HSV-Handballer müssen innerhalb von acht Tagen zwei ihrer Titelchancen wahren. Sonntag geht es in der Liga zum Spitzenspiel nach Kiel.

Hamburg. Wann das Spiel beim THW Kiel doch gleich sei, wollte Per Carlén gestern wissen: Sonnabend? "Sonntag", berichtigte Christian Pöhls, der Pressesprecher der HSV-Handballer. "Ah, das ist gut", sagte Carlén, "dann bleibt uns ein Tag mehr zur Vorbereitung." Aber eigentlich wollte der Trainer ohnehin nicht über das Spiel in Kiel reden, sondern nur über das in Lübbecke morgen (20.15 Uhr/live im Internet bei Sport1.de). Und er war sich ganz sicher, dass es seine Spieler genauso halten: "Für die ist das kein Problem, sie haben alle schon öfter in Kiel gespielt."

Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass an Carlén, 51, ein grandioser Schauspieler verlorengegangen ist. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Schwede tatsächlich jene Denkrichtung "von Spiel zu Spiel" verinnerlicht hat, mit der Profisportler so gern in Interviews langweilen. Was nützte dem deutschen Meister auch ein Sieg in Kiel, ginge das Spiel in Lübbecke verloren?

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Carlén hat deshalb "eine ganz normale Woche" ausgerufen. Dabei stehen seiner Mannschaft Tage bevor, in der sie viel gewinnen und noch mehr verlieren kann. Schreibt der HSV (22:4 Punkte) seine Serie von 19 Siegen fort, wäre die Meisterschaft, die so früh zugunsten des THW (28:0) entschieden zu sein schien, am Sonntag wieder interessant. Und am Mittwoch kommender Woche geht es im Pokalspiel bei den Rhein-Neckar Löwen um den Einzug ins Viertelfinale. Bei den Mannheimern hatte der HSV zu Saisonbeginn zwei Punkte verloren. Eine Woche der Entscheidungen.

Im günstigsten Fall könnte der Titelverteidiger aus Hamburg im direkten Duell mit dem Rekordmeister aus Kiel nach Minuspunkten gleichziehen - sofern der morgen das schleswig-holsteinische Derby in Flensburg verliert. "Für die Bundesliga wäre das gut", findet Carlén. Sein Vorstellungsvermögen reicht für ein solches Szenario allerdings nicht aus. In seiner Zeit als Trainer in Flensburg habe er gegen Kiel nie eine Chance gehabt: "Flensburg hat zu wenige Spieler, die gegen eine offensive Deckung etwas ausrichten können. Da kann man nicht stur draufgehen wie Holger Glandorf und Lars Kaufmann."

Wahrscheinlich also wird es in dieser richtungweisenden Woche für den HSV darum gehen, die Titelverteidigung im Bereich des Möglichen zu halten. "Wenn wir in Kiel gewinnen, haben die den Druck", glaubt Torwart Dan Beutler. Geht das Spiel in Kiel verloren, dafür ist Carlén Realist genug, könne man die Meisterschaft bei sechs Punkten Rückstand und deutlich schlechterer Tordifferenz abschreiben: "Ich sehe nicht, wie Kiel in der Rückrunde noch sieben Punkte abgeben soll." Denn eigentlich gebe es in Deutschland derzeit nur eine Mannschaft, die den souveränen Tabellenführer besiegen könne: seine eigene.

Man mag diese Sichtweise überheblich finden. Tatsächlich ist sie nur realistisch. Beim Supercup-Spiel, das Ende August in München die Saison einläutete, hatte der HSV die Kieler schon am Rand einer Niederlage und musste sich am Ende nur aufgrund vermeidbarer Fehler noch beugen. In den gut drei Monaten seither hat der HSV zweifellos die größeren Fortschritte erkennen lassen: Er beherrscht inzwischen ein zweites, offensives Deckungssystem, das mit jedem Spiel besser zu funktionieren scheint. Er hat das Tempo im Angriff deutlich erhöht. Und er hat das Vakuum im rechten Rückraum gefüllt, indem Renato Vugrinec verpflichtet wurde und Marcin Lijewski von seiner Operation genesen ist.

Gleichwohl bleibt es neben der Mitte die Position, um die sich Carlén am meisten sorgt: "Da sind wir nicht bei 100 Prozent." 60 Minuten sei Lijewskis lädiertes Sprunggelenk noch nicht belastbar. Spielmacher Michael Kraus will zwar in Kiel nach seinem Muskelfaserriss einen zweiten Comebackversuch unternehmen. Dass er bereits eine Verstärkung sein kann, ist nach bisher nur zwei Kurzeinsätzen nicht zu erwarten.

Möglicherweise unternimmt Kraus schon morgen einen Belastungstest. Als Versuchsfeld ist die Lübbecker Merkur-Arena aber eher ungeeignet. Die Rhein-Neckar Löwen mussten das Mitte November bei ihrer 31:32-Niederlage schmerzlich erfahren, auch der TV Großwallstadt verlor am vergangenen Sonnabend bei den Ostwestfalen.

Bei der taktischen Vorbereitung auf die Partie wird Carlén heute wie immer zwei, drei Namen von Gegenspielern rot markieren, die ihm besonders gefährlich erscheinen. Nur auf dieses Ritual will er gegen Kiel verzichten: "Da müsste ich ja jeden Spieler markieren."