Die Hamburger trotzten widrigen Witterungsbedingungen, werden von Angstgegner Aue beim 0:3 aber mehrfach eiskalt erwischt.

Hamburg. Die Fans sangen "Auswechselspieler, ihr seid nur Auswechselspieler", riefen "Scheiß St. Pauli" und warfen die Schneebälle zurück, die die Reservisten des FC St. Pauli um Florian Bruns, Marius Ebbers und Florian Mohr in mehreren Salven auf die Gegengeradentribüne gefeuert hatten. Nein, die Szene war nicht die Folge der 0:3-Niederlage ihrer Mannschaft gegen den FC Erzgebirge Aue. Sie trug sich bereits zur Halbzeitpause zu und war vielmehr ironischer Ausdruck der intakten Beziehung zwischen Mannschaft und ihrem Anhang. Gemeinsam trotzte man den widrigen Witterungsbedingungen.

Eine Stunde später war die gute Laune wie weggespült. Auch bei Markus Thorandt, der mit grimmiger Miene in den Stadionkatakomben stand. Sein linkes Bein war einheitlich braun. Der weiße Schuh, der weiße Stutzen und sein Knie wurden von einer dicken schlammigen Schicht überdeckt. Die Spuren der vorangegangenen 90 Minuten waren nicht nur auf seinem verdreckten Trikot deutlich erkennbar. "Die schießen dreimal aufs Tor, treffen dreimal, und Männel hält super. Wir aber nutzen unsere Chancen nicht", sagte St. Paulis Abwehrchef und zuckte mit den Schultern: "Ich weiß auch nicht, weshalb es immer gegen Aue so ist ..."

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Vier der letzten fünf Vergleiche haben die Hamburger nun gegen die Sachsen verloren. Der 4:2-Erfolg am 2. Mai 2008 bleibt der einzige der Vereinsgeschichte, St. Paulis Angstgegner wurde seinem Ruf einmal mehr gerecht. "Ich kannte das ja bislang nicht, aber es scheint wirklich so zu sein, dass wir gegen die einfach das Tor nicht treffen", wunderte sich auch Sportdirektor Rachid Azzouzi. Dass es zu dem diesmal im doppelten Sinn schmutzigen Sieg der Auer kommen konnte, fand seine Ursache neben der mangelhaften Chancenverwertung auch in der Hilfsbereitschaft St. Paulis. 300 Helfer, darunter auch Reservetorwart Benedikt Pliquett, hatten am Sonntagmorgen den Platz vom Schnee befreit und dafür gesorgt, dass die Partie überhaupt angepfiffen werden konnte. Steigende Temperaturen und der um 11.30 Uhr einsetzende Regen weichten den Rasen dann auf. Aus Weiß wurde - nicht nur bei Thorandt - Braun.

Bedingungen, die ein kontrolliertes Spiel nicht zuließen. Der Ball versprang immer wieder unvorhersehbar, blieb in einer der vielen Pfützen abrupt liegen oder rutschte den Spielern unvermittelt über den Fuß. Überdurchschnittlich viele Hand- und Foulspiele, Standprobleme und Stellungsfehler waren die Folge dieser schwer kalkulierbaren Umstände. "Ich bin natürlich sehr froh über den Sieg, aber das war kein Fußballspiel, das war ein Kampfspiel. Mit Fußball hatte das nämlich nicht viel zu tun", fasste Aues Trainer Karsten Baumann ehrlich zusammen. Ein Wettbewerbsvorteil für die Veilchen, die im Erzgebirge seit Wochen auf schneematschbedeckten Fußballplätzen trainieren.

Und dennoch passte sich die Frontzeck-Elf vor 20.740 Zuschauern schnell den Bedingungen an, dominierte die Partie mit dem Anpfiff und hätte die Führung durchaus verdient gehabt: Lennart Thy traf in der fünften Minute die Latte, Florian Kringe schoss kurz vor dem Seitenwechsel nach kluger Vorarbeit Thys aus elf Metern knapp vorbei (42.). St. Pauli verkaufte sich angesichts der widrigen Verhältnisse auch spielerisch phasenweise teuer, lediglich dem Ball war nach einer halben Stunde die Luft ausgegangen. Und selbst nach dem von Thorandt in der 49. Minute mit einem Kopfball zum Gegner erst ermöglichten und von ihm dann auch noch abgefälschten Hochscheidt-Schuss zum 0:1 rannte St. Pauli weiter an.

"Wir wussten, dass es bei einem Rückstand angesichts der Platzverhältnisse brutal schwer werden würde", sagte Sebastian Schachten, "mit Fußball hatte das nichts zu tun, aber das darf und soll keine Entschuldigung sein. Denn wir hatten unsere Chancen." Doch Christopher Buchtmann zielte aus sieben Metern zu hoch (52.), während es Christopher Avevor und Thorandt zwei Minuten später bei ihrer Doppelchance nicht gelang, den Ball aus kurzer Distanz über die Linie zu drücken. Kringe scheiterte per Kopf (63.), Daniel Ginczek und Thy verpassten eine scharfe Hereingabe Schachtens (64.). Es war die Phase, in der das Spiel eine Wendung hätte nehmen können, wie auch Michael Frontzeck erkannt hatte: "Es ist mein einziger Vorwurf heute: Die Tore, die Aue gemacht hat, hätten wir auch machen können." Drei waren es am Ende nach den platzierten Treffern von Sylvestr (76.) und Wiegel (89.) und damit trotz der in der Schlussphase zunehmenden Auer Konterchancen mindestens zwei zu viele. "Das ist sehr bitter, einfach nur ärgerlich", grantelte Schachten nach der zweiten Heimniederlage der Saison, während Rechtsverteidiger Jan-Philipp Kalla nach vorne blickte und auf einen positiven Abschluss dieses wechselhaften St.-Pauli-Jahres 2012 am Sonnabend beim FC Ingolstadt hofft: "Wir werden da noch einmal alle Reserven auspacken, und danach, aber erst danach, werden wir alle sehr müde sein."

Den einzigen Sieg des Tages trugen für St. Pauli somit die Reservespieler davon, die die Pausenschlacht angesichts der besseren Nachschubwege - am Spielfeldrand war der Schnee teilweise meterhoch aufgeschüttet - gewannen. Viel mehr war gegen Angstgegner Aue ja aber ohnehin nicht zu erwarten gewesen ...