Der deutsche Handball-Meister will beim Final Four der Champions League in der Kölner Lanxess-Arena seine erfolgreichste Saison krönen.

Köln/Hamburg. Als der Ahrensburger Unternehmer Andreas Rudolph, 56, den Handball-Sport-Verein Hamburg vor sechseinhalb Jahren vor der Insolvenz bewahrte und 4,1 Millionen Euro Schulden beglich, schrieb er dem Klub einen Masterplan. Bis 2010 sollte der HSV deutscher Meister werden und die Champions League gewinnen. Hinter Ziel eins konnte vor 17 Tagen der Haken gemacht werden. Ziel zwei ist an diesem Wochenende in Wurfdistanz. Noch nie war der Weg der Hamburger Handballer auf Europas Thron kürzer als jetzt in Köln beim Final Four. Nur zwei Spiele, das Halbfinale gegen BM Ciudad Real und das Endspiel gegen den FC Barcelona, trennen sie vom zweiten großen Titel.

Die Spanier setzten sich gegen den Bundesliga-Tabellenvierten Rhein-Neckar Löwen knapp mit 30:28 durch und stehen somit als erster Teilnehmer des Endspiels der Handball-Champions-League fest. Die Rhein-Neckar Löwen fanden zunächst überhaupt nicht ins Spiel. Überhastete Würfe, Fehlabspiel und Konzentrationsschwächen kosteten immer wieder den Ballbesitz. Schon in der 8. Minute lag der Bundesliga-Vierte gegen die Katalanen mit 0:4 zurück. Der Vorjahresfinalist aus Spanien nutzte seine Chancen konsequent.

Die Löwen liefen auch beim 4:8 (19.) einem Vier-Tore-Rückstand hinterher. Erst danach fing sich das Team aus Mannheim, verkürzte Tor um Tor und sicherte sich nach dem 10:10 (27.) zur Pause ein 12:12. Beim 15:14 (36.) führten die Löwen sogar erstmals, konnten den Vorteil aber nicht halten und gerieten durch leichte Fehler beim 20:25 (50.) mit fünf Toren ins Hintertreffen. Von diesem Rückstand erholte sich der Bundesligist trotz Kampfes nicht mehr.

Wie groß ihr Hunger auf diesen zweiten Titel für den HSV ist, muss abgewartet werden. "Ganz klar hatte die Meisterschaft in dieser Saison Priorität", sagt Trainer Martin Schwalb, 48. Entsprechend ausgiebig durfte die Mannschaft den ersehnten Erfolg genießen. Erst vor zehn Tagen begann die konzentrierte Vorbereitung auf Ciudad Real. Wer allerdings die 16 HSV-Profis in dieser Woche nach den Trainingseinheiten schwitzen sah, konnte erkennen, wie intensiv sie war. "Wir sind bereit für den letzten Schritt", erklärt Schwalb sein Team für fit, "es war wichtig für uns, dass wir einmal durchatmen und danach neue Spannung aufbauen konnten." Igor Vori, 30, der überragende Kreisläufer, sagt dann auch, was alle seine Kollegen denken: "Wir sind noch nicht fertig. Der Gewinn der Champions League wäre das Sahnehäubchen auf unsere herausragende Saison."

Dennoch: Wenn es um den wichtigsten Titel im europäischen Vereinshandball geht, spielen Zweifel weiter mit. Die kolportierten Manipulationsaffären der vergangenen Jahre, die sich um die Champions League ranken, sind immer noch nicht aufgeklärt. Und der Eindruck bleibt bestehen, dass die Europäische Handball-Föderation EHF eher gewillt ist, jene zu verfolgen, die diesen Missstand beklagen, als manch dunklen Hintergrund zu erhellen. So muss Alfred Gislason, der Trainer des THW Kiel, mit einem Ermittlungsverfahren der EHF rechnen, weil er nach dem Aus des Titelverteidigers im Viertelfinale gegen Barcelona öffentlich mutmaßte, Opfer eines Komplotts geworden zu sein. Sein Verdacht: Nachdem die Rhein-Neckar Löwen und der HSV am Tag zuvor das Final Four erreicht hatten, wäre ein dritter deutscher Vertreter in der Endrunde unerwünscht gewesen. Der Spielverlauf stützte derartige Spekulationen nicht. Barcelona war die bessere Mannschaft.

Der siebenmalige Champions-League-Sieger ist deshalb bei allen Wettanbietern Favorit auf den finalen Triumph in Köln - vor dem HSV. Die Hamburger, glauben die Verschwörungstheoretiker, werden der Endspielgegner, weil, sollte Barcelona im ersten Halbfinale die Rhein-Neckar Löwen bezwingen, die EHF fürchte, zwei spanische Klubs im Endspiel könnten sich als Stimmungstöter erweisen. Schwalb sind solche Gedanken zuwider: "Ich habe sehr viele Spiele der Champions League gesehen. Bei keinem kam mir in den Sinn, dass die Schiedsrichter manipulativ in den Verlauf eingegriffen hätten."

Der HSV scheint auch ohne Hilfe von außen stark genug, in Köln das Finale zu erreichen. Zwar verloren die Hamburger seit 2008 in der Champions League sechs der acht Spiele gegen Ciudad Real, die Spanier aber sind nicht mehr die überragende Mannschaft der vergangenen Jahre. In der heimischen Liga Asobal verloren sie ihren Titel an den FC Barcelona und jüngst in Doha (Katar) auch das Finale der Klub-Weltmeisterschaft gegen Kiel. Eine Handball-Macht bleiben sie trotzdem, dank ihrer Abwehr und ihres Torhüters Arpad Sterbik, 31, mit rund einer Million Euro Jahresgehalt der teuerste Handballspieler der Welt.

Der HSV kann dagegen auf den vielleicht stärksten und kreativsten Angriff der vier Endrundenteilnehmer setzen, auch wenn der Gesundheitszustand der angeschlagenen Bertrand Gille (Ellenbogen) und Michael Kraus (Wadenbeinköpfchen) nur Kurzeinsätze zulässt. "Der HSV ist jedes Jahr ein Stück stärker geworden", sagt Ciudad Reals Trainer Talant Dujshebaev, 42, "es wird ein riesiges Stück Arbeit für uns gegen diese Ansammlung voller Weltklassespieler. Aber nach den zurückliegenden Enttäuschungen wollen wir diesen Titel mehr denn je." Das könnte am Ende den kleinen Unterschied ausmachen.