decken und die Leistung stimmt. Glauben Sie mir: Ich hinterfrage jeden Tag, ob ich der Richtige bin.

Die Mannschaft ist nach dem Weggang der Gille-Brüder im Umbruch. Hätte der nicht schon früher kommen müssen?

Rudolph : Wir haben 2010 und 2011 in der Summe sieben Punkte mehr geholt als der THW Kiel. Welchen Grund sollten wir da haben, die Mannschaft auseinanderzunehmen? Das Problem war, dass viele Verletzungen dazwischenkamen. Es wäre auch nicht loyal gewesen, einigen Spielern zu sagen: Wir brauchen dich nicht mehr, deine Karriere geht zu Ende. Der THW Kiel hat den Vertrag mit Filip Jicha bis 2016 verlängert. Auch da gibt es keine Garantie, dass er so lange fit bleibt und sein Niveau hält. Ich glaube, wir haben bei Vertragsabschluss die Fähigkeit jedes Einzelnen richtig eingeschätzt.

Kann der HSV den THW Kiel angreifen?

Rudolph: Es sieht zwar nicht danach aus. Aber wir waren auch in der vergangenen Saison nicht so weit weg, wie es scheint. Trotz der vielen Verletzten hätten wir Kiel durchaus schlagen können.

Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?

Rudolph: Hauptziel ist, den Verein sportlich dort zu etablieren, wo wir stehen, ohne ständig auf Finanzspritzen angewiesen zu sein. Und wir wollen, dass die Hamburger sagen: Das ist unser Verein, da gehen wir hin, auch wenn nicht jedes Spiel gewonnen wird.

Können Sie Bedenken zerstreuen, dass Sie nur der verlängerte Arm Ihres Bruders sind, der immer noch die meisten Anteile an der Spielbetriebs-GmbH hält?

Rudolph: Dass ich mit meinem Bruder in Kontakt stehe, ist doch wohl klar. Ich wäre ja auch blöd, wenn ich sein Wissen nicht in Anspruch nähme. Aber die Entscheidungen im Tagesgeschäft liegen bei mir. Und wir haben schon auch mal andere Ansichten.

Worüber?

Rudolph: Wir haben jetzt die Chance, über einen längeren Zeitraum zu planen, auch weil die Erwartungshaltung nach der letzten Saison nicht mehr so hoch ist. Wir können nicht mehr den verpflichten, der gerade Torschützenkönig der EM oder WM geworden ist, sondern müssen schauen, wer den HSV in zwei, drei Jahren nach vorn bringt.

Lässt sich Ihr Amt von Ihrem Wohnort Bochum aus führen?

Rudolph: Im Moment ist es schwer. Ich muss häufig nach Hamburg, das ist weder fürs Berufs- noch fürs Privatleben gut. Ist erst einmal klar, in welche Richtung es geht, wird es sich einpendeln.

Welche Entwicklung soll der HSV in den kommenden zehn Jahren nehmen?

Rudolph: Ich hoffe und glaube, dass wir uns etablieren können. Aber ich kann nicht sagen, wohin die Entwicklung des Handballs geht. Vielleicht zurück in die Turnhallen? Wir dürfen uns nicht vertun: Dass wir mit dem Handball solche Feste feiern und es sich die Leute leisten können, in die Arenen zu gehen, ist nicht selbstverständlich. Klar ist, dass es nicht gut wäre, wenn Kiel so dominant bleibt. Wir wollen das verhindern.