Eine Niederlage beim HSV-Handball kostete Per Carlén im November 2010 den Trainerjob in Flensburg. Heute steht er auf der anderen Seite.

Hamburg. Seine letzte Begegnung mit den HSV-Handballern hatte bei Per Carlén mächtig Eindruck hinterlassen. "Man muss sagen, dass Hamburg überragend war", schwärmte der Schwede am Abend des 6. Novembers 2010, "sie haben uns zu einer Juniorenmannschaft gemacht." Zu diesem Zeitpunkt konnte Carlén nicht wissen, dass die 24:32-Niederlage in Hamburg sein letztes Spiel als Trainer der SG Flensburg-Handewitt bleiben würde. Sein Vertrag wurde fünf Tage nach dem krachend verlorenen Nordderby aufgelöst.

Ein knappes Jahr später kommt es heute in der O2 World zur Neuauflage (20.15 Uhr/Sport1). Der HSV ist inzwischen deutscher Meister und Carlén sein Trainer. Aber Angst vor einem Déjà-vu beim Wiedersehen mit seiner alten Mannschaft hat er nicht. Es gebe rückblickend auch nichts, wofür man sich rechtfertigen müsste: "Nachdem der HSV Igor Vori und Domagoj Duvnjak verpflichtet hatte, hatten wir einfach keine Chance mehr."

Carlén weiß, dass er an Aussagen wie diesen gemessen werden wird. Um seinen Job bräuchte er auch im Falle einer dritten Saisonniederlage kaum zu fürchten. Aber sie würde ihn in Erklärungsnot bringen. Und sie würde auch die Resthoffnung auf eine erfolgreiche Titelverteidigung zunichte machen. Der Sport-Informations-Dienst hat das Spitzenspiel der Bundesliga, für das 10 600 Karten verkauft wurden, pathetisch zum "Schicksalsspiel" ausgerufen.

+++ Nach Verletztenmisere: HSV Handballer holen Vugrinec +++

Nach den bisherigen Leistungen ist den Hamburgern alles zuzutrauen, im Guten wie im Bösen. Alle drei Vergleiche mit führenden deutschen Mannschaften gingen verloren. In der Champions League trumpfte der HSV dagegen zweimal souverän auf. "Wir können im Moment auch nicht einschätzen, wo wir stehen", sagt Carlén. Bisher sei er vornehmlich damit beschäftigt gewesen, die Ausfälle irgendwie zu kompensieren. Dass es seine Mannschaft in dieser Saison schlimm erwischt hat, ist ja nicht von der Hand zu weisen. Beim 25:26 in Berlin vor einem Monat standen ihm nur zwei gesunde Rückraumspieler zur Verfügung. Aber auch sie kamen kaum zur Geltung, weil Carlén auf die offensive Deckung der Berliner keine Antwort wusste.

Was nicht alles hätte sein können, darüber wird beim HSV in dieser Saison oft und gern spekuliert. Was wäre zum Beispiel, wenn Carléns Sohn Oscar die Saison nicht nach einem erneuten Kreuzbandriss abschreiben müsste? Über die weitere Behandlung seines Knies soll heute entschieden werden. Für den zweiten Halbrechten Marcin Lijewski kommt das Spiel gegen seinen ehemaligen Verein nach einer Sprunggelenksoperation noch zu früh. Spielmacher Michael Kraus wird nach seinem Innenbandriss in Kürze im Mannschaftstraining zurückerwartet.

Der kurzfristig eingekaufte Renato Vugrinec konnte im rechten Rückraum für etwas Entlastung sorgen. "Wenn er erst einmal eingespielt ist und die Verletzten wieder an Bord, sieht es beim Spiel in Kiel im Dezember schon ganz anders aus", sagt Carlén. Sollte es für die Meisterschaft dann schon zu spät sein, wäre das nicht nur dem Trainer anzulasten. Obwohl einige Spieler humpelnd in die Saison gingen, setzte der Klub auf das Prinzip Hoffnung. Als er sich nach Lijewskis Ausfall schließlich zu Vugrinecs Verpflichtung durchrang, waren die Spiele in Berlin und Mannheim bereits verloren. Zuvor hatte sich der deutsche Meister um den kroatischen Weltklassemann Petar Metlicic (RK Celje) bemüht.

Carlén weiß, dass er wenig Möglichkeiten hat, die Mannschaft nach seinen Vorstellungen umzubauen. Als er mit dem HSV verhandelte, überzeugte er die Verantwortlichen mit einem Nachwuchsförderkonzept. Inzwischen hat Klubmäzen Andreas Rudolph die Verträge fast aller Altstars verlängert. Carlén soll die nötige Zeit bekommen, sich an die Mannschaft zu gewöhnen und umgekehrt, darauf hat man sich in der Vereinsspitze offenbar verständigt.

Bei seinem Nachfolger Ljubomir Vranjes scheint dieser Prozess bereits abgeschlossen zu sein. Seit der 21:35-Auftaktniederlage in Kiel hat die SG alle fünf Spiele gewonnen. "Mal abwarten, was sie in Berlin und Mannheim machen", sagt Carlén schmunzelnd. Überraschen lassen wird er sich von seiner früheren Mannschaft nicht, da ist sich der Trainer sicher. "Ihre Abwehr habe ich ja entwickelt", sagt er und muss lachen: "Das ist schade, oder?"