Mit dem besten Saisonspiel feiert das Team von Trainer Michael Frontzeck bei 1860 München wieder einen Erfolg in der Fremde.

München. Patrick Funk schloss sich einfach den Mannschaftskollegen an. Der Mittelfeldspieler tat das, was alle anderen um ihn herum auch taten: Er jubelte. Ausgelassen, erleichtert und lautstark. Die Vehemenz, mit der sich alle auf die Schultern klopften, umarmten und unkontrollierte Faustschläge in die Luft boxten, dokumentierte ein Gefühl der Selbstbestätigung. Acht Monate zuvor, am 5. März, hatte Funk hier noch verzweifelt auf dem Rasen der Allianz-Arena gekauert, geschockt und nicht fähig, die aufmunternden Gesten seiner Mitspieler anzunehmen. Der U21-Nationalspieler hatte sich unmittelbar vor dem Abpfiff einen folgenschweren Aussetzer geleistet und den Ball nicht aus dem Strafraum gedroschen, Kevin Volland traf zum späten 1:1-Ausgleich für 1860 München. Rückblickend der Knock-out im Aufstiegsrennen, ein prägender Moment der Saison, der Funk und dem FC St. Pauli auch am Sonnabend gelungen sein dürfte - diesmal als positive Wendemarke.

Mit dem 2:0 bauten die Hamburger zwar ihre Miniserie auf nun vier Spiele ohne Niederlage aus und bleiben unter dem neuen Trainer Michael Frontzeck weiter ungeschlagen. Doch der Mannschaft gelang vor 31.500 Zuschauern erstmals die Symbiose aus spieltechnischer Reife und nötigem Ergebnisnachweis. St. Pauli spielte schön und erfolgreich, vereinigte taktische Disziplin und schwungvolle Kombinationen in seinem Spiel. Während die Fans der Münchner ihre Löwen bereits während der Partie auspfiffen, verdiente sich die Frontzeck-Elf den Applaus, zeigte eine Leistung, die derart herausragend war, dass es ob ihrer Einordnung keiner großen Worte bedurfte.

"Ich kann mich heute kurz fassen", sagte der Trainer, "ich habe keinen Anlass für Kritik. Das war eine tadellose Leistung." Sein Kapitän war zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen: "Überragend. Ich denke, dass man das einfach mal so stehen lassen kann", sprach Fabian Boll, der wie schon gegen Dresden für die Initialzündung sorgte. Hatte Christopher Buchtmann Bolls Geistesblitz in der dritten Spielminute noch die verdiente Belohnung versagt, als er ein Zuspiel des Kapitäns aufnahm, aber frei vor Torwart Kiraly unentschlossen zögerte und die Situation per Querpass auf Akaki Gogia selbst entschärfte, belohnte der Kapitän die fulminante Anfangsoffensive seiner Crew in der 26. Minute höchstselbst mit dem überfälligen 1:0.

Drei Tage nach der Selbstaufgabe im Pokal beim VfB Stuttgart verteidigten die Hamburger mit aller Härte und Konsequenz, verschoben konzentriert innerhalb eines 30 Meter tiefen Korridors. Dem Offensivspiel der Löwen wurde so der nötige Raum zur Entfaltung genommen, während bei Ballgewinn schnell, direkt und genau kombiniert wurde. Immer wieder fanden die Braun-Weißen Buchtmann, der mit Sebastian Schachten, Florian Kringe, Kevin Schindler, Gogia und dem fleißigen Daniel Ginczek den Doppelpass suchte und seine Rolle im Zentrum vor allem im ersten Abschnitt als umtriebige Verteilerstelle interpretierte.

"Da war Feuer drin. Die Kritik in den Medien und den Vorwurf der Charakterlosigkeit, den uns einige im Umfeld gemacht hatten, wollten wir nicht stehen lassen", so Boll, der aufgrund muskulärer Probleme erneut vorzeitig ausgetauscht werden musste und vom Spielfeldrand einen positiven Nebeneffekt der mit Abstand besten Saisonleistung bemerkte: "Den Fluch gibt es jetzt auch nicht mehr." Nach beinahe neun Monaten gelang mal wieder ein Auswärtssieg, zudem im elften Versuch der erste überhaupt bei den Löwen. Die Mannschaft hat sich verloren gegangenes Selbstvertrauen zurückerarbeitet, wie auch einige technische Kabinettstückchen verrieten.

"St. Pauli hatte mehr und die besseren Chancen", erkannte auch Moritz Volz an, der in der 53. Spielminute einen Avevor-Einwurf unglücklich mit dem Kopf auf Schindler verlängert hatte und den ehemaligen Kollegen so den zweiten Treffer ermöglichte. Daniel Ginczek beförderte Schindlers maßgefertigte Flanke schnörkellos über die Linie. 11:4 Torchancen standen nach 90 Minuten in der Statistik.

Am Ende wurde es - eine weitere Premiere - der erste Saisonerfolg mit mehr als einem Tor Vorsprung. Dass St. Pauli den Vergleich der deutschen Fußballhauptstädte am Sonnabend - der HSV verlor 0:3 gegen den FC Bayern - aber nicht positiv für die Hansestadt gestalten konnte, war der einzige Vorwurf, den sich Ginczek und Co. gefallen lassen mussten. Der 21-Jährige scheiterte in der 79. Minute kläglich beim Versuch, Kiraly den Ball durch die Beine zu schieben, während der eingewechselte Joseph-Claude Gyau den ebenfalls von der Bank gekommenen Dennis Daube ignorierte und sich bei der Kontermöglichkeit zum 3:0 stattdessen im Dribbling verhedderte.

Szenen, die Frontzecks warnenden Worten Glaubwürdigkeit verleihen. "Wir werden jetzt keine Ziele ändern, sondern weiterarbeiten. Wir sind gut beraten, von Spiel zu Spiel zu schauen", gibt der Trainer die Richtung vor. "Ich bleibe dabei: Für uns geht es in dieser Saison um den Klassenerhalt", glaubt Boll, dessen Anteil an der Trendwende in diesen Wochen ebenso groß wie deutlich ist. Diesmal genügten ihm 32 Minuten, um die Mannschaft auf Kurs zu bringen. Parallelen zu seinem Beruf bei der Kriminalpolizei, wo er als Oberkommissar eine halbe Stelle besetzt, wies er allerdings mit einem Augenzwinkern von sich: "Nein. Bei der Polizei bin ich nicht so effektiv."