Nach dem Erreichen des Halbfinales soll nach Wünschen des deutschen Teams noch nicht Schluss sein. Kapitän Lahm und Co. wollen nicht nochmals um Platz drei spielen. Taktik: Nur das Ergebnis zählt.

Rio de Janeiro. Joachim Löw lässt nicht locker. Schon 20 Stunden nach dem Viertelfinalsieg gegen Frankreich hat der hochmotivierte Bundestrainer die Vorbereitung auf das Traum-Halbfinale gegen Brasilien eröffnet. „Wir waren bei den letzten fünf Turnieren unter den letzten Vier. Jetzt wollen wir im Halbfinale den nächsten Schritt machen“, verkündete Löw mit Überzeugung.

Am Sonnabend versammelte er in Santo André bis auf Per Mertesacker alle seine WM-Spieler wieder auf dem Trainingsplatz, bevor es nochmals einen Familiennachmittag im Campo Bahia gab. Abwehrmann Mertesacker blieb mit einem „Anflug eines grippalen Infekts“ im Mannschaftshotel.

20 Spieler absolvierten auf dem Platz ein leichtes Regenerations-Programm. Torwart Manuel Neuer, ein Garant für das bisher erfolgreiche Weltmeisterschafts-Turnier der deutschen Mannschaft, war in Feldspieler-Kleidung zur Übungseinheit angetreten. Bastian Schweinsteiger, der auf dem Ergometer trainierte, bekam von der medizinischen Abteilung der Nationalelf ein Spezialprogramm für Erholung, Pflege und Aufbau verordnet.

Der DFB-Tross wird anders als bisher erst einen Tag vor der Partie gegen Brasilien (Dienstag/22.00 Uhr) in den Spielort Belo Horizonte aufbrechen. Jede Stunde im Campo Bahia soll genutzt werden. Erst einmal öffnete Löw aber am Sonnabend die Tore des WM-Quartiers für Familienbesuche. Ab Sonntag geht der Fokus nur noch auf Brasilien

Wir kommen wieder! Die Botschaft der platten, aber überglücklichen Frankreich-Bezwinger war deutlich. „Ich brauche nicht mehr um Platz drei zu spielen – definitiv. Wir haben jetzt auch schon in der Kabine gesagt: Toll, wir sind wieder im Halbfinale, das war unser großes Ziel, wieder da zu stehen. Aber man will mehr, definitiv“, erklärte Kapitän Philipp Lahm nach dem hart erkämpften und verdienten 1:0-Sieg im Viertelfinale gegen die „Grande Nation“. Nicht das dritte „kleine Finale“ nacheinander, sondern das große Endspiel erneut im Maracanã ist vor dem Klassiker gegen Brasilien das klare Ziel.

Im Eiltempo war der DFB-Tross direkt nach dem vor allem durch Organisation, Disziplin und den neuen Kopfball-Giganten Mats Hummels errungenen Arbeitssieg gegen spielstarke Franzosen ins Stammquartier Campo Bahia zurückgereist. Keine Minute verschwenden, auch für längere Feierlichkeiten fühlten sich Manuel Neuer und seine Kollegen durch den 13. Halbfinaleinzug einer deutschen WM-Auswahl noch nicht animiert. „Die Mannschaft ist gefestigt, stabil, war gut drauf“, bemerkte Löw kurz und prägnant.

Wie seine Spieler freut sich der Chefcoach nun auf die große Prüfung für den Endspiel-Einzug. „Was gibt es Schöneres, als im Fußball-Traumland gegen Euer starkes Team in einem WM-Halbfinale zu stehen“, übermittelte Löw nach dem 2:1-Sieg des Rekordweltmeisters in Fortaleza gegen Kolumbien an die Seleção. „Glückwunsch, Brasilien! Ihr spielt und organisiert eine fantastische WM. Das wird ein großes Spiel in Belo Horizonte.“ Den Ausfall von Topstar Neymar, für den nach einem Wirbelbruch das Heimturnier beendet ist, bedauerte die Sportliche Leitung des DFB und schickte beste Genesungswünsche. „Es ist schade, wenn sich so ein Weltklassespieler verletzt und aus dem Turnier ausscheidet“, bedauerte Löw-Assistent Hansi Flick.

Löws personelle Umstellungen gegen Frankreich, zu denen er sich auch nach einigen kontroversen Diskussionen in der Sportlichen Leitung und im Team durchgerungen hatte, passten und gaben dem Spiel des dreimaligen Weltchampions in der Mittagshitze von Rio neuen Esprit. „Natürlich ist die Mannschaft vorbereitet auf das, was ich plane. Da gibt es auch Gespräche, logisch“, berichtete der 54-Jährige und fügte mit einem versteckten Hinweis auf seine Kritiker hinzu: „Das ist vielleicht auch eine unserer taktischen Stärken, dass wir unterschiedlich spielen können.“

Lahm zurück auf die Position des rechten Verteidigers, Routinier Miroslav Klose als Angriffsspitze, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira wieder gemeinsam in der Mittelfeldzentrale, dazu das neue Innenverteidiger-Duo Mats Hummels und Jérome Boateng – das alles brachte mehr Organisation und mehr Struktur ins Spiel. Zwar sah der Bundestrainer „keine völlige Veränderung“ in seinem personellen Konzept. Aber irgendwie habe er für das Spiel gegen die im Zentrum besonders starken Franzosen das Gefühl gehabt, „einfach mal einen neuen Reiz zu setzen“, erläuterte Löw.

„Philipp gibt uns absolut Optionen im Spiel nach vorne. Er kann es ankurbeln von rechts. Das macht unser Spiel ein bisschen unberechenbarer“, betonte Lahms Bayern-Kollege Toni Kroos und schloss an: „Wir haben bislang sehr viel durch die Mitte gespielt.“ Für Löw hatte die Rückversetzung des Kapitäns einen taktischen Hintergrund: „Wir mussten von außen mehr kommen und mehr erwirken.“

Löw nimmt in seinem vierten Turnier als Chef auch keine Rücksicht mehr auf persönliche Befindlichkeiten seiner Spieler. Nur der Erfolg zählt, das Ergebnis steht über allem. So war gegen Frankreich plötzlich Mertesacker nur noch Ersatz. „Ich habe mit ihm geredet, er hat super reagiert und gesagt: 'Trainer, ich weiß, wie ich der Mannschaft helfen muss und helfen kann.' Das hat er gemacht in der Kabine“, erzählte Löw. Ein Garant für das bisher erfolgreiche Turnier in Südamerika, bei dem sich viele Favoriten vorzeitig verabschiedet hatten, liegt in der wiedergewonnenen Defensivstabilität des Teams.

„Wir arbeiten defensiv hart, viele von uns haben das gefordert. Man kann eine WM nicht mit einem Schnitt von zwei Gegentoren gewinnen“, verriet Abwehrmann Hummels, der neben seiner Hauptaufgabe in Brasilien als Nebenbeschäftigung auch noch wichtige Tore erzielt. „Wir waren sehr aufsässig, saßen dem Gegner ständig im Nacken, haben ihn bearbeitet“, beschrieb Löw die kollektive Störarbeit.

„Methode steckt da nicht dahinter, die Bälle sind einfach gut geschlagen“, meinte Hummels zu seinem zweiten WM-Kopfballtor: „Ich habe einfach am richtigen Fleck gestanden.“ Das traf auf fast alle anderen deutschen Spieler in Rio auch zu, nur Mesut Özil fiel krass ab. Und bei Sami Khedira ist noch immer die lange Wettkampfpause nach seinem Kreuzbandriss zu spüren, vor allem in den Zweikämpfen hielt sich der Profi von Real Madrid gegen Frankreich auffällig zurück.

Am Dienstag (22 Uhr MESZ) muss das Löw-Team nochmals Höchstleistung abrufen, womöglich noch einen Tick mehr bringen. „Brasilien hat große Qualität von den Einzelspielern. Da spielst du gegen ein gesamtes Stadion, gegen ein gesamtes Land. Das ist dann schon etwas Besonderes“, warnte Kroos, der auf dem Weg zum Khedira-Club nach Madrid scheint.

„Jeder Einzelne kriegt das kräftemäßig hin. Jetzt zum Ende ist das auch Kopfsache. In einem Halbfinale kann jeder 90 Minuten marschieren“, meinte der Noch-Münchner. Erst einmal aber müssen sich die matten WM-Recken von der Hitze und den Strapazen in Rio erholen. „Das war wie in einer Grillbude“, sagte Thomas Müller. Schweinsteiger bekam ein Regenerations-Spezialprogramm verordnet.