Vieles hat sich in diesem Sommer verändert - nicht zuletzt die Vorgabe des Präsidiums an die sportliche Leitung. Doch die Konkurrenz ist stark.

Hamburg. Sören Gonther war sich der Lacher seiner neuen Kollegen sicher - wenn auch unfreiwillig. Der vom SC Paderborn gekommene Abwehrspieler hatte Masseur Ronald Wollmann im Trainingslager von Barsinghausen mit "Willi" angesprochen und damit für allgemeine Erheiterung gesorgt. Schließlich hört "Willi" seit 25 Jahren beim FC St. Pauli auf den Namen "Wolli", und das solle auch in der aktuellen Saison so bleiben, wie der 56-Jährige mit gespieltem Ernst verdeutlichte. Ansonsten aber hat sich beim Hamburger Zweitligisten in diesem Sommer vieles verändert. Mannschaft und Trainer, aber auch, angesichts veränderter Perspektive im Stadion, ein Großteil der Fans stehen vor einem echten Neustart, während personell und infrastrukturell ein Umbruch vollzogen wurde.

Der Wachstumsprozess des Vereins wird konsequent fortgesetzt. Noch in diesem Jahr wird das 18 000. Mitglied erwartet, bei den zur Verfügung stehenden Sportstätten sind die Kapazitätsgrenzen längst erreicht, wirtschaftlich konnte auch im Jahr nach dem Bundesligaabstieg eine positive Bilanz ausgewiesen werden (siehe Seite 6) und das Nachwuchsleistungszentrum wurde mit drei Sternen, der höchstmöglichen Wertung, zertifiziert, während hinter den Kulissen über eine professionellere, zeitgemäße Führungsstruktur diskutiert wird. Und neben der neuen Gegengeradentribüne des Millerntor-Stadions (siehe Seite 7) dokumentiert auch der Bau des zweistöckigen Funktionsgebäudes auf dem Trainingsgelände den steten Fortschritt des vor neun Jahren noch von der Insolvenz bedrohten Stadtteilklubs. Große Erfolge und Projekte Abseits des Rasens, die auch die sportliche Anspruchshaltung entscheidend beeinflusst haben.

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Ungeachtet der Abgänge von Leistungsträgern wie Spielmacher Max Kruse oder Innenverteidiger Lasse Sobiech, die nach dem denkbar knapp verpassten Aufstieg zum SC Freiburg und Greuther Fürth in die Bundesliga gewechselt waren, passte die Klubführung ihre Vorgabe an. Vier Jahre lang war der sportlichen Leitung die Zugehörigkeit zu den Top 25 im deutschen Fußball als Zielsetzung mitgegeben worden, nun will man mehr. "Wir sagen jetzt klar, dass wir oben mitspielen müssen. Innerhalb von drei Jahren möchten wir unseren Fans wieder Erstligafußball bieten", gab Präsident Stefan Orth im Abendblatt-Interview vom 30. Mai den neuen Kurs bekannt, als Spieler und Trainer im Urlaub entspannten. Während Audi in Ingolstadt sowie der jordanische Scheich Hasan Ismaik bei 1860 München mit Millionen-Investitionen die Kräfteverhältnisse in der Zweiten Liga verrückten und auf dem Transfermarkt Fakten schufen, schienen Orth und Co. St. Pauli allein mit ihrem Wunsch in den Kreis der Bundesligaanwärter hieven zu wollen. "Wir müssen raus aus der Komfortzone, raus aus der Lethargie", forderte der Präsident.

Ein klar formulierter Auftrag an Sportdirektor und Trainer, die bei den Personalplanungen früh erkennen mussten, welche Auswirkungen die neureiche Konkurrenz aus Bayern auf die eigenen Planungen hat. Mit Rechtsverteidiger Moritz Volz verließ ein fest eingeplanter Startelf-Baustein die Hamburger in Richtung München, und auch dem als Ersatz gehandelten Danny da Costa von Bayer Leverkusen wurden die Gehaltsvorstellungen in Hamburg nicht erfüllt. Der 19-jährige Juniorennationalspieler wechselte wie auch Wunschstürmer Christian Eigler zum FC Ingolstadt. Neu-Löwe Moritz Stoppelkamp komplettiert die Liste der Profis, die bei St. Pauli Interesse geweckt hatten, letztlich aber vor allem aus finanziellen Gründen dann doch nicht ins Portfolio passten. "Wir haben eine ehrgeizige Mannschaft mit sehr gutem Charakter und Zusammenhalt, die in dieser Saison etwas zeigen, etwas erreichen will", versprüht Rachid Azzouzi dennoch Optimismus, "die Mannschaft hat absolut das Zeug, eine gute Saison zu spielen und im oberen Tabellendrittel dabei zu sein."

Neben neun echten Neuzugängen sowie dem kurzfristig aus dem eigenen Nachwuchsbereich beförderten Innenverteidiger Linus Büchler stehen mit Co-Trainer Timo Schultz und Athletiktrainer Timo Rosenberg zwei weitere Novizen an der Seite des Chefcoachs, der zwar nicht getauscht wurde, aber trotzdem nicht mehr der alte ist. Nach der Kritik an seinem Führungsstil, seinen Umgangsformen und dem belasteten Verhältnis zu einigen Spielern war es die vielleicht größte Leistung der mit acht Siegen und zwei Unentschieden abgeschlossenen Vorbereitung, dass es André Schubert gelang, eine neue Vertrauensbasis zu legen. Der 41-Jährige gibt sich lockerer, hat Ansprache und Auftreten modifiziert ohne an Souveränität und Authentizität eingebüßt zu haben. Die Folge: Stimmung und Zusammenhalt im gesamten Kader sind so gut wie seit eineinhalb Jahren, seit dem erfolgreichen Start in die Bundesligarückrunde, nicht mehr.

Stichhaltige Belege lieferte nicht zuletzt das erste Trainingslager in Barsinghausen, wo die Atmosphäre trotz der täglichen Arbeit im Bereich der Grundlagenausdauer einer Schulklasse auf Abschlussfahrt glich. Und eben jene Abschiedstour erwartet das Präsidium. Spätestens 2015, gern aber schon 2013, wenn der Umbruch auch in einer neuen Spielklasse münden würde.