Nach dem erneuten Kreuzbandanriss hat St. Paulis Neuzugang Sören Gonther nur ein Ziel: am Millerntor spielen. “Macht mich mental stärker“.

Hamburg. In Sören Gonthers persönlicher Bilanz für das Jahr 2012 stehen 68 Spielminuten und es ist schon jetzt klar, dass keine einzige mehr dazukommt. Seine Arbeitszeit verbringt er seit Monaten mit Fahrradfahren, Aqua-Jogging, Stabilisationsübungen, Rehabilitation. Der Profi des FC St. Pauli hat sich im Februar im Spiel gegen Union Berlin, damals als Innenverteidiger des SC Paderborn, das Kreuzband gerissen. Seitdem ist er zum FC St. Pauli gewechselt, hat geheiratet und alles dafür getan, die schwere Verletzung auszukurieren und fit zu werden. Vor zwei Wochen im Training - der 25-Jährige hatte sich bereits wieder an die Mannschaft herangekämpft und stand kurz vor seinem Comeback - verspürte er nach einem Zweikampf höllische Schmerzen im kaputten Knie, fünf Minuten lang, dann war es wieder vorbei. Er brach das Training ab und drei Tage später erreichte ihn die ernüchternde Diagnose: Das Kreuzband ist wieder angerissen, sechs Wochen völlige Ruhe, Schiene, an einen Einsatz in der Hinrunde ist nicht mehr zu denken.

Die übliche Höflichkeitsfrage, wie es denn gehe, scheint in diesem Fall unangebracht, doch Sören Gonther beantwortet sie locker mit einem Scherz. "Mein Holzbein macht etwas Probleme", sagt er und grinst. "Ist alles etwas ungelenk." Die Schiene trägt er über der Hose, er wirkt entspannt, mit sich im Reinen, völlig frei von Frustration. "Ich lasse nichts Negatives an mich ran, bin komplett positiv", versichert er glaubhaft. Im Februar war das noch anders. Da hat er sich nach der Diagnose tagelang zurückgezogen. "Da konnte man mich komplett in die Tonne kloppen," sagt er. Jetzt hat er die Situation schnell akzeptiert, ist froh, dass er nicht wieder operiert werden muss, dass das Knie stabil ist. "Natürlich ist das im ersten Moment ein Schlag ins Gesicht", sagt er. "Aber es macht mich mental stärker."

Gedanken über ein mögliches Karriereende macht er sich nicht erst seit seiner Verletzung. Gonther ist vorbereitet, hat sein Abitur gemacht und könnte sich vorstellen, irgendwann Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Aber vorher - das steht für ihn außer Frage - wird er noch einige Fußballspiele machen. Wie das dann abläuft, davon hat er schon häufig geträumt. "Der Trainer wechselt mich ein, ich mache gleich im ersten Spiel ein Tor, ein entscheidendes. Mal ist es ein Solo, mal ein ganz einfaches Ding", erzählt er. Im Traum hat er schon mehr Tore erzielt als in seiner realen Karriere - und es werden wohl noch einige dazukommen.

Doch die Vorfreude hat er sich bewahrt, und sie ist ihm anzusehen. Er zieht aus diesen Gedanken seine Motivation. Ebenso aus einem Gefühl, das er noch nicht kennt, das er sich bisher nur vorstellen kann: ins Millerntor einzulaufen. "Wenn die Glocken ertönen, alle sich erheben, die anderen laufen ein und du bist nicht dabei, das sind die Momente, die frustrieren", sagt er. "Aber das motiviert mich, denn ich weiß: Deswegen bin ich hierhergekommen."

Trotz häufiger Fehlzeiten und vieler einsamer Einheiten fühlt er sich integriert und als Teil der Mannschaft. Ein Ziel, wann er wieder zurück auf dem Platz sein möchte, hat er sich noch nicht gesetzt. "Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche", sagt er. "Ich habe es einmal geschafft, mich heranzukämpfen, jetzt mache ich es halt wieder."