Krisengipfel beim FC St. Pauli zwischen Trainer und Kapitän sowie Sportdirektor Rachid Azzouzi zu den Ereignissen beim Spiel gegen Aalen

Hamburg . Einen Tag nach den denkwürdigen Ereignissen im Millerntor- Stadion rund um das ernüchternde 0:3 des FC St. Pauli gegen den VfR Aalen gab es dringenden Redebedarf. Cheftrainer Roland Vrabec, Sportdirektor Rachid Azzouzi und der reguläre Mannschaftskapitän Fabian Boll sprachen nach der Übungseinheit am Vormittag gut eineinhalb Stunden lang im Trainingszentrum an der Kollaustraße miteinander. „Es war ein richtig gutes Männergespräch – also: offenes Visier und Feuer frei“, berichtete Boll danach in der für ihn typischen Ausdrucksweise. Und ebenso wie Boll befand auch Vrabec danach: „Das Gespräch hätten wir schon früher führen sollen.“

Ausgangspunkt für die brisante Gemengelage war die Tatsache, dass Trainer Vrabec am vergangenen Sonnabend bei der Benennung des 18-Mann-Kaders für das Heimspiel gegen Aalen am Sonntag Fabian Boll nicht berücksichtigt hatte. Dabei hatte Urgestein und Fanliebling Boll in der vergangenen Woche beschwerdefrei mit der Mannschaft trainieren können. Und bei der obligatorischen Pressekonferenz vor dem Spiel hatte Vrabec am Freitag noch bestätigt, dass Boll in einem körperlichen Zustand sei, der eine Benennung für den Kader möglich mache.

„Natürlich war ich enttäuscht und traurig darüber. Es war ja klar, dass es für mich nur noch zwei Gelegenheiten geben würde, als Profi im Millerntor- Stadion zu spielen“, berichtete Boll am Montag über seine spontanen Gefühle nach der Nicht-Berücksichtigung. Bekanntlich beendet der 34-Jährige am Ende dieser Saison seine aktive Karriere. Die Nachricht hatte sich über Nacht unter den Fans des Kiezclubs in Windeseile verbreitet und überwiegend Reaktionen zwischen Unverständnis und Wut ausgelöst, wie in den einschlägigen Foren zu lesen war. Im Stadion gab es beim Spiel dann etliche Boll-Plakate, dazu riefen die Anhänger bei der Mannschaftsaufstellung zu jedem Spieler- Vornamen den Nachnamen „Boll“.

„Das Ganze hat eine Eigendynamik angenommen, von der ich selbst überrascht war. Die Fans hatten aber offenbar das Bedürfnis, etwas mitzuteilen“, sagte Boll am Montag. „Es ist natürlich ein schönes Gefühl, dass die Leute auf den Rängen an mich denken. Es zeigt mir, dass ich hier in den zwölf Jahren nicht so viel falsch gemacht habe.“ Gleichzeitig betonte er, dass er selbst nichts an den Aktionen forciert habe. „Es war kein Affront gegen die aktuelle Mannschaft oder den Trainer.“

Dies hatte Roland Vrabec am Sonntag offenbar noch völlig anders wahrgenommen. Als auf der Pressekonferenz nach dem Spiel die Solidaritätsbekundungen für Boll zur Sprache kamen, bezeichnete er dies wörtlich als „schwachsinnige Frage“, von der er richtig genervt sei. Am Montag nutzte Vrabec die Gelegenheit, um sich bei der turnusmäßigen Gesprächsrunde mit den Medienvertretern für diese Äußerung und den Tonfall im Allgemeinen und beim Fragesteller Jörg Naroska (NDR 90,3) im Besonderen zu entschuldigen. „Das ist nicht die Art, wie ich mit Ihnen kommunizieren möchte. Ich war über unser Spiel wütend und enttäuscht, da habe ich leider meine Emotionen nicht verbergen können“, erläuterte Vrabec.

Beim Gipfel ging es auch um grundsätzliche Themen bei St. Pauli

Danach versuchte er darzulegen, warum er Boll nicht berücksichtigt hatte. „Ich wollte die bestmögliche Mannschaft aufbieten, damit wir das Spiel gewinnen und auf 50 Punkte kommen. Fabian Boll hat sich nach seiner langen Verletzungszeit schwer getan, auf das Level der anderen Spieler zu kommen. Er hat nicht das Niveau wie diejenigen, die regelmäßig im Training stehen. Im Trainerteam hatten wir das Gefühl, dass auf Bolls Sechser-Position im Mittelfeld Christopher Buchtmann, Marcel Halstenberg und Tom Trybull vor ihm stehen“, sagte er. Hätte Vrabec diese Überlegungen schon vor dem Spiel so oder ähnlich öffentlich erklärt, wäre das Verständnis für die Entscheidung wohl erheblich größer gewesen.

Ein wichtiges Ergebnis des Krisengesprächs vom Montag war, dass Fabian Boll im nächsten Heimspiel, dem Saisonfinale gegen Erzgebirge Aue am 11. Mai, nicht nur im Kader stehen, sondern auch die Mannschaft als Kapitän auf das Feld führen wird. Unabhängig davon wird Boll im Laufe der kommenden Saison bekanntlich auch ein offizielles Abschiedsspiel bekommen.

Inhalt des spontanen Gipfels waren neben den Irritationen um die Personalie Boll aber auch grundsätzliche Themen des Millerntorclubs. „Das Zwischenmenschliche hat in diesem Verein immer oberste Priorität gehabt. Das ist manchmal schwer für einen zu verstehen, der von außerhalb kommt. Deshalb ist es gut, sich regelmäßig auszutauschen“, sagte Boll.