St. Paulis Lasse Sobiech und Julian Koch verbindet mehr als der aktuelle Kampf gegen den Abstieg und die gemeinsame Vergangenheit beim BVB

Beide sind 24 Jahre alt, sind in ihrer gesamten Jugend bei Borussia Dortmund ausgebildet worden und schafften dort den Sprung in den Profikader, sie wurden schon mehrmals an andere Clubs verliehen und erlitten schon schwere Verletzungen. Jetzt haben Lasse Sobiech und Julian Koch die gemeinsame Aufgabe, den FC St. Pauli in den verbleibenden 15 Spielen der Zweiten Liga vor dem drohenden Abstieg zu bewahren.

Hamburger Abendblatt:

Sie sind beide innerhalb von nur gut zwei Monaten in Schwerte geboren. Hat diese Stadt noch mehr zu bieten als zwei Fußball-Profis?

Julian Koch:

Schwerte hatte früher ein schönes Schwimmbad.

Lasse Sobiech:

Und einige Kanu-Weltmeister und Olympiamedaillengewinner. Dazu ist Schwerte etwas idyllischer als Dortmund.

Was sind Ihre jüngsten drei Siege in den Testspielen, darunter beim Erstligisten Paderborn, überhaupt wert?

Koch:

Es hat uns auf jeden Fall ein positives Gefühl gegeben, drei Spiele in Folge zu gewinnen und dabei kein Gegentor zu bekommen. Aber Sandhausen hat sich auch viel vorgenommen. Jetzt geht der Abstiegskampf richtig los.

Wie wichtig wird es sein, auch in der Liga gut ins Jahr 2015 zu starten?

Sobiech:

Das ist immens wichtig. Die Partie in Sandhausen ist schon ein ganz entscheidendes Spiel. Wenn wir es da durch ein positives Ergebnis schaffen, ein gutes Gefühl mitzunehmen und gleichzeitig Sandhausen mit unten hineinzuziehen, kann es eine richtig gute Rückrunde werden.

Was zeichnet das seit Mitte Dezember beim FC St. Pauli amtierende Trainer-Duo Ewald Lienen und Abder Ramdane aus?

Koch:

Die beiden Trainer zeichnet aus, dass sie sehr akribisch mit uns arbeiten. Wir machen viele Videoanalysen, in denen bis ins Detail alles auseinandergenommen wird. Für uns ist wirklich gut, dass jeder genau Bescheid weiß, wo er was er zu tun hat. Die beiden ergänzen sich sehr gut, auch wenn sie sich manchmal nicht ganz einig sind.

Herr Sobiech, wie schwer ist es, sich immer wieder auf einen neuen Trainer einzustellen. Sie haben in den vergangenen eineinhalb Jahren unter sieben Trainern gearbeitet – beim HSV unter Thorsten Fink, Rodolfo Cardoso, Bert van Marwijk und Mirko Slomka sowie bei St. Pauli unter Roland Vrabec, Thomas Meggle und jetzt Ewald Lienen. Das dürfte ein kaum zu überbietender Wert sein.

Sobiech:

Das ist natürlich nicht gut. Gerade wenn man Stammspieler ist, will man immer seinen Trainer behalten und mit dem Erfolg haben, denn schließlich lässt der einen spielen. Für einen Spieler ist es immer das Beste, wenn er über einen längeren Zeitraum einen Trainer hat. Mit dem jetzigen Trainer-Duo sind wir hier bei St. Pauli aber sehr gut und positiv aufgestellt. Wir alle, auch das Funktionsteam, gehen mit einem positiven Gefühl in die verbleibenden Spiele.

Gehen Ihnen Trainerwechsel noch nahe oder stumpft man mit der Zeit ab und hält dies für einen Teil des Jobs?

Sobiech:

Es kommt natürlich darauf an, wie man selbst menschlich mit dem jeweiligen Trainer klargekommen ist. Also mal mehr und mal weniger.

Haben Sie Schuldgefühle, wenn mal wieder ein Trainer gehen muss?

Sobiech:

Das ist immer eine schwere Situation, da wir als Mannschaft nicht die nötigen Punkte geholt haben. Schuldgefühle hätte ich, wenn ich am Ende nicht sagen kann, dass ich alles gegeben habe. Ich selbst aber habe versucht, mir alles abzuverlangen. Daher habe ich auch bisher keine Schuldgefühle gehabt.

Koch:

Lasse hat es gut ausgedrückt. Wenn man als Spieler alles gegeben hat, braucht man keine Schuldgefühle zu haben.

Herr Koch, wie haben SieHamburg und den FC St. Pauli aus der Ferne wahrgenommen und eingeschätzt?

Koch:

Natürlich habe auch ich immer gehört, dass Hamburg eine der schönsten deutschen Städte überhaupt ist. Ich war vorher nur zweimal hier, jeweils zum Musical König der Löwen. Da hatte ich nicht die Gelegenheit, mir die Stadt richtig anzugucken. Vom FC St. Pauli hatte ich immer das Bild, dass es ein Club ist, der auf jeden Fall in die Zweite Liga gehört und auch einige Male in der Bundesliga gespielt hat. Ich wollte herkommen, weil ich mich auf den Verein gefreut habe. Es ist ein Club mit Tradition und tollen Fans. Für mich war es unverständlich, dass diese Mannschaft in dieser Saison bisher so weit unten steht.

Gab es schon ein Einstandsritual für Sie?

Koch:

Das wird noch kommen. Die Jungs haben mir gesagt, ich müsse mich auf einiges gefasst machen. Einstände sind immer nur für die Mannschaft schön, nicht für die, die ihn geben müssen.

Wenn man oft an andere Clubs verliehen wird, kommt das ja recht häufig vor. Sie haben beide einige Erfahrungen damit. Ist es schwieriger, sich mit dem jeweiligen Club zu identifizieren, weil man ja im Hintergrund immer noch den eigentlichen Arbeitgeber hat?

Koch:

Ich war zehn Jahre bei Borussia Dortmund und habe mir geschworen, dass ich nie für einen anderen Verein spielen möchte. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass es mir lieber war, verliehen zu werden, um Spielpraxis zu bekommen, als in einem Club zwischen der ersten und zweiten Mannschaft hin- und herzupendeln.

Fühlt man sich als vollwertiges Mitglied einer Mannschaft, wenn man weiß, dass man nur für ein halbes Jahr da ist?

Sobiech:

Im Fußball ist das gar kein Problem. Da wir alle ähnliche Ziele und Interessen haben.

Koch:

Ich fühle mich nach gut vier Wochen schon zugehörig zur Mannschaft. Hier bei St. Pauli ist auch der Vorteil, dass nahezu alle dieselbe Sprache sprechen.

Weltmeister Christoph Kramer hat in diesem Zusammenhang allerdings von Menschenhandel gesprochen. Teilen Sie diese Einschätzung, fühlen Sie sich manchmal wie eine Ware, die hin und her geschoben wird?

Sobiech:

Überhaupt nicht. Ich habe ja jeden Schritt, den ich gemacht habe, selbst entschieden. Am Ende wollen doch alle Beteiligten, dass jede Seite einigermaßen zufrieden ist.

Herr Sobiech, Sie müssten im Sommer zurück zum HSV. Können Sie sich das vorstellen, dort wieder zu spielen?

Sobiech:

Dazu kann ich im Moment noch gar nichts sagen. Das kommt ganz darauf an, wie die Saison weiterläuft – sowohl bei St. Pauli als auch beim HSV. Da kann man erst in drei Monaten drüber sprechen.

Koch:

Lasse, wie ist das für dich eigentlich, nachdem du vom HSV zu St. Pauli gegangen bist. Gab es Stress mit Fans?

Sobiech:

Das ist natürlich etwas schwieriger, als wenn ich von Hannover nach München gehen würde. Da ich aber hier früher schon mal gespielt hatte und viele St.-Pauli-Fans persönlich kenne, ist das nicht so wild. Es gab nur im Internet ein paar Kommentare.

Sie hatten beiden schon schwere Verletzungen. Es drohte vielleicht sogar das Karriereende, als Sie eigentlich alles noch vor sich hatten. Wie sind Sie damit umgegangen?

Sobiech:

Bei Jule war es noch etwas schlimmer als bei mir. Ich habe nach dem Unfall mit dem Alsterdampfer und auch bei der langwierigen Verletzung am Fuß immer nur den Tag im Blick gehabt, an dem ich wieder spielen kann.

Koch:

Mir haben extrem die Familie und Freunde geholfen. Am Anfang war es ja schon sehr hart in der Zeit, als ich nicht wusste, ob es mit einem Comeback noch klappt oder nicht. Ich denke, auch meine insgesamt positive Einstellung hat mir sehr geholfen.

Gab es einen Plan B?

Koch:

Weil es zwischendurch ziemlich kritisch war, habe ich mich auch damit beschäftigt.

Wie sieht der aus?

Koch:

In Unna gibt es eine Sportuni, an der ich studieren würde mit dem Schwerpunkt angewandte Trainingswissenschaften. Dazu würde ich die Trainerscheine machen.

Und bei Ihnen, Herr Sobiech?

Sobiech:

Unabhängig von einer Verletzung habe ich auch einen Plan B. Ich mag es nicht, irgendwann 30 Jahre alt zu sein und erst dann zu schauen, was man so machen kann. Aber wie der Plan aussieht, behalte ich noch für mich.

Eurem Stammverein Borussia Dortmund geht es ja sportlich ebenfalls nicht gut. Gibt es Parallelen zum FC St. Pauli?

Sobiech:

Ich finde, dass das Mannschaftliche ähnlich ist. In den zwei Jahren, in denen ich bei den Profis war, haben sich die Spieler untereinander ebenso gut wie hier beim FC St. Pauli verstanden. Das war auch echt ein Team. Ich denke auch, dass es eine Ausnahme ist, dass eine Mannschaft so homogen ist wie bei Dortmund und St. Pauli.

Und sehen Sie auch Parallelen im Sportlichen? Sind beide Mannschaften besser besetzt, als es der Tabellenplatz aussagt?

Sobiech:

Am Ende steht man da unten, weil man zu wenig Punkte geholt hat. Wenn die Mannschaft besser gewesen wäre, würde sie da ja nicht stehen. Natürlich wünsche ich den Dortmundern, dass sie auch wieder bald unten herauskommen. Ich hoffe, dass wir dann auch von Parallelen zwischen Dortmund und uns sprechen können.

Warum ist es bei St. Pauli bisher so schlecht gelaufen?

Sobiech:

Ich denke, es lag an vielen kleinen Einzelheiten, die zusammengekommen sind wie unter anderem die vielen Verletzungsprobleme. Es bringt aber nichts, zu viel nach hinten zu blicken. Wir schauen jetzt nach vorn und versuchen die Dinge, die in der Hinrunde schlecht waren, besser zu machen.

Was verursacht Abstiegskampf in einem persönlich? Kann man die Situation einfach so abstreifen, wenn man vom Trainingsgelände fährt?

Sobiech:

Wenn man etwas älter ist und auch schon einiges erlebt hat, kann man es sicher leichter abstreifen, wenn man nach Hause zu seiner Familie fährt. Als jüngerer Spieler nimmt einen das mehr mit. Einerseits sollte man sich immer mit der Situation auseinandersetzen. Andererseits aber tut es auch gut, den Kopf zwischendurch frei zu bekommen, um wieder frisch zum Training zu kommen.

Koch:

Ich finde, die Tabellensituation sollte einen beschäftigen und einem nicht gleichgültig sein, weil man sonst nicht in die richtige Stimmung kommt, um sich aus der Lage herauszukämpfen. Ich finde, bei uns merkt man jetzt im Training, wie jeder brennt. In der ersten Woche war das noch etwas anders. Da wurden die Zweikämpfe noch nicht so angenommen und der Mund nicht aufgemacht. Jetzt ist jeder verbal und körperlich voll da.

Warum werden Sie am Saisonende den Klassenerhalt schaffen?

Koch:

Weil wir ein Team sind. Das habe ich von Anfang an gemerkt.

Sobiech:

Weil wir uns gut verstärkt haben. Durch die Neuzugänge wurde keine Unruhe, sondern Qualität hineingebracht, die uns bisher vielleicht in ein paar Momenten gefehlt hat. Unser Zusammenhalt wird dazu beitragen, die Klasse zu halten.