HSV-Spieler Pascal Hens soll das deutsche Team bei der Handball-WM führen. Ob er morgen von Beginn an spielt, ist allerdings offen.

Hamburg. Vor einigen Jahren hatte der Internationale Handballverband IHF eine Idee. Er schaffte den Mannschaftskapitän ab. Seine Funktion, hieß es zur Begründung, beschränke sich ohnehin auf das Losen vor dem Anpfiff, und das könne von jedem x-beliebigen Spieler ausgeführt werden. Seither also gibt es dieses Amt nicht mehr, was ungefähr sämtliche Mannschaften dieser Welt nicht daran hindert, trotzdem einen Kapitän zu haben. Er trägt im Unterschied zu früher nur keine Armbinde mehr. Sonst hätte Torsten Jansen vermutlich anders reagiert, als er vergangene Woche zur Rolle seines Hamburger Kollegen Michael Kraus als Kapitän der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft vor einem Jahr befragt wurde. Jansen sagte: "Mimi Kraus? War der mal Kapitän? Ah!"

Vielleicht hat der Linksaußen die Geschehnisse von Österreich auch nur verdrängt. Verständlich wäre es. Kraus' Auftreten als Kapitän dort war, wie das der gesamten Mannschaft, eine einzige Enttäuschung: Deutschland wurde Zehnter. Der Weltmeister von 2007 war noch hinter Tschechien und Österreich zurückgefallen. "Jetzt sind wir einen Schritt weiter", versichert Pascal Hens. Er soll die Mannschaft als Kapitän in die 22. Weltmeisterschaft führen, die heute in Schweden beginnt und bei der Deutschland die schwerste Vorrundengruppe zugelost bekam. "Aber das kann auch ein Vorteil für uns sein, weil wir gleich wissen, wo die Messlatte liegt." Sein Klassenziel als Kapitän hat er für sich auch definiert: "Ich will vor allem für gute Stimmung sorgen."

Einer wie Hens, 30, hat Bundestrainer Heiner Brand in Österreich gefehlt. Die EM ließ er aus, um seinem geschundenen Körper eine Regenerationspause zu geben. Es war seine Lehre aus der WM 2009 in Kroatien, durch die sich der Hamburger gequält hatte, obschon er nicht fit war. Am meisten aber fehlten der Mannschaft seine Tore - Hens-Tore: mit Anlauf kommen, zur Mitte abbiegen, hochsteigen, bumm. Sie haben den 2,03-Meter-Mann aus der kleinen Handballwelt herausragen lassen, schon bevor er sich vor sieben Jahren einen blonden Irokesenschnitt als Markenzeichen zulegte.

Als Stefan Kretzschmar, Deutschlands einstmals bekanntester Handballer, seinem Nachfolger Hens jüngst öffentlich eine neue Frisur nahelegte, musste Wolfgang Gütschow lachen: "Pascal würde nie etwas machen, was nicht seinem Naturell entspricht, nur um sich ein neues Image zu geben." Der Spielerberater kann sich noch gut an die erste Begegnung mit Hens vor ziemlich genau zehn Jahren erinnern. Er habe damals in Mainz einem jungen Mann gegenübergesessen, der Handball spielte, weil es ihm einfach Spaß machte. Nicht mehr und nicht weniger. "Ihm war gar nicht bewusst, welche Riesenzukunft er vor sich haben würde." Und das Erstaunlichste sei: Hens habe sich diese Unbekümmertheit bis zum heutigen Tage bewahrt, ohne dass seine Einstellung zum Sport darunter gelitten hätte. "Er hat es immer geschafft, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren." Kein einziges Mal sei Hens auf ihn zugekommen, ob aus diesem oder jenem Vertrag nicht noch etwas mehr herauszuschlagen sei. Das kennt Gütschow, 48, offenbar auch anders. Für einen wie Hens, da legt er sich fest, stelle das Kapitänsamt keinerlei Belastung dar. Er fülle das Amt ja auch beim HSV seit Langem aus.

So erholt wie diesmal ist Hens zuletzt vielleicht beim WM-Heimsieg vor vier Jahren in ein großes Turnier gegangen. Bundestrainer Heiner Brand gibt sich überzeugt, dass er mit der Beförderung seines Kapitäns diesmal richtig liegt: "Pommes ist einer, zu dem die jungen Spieler aufschauen. Er wird seinen Einfluss auf die Mannschaft geltend machen." Nach den jüngsten Eindrücken stellt sich allerdings eine nicht ganz unwichtige Frage: Ist Hens auch stark genug, um die Mannschaft auf dem Spielfeld zu führen? Oder wird der Kapitän bei seiner fünften Weltmeisterschaft ein Hauptmann der Reserve sein?

Beim Tabellenführer Hamburg lief ihm in dieser Saison Blazenko Lackovic mit konstant überragenden Leistungen den Rang im linken Rückraum ab. Und in der Nationalmannschaft haben sich die Kronprinzen für die Königsposition längst warmgeworfen. Der Göppinger Lars Kaufmann, 28, ist mit einer Trefferquote von 5,8 pro Spiel der erfolgreichste Feldtorschütze der Bundesliga. Er ist einer von zehn verbliebenen Weltmeistern von 2007 - und vielleicht der einzige von ihnen, der sein Spiel seither noch einmal maßgeblich verbessern konnte. Sven-Sören Christophersen, 25, ist maßgeblich am Höhenflug der Füchse Berlin beteiligt und sagt: "Ich glaube schon, dass ich auch der Nationalmannschaft helfen kann."

Entgegen seinen Gepflogenheiten nimmt der Bundestrainer alle drei mit nach Schweden. Christophersen kann zur Not auch auf der Rückraummitte das Spiel machen. Und er kann, wie Kaufmann, zentral decken. Beides hat Hens nie gelernt. Er sagt: "Ich hätte kein Problem damit, von der Bank zu kommen. Nur weil man Kapitän ist, sollte man sich da nicht reinsteigern."

Wahrscheinlich haben die Regelhüter damals völlig recht gehabt.