Während dem Kiezclub einst mit einem Kraftakt die Rettung gelang, holte 1860 Investor Hasan Ismaik ins Boot. Nun droht die Eskalation: Schlammschlachten zwischen ihm und der Vereinsführung sind an der Tagesordnung.

Hamburg. Man stelle sich folgende fiktive Szenerie vor: Eine schwarze Limousine hält vor dem Millerntor-Stadion, ein fein gekleideter arabischer Geschäftsmann steigt aus und betritt den Medienraum des FC St. Pauli, wo rund 20 Journalisten und Präsident Stefan Orth warten. Während Orth einleitend bereits verdeutlicht, man werde in dieser Pressekonferenz keine Details zu vorangegangenen internen Sitzungen bekannt geben, gerät jener Geschäftsmann - Investor und Retter des Clubs - plötzlich ins Plaudern. Einen neuen Geschäftsplan, in den auch neue Leute involviert sein sollen, werde man in zwei Wochen vorstellen. Ob Sportchef Rachid Azzouzi den Verein dann verlassen müsse? "Yes. We need a new Sportchef", antwortet der Investor zur Bestürzung Orths neben ihm. Auch der Trainer stehe zur Debatte. Dazu werde in den kommenden Tagen ein Fachmann nach Hamburg kommen, um die Arbeit der sportlichen Führungsetage unter die Lupe zu nehmen.

So ein Schauspiel scheint beim FC St. Pauli unvorstellbar. Beim Traditionsclub TSV 1860 München, der am Sonnabend (13 Uhr) am Millerntor zu Gast ist, hat sich eine solche denkwürdige Konferenz mit dem Jordanier Hasan Ismaik und "Löwen"-Präsident Hep Monatzeder tatsächlich vergangene Woche abgespielt. An diesem Freitag, einen Tag vor dem Auftritt in Hamburg, nahm der dreimalige Afrikameister Hassan Shehata in München seine Arbeit auf. Der Ägypter soll im Auftrag Ismaiks eine sportliche Analyse vornehmen, um danach zum Schluss zu kommen, dass man das Führungspersonal des Tabellensechsten austauschen sollte. Shehata soll auch am Sonnabend in Hamburg auf der Tribüne sitzen.

Seine Installierung markiert einen neuen Tiefpunkt im Verfall des früheren Kultclubs TSV 1860 München. Einst standen die "Löwen" und St. Pauli für ehrlichen, geradlinigen Fußball - in der bescheidenen Underdog-Rolle im Schatten von Bayern München und dem HSV. Als "Münchens große Liebe" wurde der Arbeiterverein von der Grünwalder Straße gern bezeichnet, auch St. Pauli sieht sich als Bewahrer des Traditionellen. Als der Regionalligist St. Pauli 2003 finanziell am Boden lag, gelang innerhalb von nur drei Monaten in einem Kraftakt die Rettung, indem man weit mehr als die benötigten 1,95 Millionen Euro auftrieb, um den Zwangsabstieg zu verhindern. Mehr als 140.000 verkaufte Retter-T-Shirts, ein Benefizspiel gegen den FC Bayern und die Aktion "Saufen für St. Pauli" auf dem Kiez wurden Kult.

Dass die Hamburger anschließend 2010 gar den Aufstieg in die Bundesliga schafften, inzwischen vor neuer Süd-, Haupttribüne und Gegengeraden spielen und finanziell schwarze Zahlen schreiben, ist hinlänglich bekannt. Der Grat zwischen Kult und Kommerz ist auch hier stets schmal. Die breite Fanbasis, oftmals auch für zu sozialromantische Ansichten kritisiert, sorgt als Regulativ dennoch weiterhin für Basisdemokratie beim Totenkopf-Club. 1860 München entschied sich vor zwei Jahren, als ebenfalls der Gang in die Insolvenz drohte, für einen anderen Weg.

Der jordanische Multimillionär Ismaik, der durch Öl- und Immobiliengeschäfte zu Vermögen kam, stieg als Investor ein und rettete die "Löwen" mit einer Finanzspritze von 18,4 Millionen Euro. Seither bestimmt eine Schlammschlacht zwischen ihm und der Vereinsführung die Tagesordnung - und zwar weitgehend öffentlich. Sogar Trainer Alexander Schmidt forderte im Fernsehinterview mehr Respekt, "egal aus welchem Kulturkreis". Präsident Monatzeder ließ sich darüber aus, dass "Herr Ismaik ein bisschen viel redet". Sein Vorgänger Dieter Schneider musste auf Druck Ismaiks gehen.

Da man auch unter Nachfolger Monatzeder seiner Forderung nach einem radikalen Umbau, verbunden mit der Entlassung von Sportchef Florian Hinterberger, Trainer Schmidt und Geschäftsführer Robert Schäfer, nicht nachkam, weigert sich Ismaik, die für vergangenen Dienstag vereinbarte nächste Zahlung von 13 Millionen Euro zu überweisen. Man korrespondiert inzwischen über Anwälte. Jene Zuwendungen spielen in den bereits abgegebenen DFL-Lizenzierungsunterlagen eine tragende Rolle. Es gilt, ein jährliches Defizit von rund zwei Millionen Euro durch Mietkosten für die Allianz Arena auszugleichen. Bis zum 23. Mai muss der Verein laut Statuten der Deutschen Fußball-Liga den Nachweis erbracht haben. Wie die "Abendzeitung" berichtet, plant Ismaik einen Verkauf seiner Anteile. Er soll bereits einen Investmenthändler beauftragt haben und wolle rund 27 Millionen Euro zurückerhalten.

"Das ist sehr schade für so einen Traditionsclub", sagt auch St. Paulis Trainer Michael Frontzeck. "Aber man darf sich nicht beschweren, wenn man so jemand ins Boot holt", hält sich sein Mitleid in Grenzen.

In einer besonders chaotischen Phase der durchaus turbulenten 153-jährigen Vereinsgeschichte sorgten die Münchner am Donnerstag ausnahmsweise für positive Schlagzeilen. Mit dem ablösefreien Transfer des offensiven Mittelfeldspielers Daniel Adlung aus Cottbus lockte man einen der begehrtesten Zweitliga-Profis zu 1860. Auf St. Pauli weiß man, dass das Team unbeirrt der Querelen erfolgreich Fußball spielt. "Es scheint sie zumindest nicht so zu tangieren, dass sie sportlich wegbrechen", weiß Frontzeck. Ismaiks Berater Shehata wird am Millerntor das drittbeste Auswärtsteam der Liga analysieren. Ob er nach den jüngsten Gerüchten noch die Weichen für eine Rückkehr in die Bundesliga in der kommenden Saison stellen kann, ist allerdings fraglich.