Torhüter Manuel Neuer verrät erstmals, warum er sich tatsächlich verletzte, wie Thomas Müller mit dem Hype umgeht und wie er sich auf das zweite Gruppenspiel gegen Ghana vorbereitet.

Santo André. Um den lange an der Schulter verletzten Manuel Neuer muss man sich wirklich keine Sorgen mehr machen. Mal sieht man den Torhüter der deutschen Nationalmannschaft mit Bastian Schweinsteiger am Strand beim Sambatanzen, dann geistert ein Video von ihm durchs Internet, in dem er im Bahia-Trikot auf Portugiesisch versucht, die bahianische Hymne zu singen. Und auch zum Interviewtermin auf der Terrasse im Costa Brasilis kommt Neuer, natürlich in kurzer Hose, Badelatschen, in bester Laune.

Hamburger Abendblatt: Herr Neuer, ganz Deutschland liegt Thomas Müller zu Füßen. Hat der Kerl in Ihrer Schafskopfrunde eigentlich genauso viel Erfolg wie auf dem Fußballplatz?

Manuel Neuer: Das hängt vom Blatt ab. Er verliert auch manchmal.

Beim Fußball scheint er der geborene Gewinner zu sein.

Neuer: Beim Fußball ist er aber auch von den Bällen abhängig, die er zugespielt bekommt. Alleine kann er da wenig ausrichten. Das ist beim Schafskopf aber ähnlich. Auch da brauchst du das richtige Blatt, um deine Stiche zu machen.

Bekommen Sie hinter Ihrem Eukalyptuszaun den Hype, der in der Heimat um Müller ausgebrochen ist, mit?

Neuer: Ich persönlich bin nicht so der Typ, der ständig im Internet surft. Da wäre Thomas selbst der richtige Ansprechpartner. Der liest sich nämlich vieles durch. Der ist, was das angeht, so ein bisschen unser kleiner Spion.

Befremdet Sie der Personenkult, der da gerade mal wieder ausgebrochen ist?

Neuer: Ach, das kennt man als Spieler. Das kann sich auch ganz schnell wieder umkehren. Du bist den einen Tag der Held und am anderen Tag schon wieder der Depp. Als Profi lernt man, damit umzugehen und darauf nicht allzu viel zu geben.

Haben Sie selbst es tatsächlich schon so empfunden, der Depp zu sein?

Neuer: Ich weiß meistens schon unmittelbar nach dem Spiel, was da kommen wird. Das gehört zum Geschäft. Die Bewertungen, die Leute geben, die nicht aus dem Profigeschäft kommen, sind nicht so wichtig für mich.

Kurz vor der WM hat Thomas Müller in einem „Stern“-Interview gesagt, dass er fast schon ein bisschen Angst hat, angesichts der regelmäßigen Erfolge vor allem mit dem FC Bayern München geradezu abzustumpfen und Titel gar nicht mehr so genießen zu können. Geht es Ihnen da ähnlich?

Neuer: Nein, überhaupt nicht. Bei mir ist der Erfolgshunger groß. Und hier in Brasilien Weltmeister zu werden, wäre dann noch mal etwas ganz anderes als ein Pokalsieg oder eine deutsche Meisterschaft. Das wäre das Größte.

Sie waren 2010 ein echter WM-Neuling. Jetzt sind Sie als Welttorhüter ins Turnier gegangen. Was macht da den Unterschied aus?

Neuer: Vor allem der Erfahrungsschatz, international schon so viel erlebt zu haben und dadurch gereift zu sein. Vor vier Jahren haben wir unser Auftaktspiel beispielsweise auch 4:0 gewonnen. Dann ging das zweite Gruppenspiel gegen Serbien 0:1 verloren und wir gerieten mächtig unter Druck. Das habe ich nicht vergessen. Und ich weiß, dass man sich nach einem Sieg im Auftaktspiel nicht ausruhen kann.

Ganz Deutschland hat um die „Schulter der Nation“ gezittert. Hatten Sie zwischendurch mal Angst, dass Sie bis zum WM-Auftakt nicht fit werden würden?

Neuer: Ich war eigentlich immer ganz locker.

Ehrlich?

Neuer: Na ja, ich habe im Pokalfinale schon gleich gemerkt, dass da was kaputtgegangen ist. Ich habe dann gleich versucht, die Schulter etwas zu schonen. Aber dann kam doch die eine oder andere Situation, wo ich voll hingehen musste. Da hat es einmal mit Lewandowski richtig gerappelt. Den Pokal habe ich dann lieber nur mit dem linken Arm hochgehalten. War ganz schön schwer mit nur einer Hand …

Da müssen Sie doch eine schlimme Vorahnung gehabt haben.

Neuer: Ein ungutes Gefühl hatte ich zunächst schon. Aber dann, als die Bilder aus dem MRT ausgewertet worden waren, hatte ich auch Gewissheit, dass es nicht ganz so schlimm sein würde.

Nicht ganz so schlimm? Ein Normalbürger bekommt bei einer solchen Kapsel- und Bänderverletzung sechs Wochen Sportverbot. Sie spielen vier Wochen später schon bei der Weltmeisterschaft. Wie geht das?

Neuer: Ich wurde ja rund um die Uhr betreut. Im Trainingslager in Südtirol bin ich quasi im Behandlungszimmer eingesperrt worden. Das war mental ganz schön hart für mich. Die anderen Spieler habe ich da nur zum Essen gesehen. Da war es schon ein gutes Gefühl, irgendwann die Laufschuhe anziehen und auf dem Platz herumlaufen zu dürfen.

Sie haben sich Ihre Verletzung im Pokalfinale bei einer typischen Manuel-Neuer-Aktion an der Seitenlinie zugezogen …

Neuer: …, wobei das alles nicht passiert wäre, wenn der Balljunge den Ball nicht so schnell wieder zurückgeworfen hätte. Das habe ich im Fallen gesehen, und nur deswegen musste ich so schnell zurück ins Tor.

Der Balljunge war schuld an Ihrer Verletzung?

Neuer: Na ja, der Rasen war nass, ich hatte ein bisschen Pech, aber der Balljunge hatte auch seinen Anteil. Ich habe ihn danach auch kurz zur Rede gestellt.

Haben Sie ihn gefragt, ob er aus Dortmund kommt?

Neuer: Ach, im Spaß bin ich ein wenig ernster geworden. Er hat dann nichts gesagt, aber wirklich böse war ich natürlich auch nicht. Wir waren ja auch gerade erst Pokalsieger geworden.

Nehmen Sie jetzt noch Schmerzmittel?

Neuer: Ich habe von Anfang an keine Schmerzmittel genommen. Ich will in meine Schulter reinhorchen können, ich will selbst entscheiden, wann ich mich gut fühle und wann es vielleicht ein wenig zu viel ist.

Ändern Sie denn an Ihrem Torwartspiel etwas, nachdem Sie sich nach einem Ihrer berühmten Manuel-Neuer-Ausflüge verletzt haben?

Neuer: Auf keinen Fall. Verletzungen passieren, aber deswegen ändere ich doch nicht mein Torwartspiel. Ich habe mir die Szene danach auch noch mal auf Video angeschaut. Und bei der Analyse wurde klar, dass ich auch in dieser Szene aus dem Tor musste.

Und was haben Ihnen die Videoanalysten über die speziellen Stärken und Schwächen der Ghanaer berichtet?

Neuer: Ach, man kann sich ja auch immer nur im Rahmen auf den Gegner vorbereiten. Weltklassespieler, und davon gibt es bei der WM ja nun mal genug, können alles machen. Darauf kann man sich dann nur schwer einstellen. Aber für mich als Torwart ist natürlich besonders wichtig, wie sich die Ghanaer bei Standardsituationen verhalten.

In München wird Ihrem Wunsch gefolgt: Bei Ecken stehen keine Mitspieler am Pfosten. Bei der Nationalmannschaft stehen normalerweise gleich zwei Kollegen an den Pfosten …

Neuer: … jetzt nur noch einer.

Dann haben Sie sich also gegen Bundestrainer Joachim Löw und Torwarttrainer Andreas Köpke durchgesetzt und sie auf einen Spieler heruntergehandelt?

Neuer: So kann man das nicht sagen. Aber natürlich sprechen wir miteinander. Ich muss mich wohlfühlen, aber genauso müssen sich meine Abwehrkollegen wohlfühlen. Und wenn die bei Ecken ein ungutes Gefühl haben, dann nehme ich mich gerne ein bisschen zurück und gebe den Kollegen ein gutes Gefühl.

Aufstellung zum Großklicken