Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff spricht über deutsche Stärken bei Turnieren, seine unterschätzte Arbeit und seinen möglichen Abschied.

Erasmia. Sein Vertrag mit dem DFB endet wie der des gesamten Trainerstabs nach dem Ende der WM, im Zuge der geplatzten Vertragsverlängerung ging viel an Vertrauen zu Bruch. Im Abendblatt-Interview nimmt DFB-Manager Oliver Bierhoff auch zu seiner ungewissen Zukunft Stellung.

Abendblatt: Herr Bierhoff, haben Sie alles getan, damit Deutschland diese berühmte Turniermannschaft wird?

Oliver Bierhoff: Man hofft es. Wenn man Spieler oder Betreuer fragt, haben wir unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen alles optimal gelöst. Diese Woche war ein Fifa-Generalkoordinator bei uns, der uns bescheinigt hat, dass dies hier das beste Teamquartier sei, das er bisher gesehen habe. Ich glaube schon, dass eine gute Organisation und Betreuung der Spieler, verbunden mit der entsprechenden Atmosphäre innerhalb der Mannschaft und im Betreuerstab, einen Anteil haben wird am Erfolg des Teams.

Jetzt müssen es die Spieler umsetzen.

Das ist das Wichtigste, liegt aber nicht mehr in unserer Hand. Es hilft alles nichts, wenn man später sagen muss: Toll, wir hatten eine schöne Zeit, aber der Erfolg stellte sich nicht ein.

Es heißt ja immer, im Fußball gebe es keine Garantien. Kann man zumindest die Wahrscheinlichkeit für Erfolg erhöhen?

Ich glaube schon. Es ist wichtig, dass jeder bis in den kleinsten Bereich, ob das die Physiotherapeuten sind oder der Koch, sein Bestes gibt. Bei der Betrachtung des Erfolges seit 2004, auch vom Image der Mannschaft her, wäre es mir zu banal, einfach nur zu sagen: Na ja, die Jungs haben Selbstvertrauen gewonnen, oder Jürgen Klinsmann hat alle motiviert. Es gibt viele Komponenten, von den Abläufen, vom Umgang, der Atmosphäre, wie man den Spielern den Tag gestaltet. Das alles führt zu einem Betriebsklima, das wiederum auf die Leistung Auswirkungen hat.

Wird diese Arbeit im Hintergrund immer noch unterschätzt?

Damit muss man leben. Viele erkennen diese Mosaiksteinchen und unterschwelligen Dinge nicht. Wie das Sofa, auf dem wir gerade sitzen. Muss das sein, oder trägt es womöglich zu einer netteren Gesprächsatmosphäre bei? Viele unterschätzen diese Dinge und sagen: Das ist doch einfach. Aber man muss das alles erst mal umsetzen.

Fühlen Sie sich zu wenig gewürdigt?

Für mich ist das nicht so wesentlich. Klar freut man sich, wenn die Arbeit anerkannt wird, aber viel wichtiger ist, dass ich für mich selbst weiß, ob ich wirklich etwas Gutes geleistet habe oder nicht. Daraus ziehe ich auch meine Freude.

Also dann: Worüber freuen Sie sich denn seit Ihrem Amtsantritt 2004?

Damals habe ich gesagt: Das ist eine Mannschaft, mit der sich viele deutsche Fans nicht identifizieren, die manchmal sogar als ,Sch...-Millionäre' beschimpft wurde. In den vergangenen sechs Jahren haben wir eine Mannschaft neu geformt, hinter der das ganze Land steht und die großen sportlichen Erfolg erzielt hat. Ein Team, das sich stetig weiterentwickelt hat und das Image des deutschen Fußballs und der deutschen Nationalmannschaft unglaublich gesteigert hat. Daraus folgt natürlich vieles: der wirtschaftliche Erfolg, Mitgliederzuwachs im DFB, die Erhöhung der Sponsoringeinnahmen, volle Stadien, Millionengewinne bei beiden großen Turnieren und vieles mehr.

Aber wenn die WM 2006 ein Misserfolg gewesen wäre ...

... der Jürgen (Klinsmann, d. Red. ) hat damals zum Spaß ein Foto rumgeschickt mit einer kleinen Insel, auf der vier Stühle standen, und schrieb dazu: ,Wenn das Ding in die Hose geht, können wir uns dahin verpflanzen.' Der Druck bei der WM im eigenen Land war unglaublich, aber auch der Startschuss für eine entspannte nationale Identifikation, die durch Kleinigkeiten gefördert wurde: durch Aussagen der Spieler, den Umgang mit den Fans, Imagespots für Integration oder Bolzplätze.

Sie wirken damals wie heute in der Mannschaftsführung wie ein verschworener Haufen.

Dieser enge, loyale und vertrauensvolle Umgang bringt unglaublichen Spaß. Unter uns gibt es keine Eifersüchteleien oder Positionierungen, aber trotzdem einen kritischen, offenen Umgang und das Verfolgen einer gemeinsamen Philosophie.

Das Team scheint ein Verfallsdatum zu haben, es gab heftige Schlagzeilen um die geplatzten Vertragsverlängerungen. Blenden Sie die Zeit nach der WM völlig aus, oder reden Sie im kleinen Kreis darüber, was danach kommt?

Natürlich herrschte nicht ein halbes Jahr Funkstille. Wir haben im Vorfeld darüber gesprochen, wie es weitergehen kann, und man macht sich auch so seine Gedanken. Aber derzeit ist es wirklich so: Wir machen jetzt die WM hier und wollen optimale Arbeit abliefern. Die offene Zukunft ist kein Hindernis und absolut kein Thema. 2006 war es im Prinzip allerdings auch nicht anders vom eigenen Selbstverständnis her. Unser Job wird nun einmal stark leistungsabhängig beurteilt.

Malen Sie da nicht zu schöne Farben?

Für mich persönlich ist es wirklich schön, diese Freiheit zu haben. Ich denke, dass Joachim Löw auch so tickt. Man schaut einfach, wie die Stimmung nach dem Turnier ist, wie sich die Situation darstellt, welches Gefühl man hat. Bezüglich der Mannschaft, dem Betreuerstab und natürlich der DFB-Führung.

Wäre es nicht fahrlässig, die Zukunft der Mannschaftsführung womöglich von einem verwandelten oder verschossenen Elfmeter abhängig zu machen?

Für mich wäre die Antwort unter sportlichen Gesichtspunkten eindeutig: Jogi Löw hatte immer wieder den Mut, neue Spieler hereinzunehmen und das Spiel zu entwickeln. Die Mannschaft zieht mit, spielt attraktiv und hat Erfolg.

Würden Sie ihm zuraten, auch ohne Sie weiterzumachen?

Wir sind als Team stark und schätzen uns. Aber wir wissen beide, dass wir individuelle Typen sind und jeder seinen eigenen Weg gehen kann. Ich würde nie sagen, dass er seine Zukunft von meiner abhängig machen sollte.

Stört es Sie, dass DFB-Präsident Theo Zwanziger nur immer davon sprach, dass mit Löw verlängert werden soll?

Wenn das so formuliert wird, ist aus meiner Sicht immer die gesamte sportliche Leitung gemeint.

Rechnen Sie also damit, dass es für Sie weitergeht?

Ich bin ganz entspannt. Ich rechne mit gar nichts. Das ist auch nicht so dahergesagt. Nationalmannschaft ist etwas Schönes, aber es ist auch nicht alles. Ich hatte mir auch selbst vor einem halben Jahr Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll. Ich habe Stand heute keine Meinung. Vielleicht obliegt mir die Entscheidung sowieso nicht, wenn das Turnier schiefläuft. Und wenn ich selbst eine Entscheidung treffen kann, könnte ich Ihnen heute nicht sagen, was ich machen werde.

Zählt für Sie persönlich nur der Titel, oder was wäre für Sie ein Erfolg?

Selbstverständlich muss jeder deutsche Spieler immer die Vision und den Traum in sich haben, einen Titel zu holen, da darf man sich nicht selbst limitieren. Trotz der sportlichen Bedeutung der Ereignisse wollen wir aber auch Vorbilder sein. Ich möchte unter den Bedingungen Weltmeister werden, dass wir Deutschland gut vertreten, einen sympathischen Auftritt auf und außerhalb des Platzes hinlegen und versuchen, offensiven und somit interessanten Fußball zu spielen. Im Notfall muss man aber respektieren, wenn andere besser sind oder Glück hatten.

Beim Confed-Cup 2005 herrschte eine große Unsicherheit über das abrufbare Potenzial der Mannschaft. Ist das heute vergleichbar?

Das kann man schon sagen. Die 2008er-Mannschaft war eine normale Weiterentwicklung oder Ergänzung der 2006er-Mannschaft. Während der Qualifikation für die EM 2008 war bei ihr noch viel von der 2006-Euphorie zu spüren. Die jetzige Mannschaft ist eine neue Mannschaft mit vielen jungen Mitgliedern, die schon sehr reif sind für ihr Alter, ob Neuer, Khedira oder Özil. Aber sie haben noch nie die heiße Phase eines WM-Turniers erlebt. Insofern ist man guter Hoffnung, aber auch gespannt, wie sie damit umgehen werden.

Fühlt sich die Mannschaft auch anders an in ihrer neuen Struktur?

Ja. Man merkt eine angespannte Neugierde und kindliche Freude auf dieses besondere Turnier, keine Abgeklärtheit nach dem Motto: Ich weiß ja, was da auf mich zukommt. Durch die Leistungsdichte macht sich ein großer Wettbewerbskampf bemerkbar, aber nur auf dem Platz. Gespannt bin ich, wie gefestigt die Mannschaft ist. In den Freundschaftsspielen der vergangenen zwei Jahre war bemerkbar, dass wir Probleme hatten, in unser Spiel zu finden, wenn wir in Rückstand gerieten. Aber da haben wir beim 3:1 gegen Bosnien-Herzegowina ein Zeichen gesetzt.

Wäre ein Sieg gegen Australien bei dieser jungen Mannschaft noch wichtiger als bei jedem Turnier?

Gut in ein Turnier zu starten ist nie eine Garantie für einen erfolgreichen Verlauf. Aber es wäre schon wahnsinnig hilfreich, weil dann der erste Knoten geplatzt ist.