St. Paulis unkonventioneller Sportchef beeindruckt mit erfolgreicher Transferbilanz, musste im vergangenen Jahr aber auch Kritik einstecken.

Hamburg. Ortstermin am Jungfernstieg. Helmut Schulte erscheint pünktlich auf die Sekunde. Er setzt sich, zupft sein graues Jackett zurecht und schlägt die Beine übereinander. Am Ende der etwas zu kurzen Bluejeans überraschen schwarze Sneaker mit auffälliger weißer Sohle. Dass Hose wie Schuhe vom Sponsor sind, mag wie sein gesamtes Erscheinungsbild dem Zufall geschuldet sein. Schulte schert sich nicht um Äußerlichkeiten. Der 53 Jahre alte zweifache Familienvater ist Pragmatiker in jeder Hinsicht, schlicht, schnörkellos. Es geht um Zweckmäßigkeit. Sein Outfit liefert keine Hinweise, dass er täglich an exponierter Stelle erfolgreich arbeitet. "Ich dränge nicht so gern in den Vordergrund", sagt Schulte, "eine gewisse Uneitelkeit ist in meinem Beruf hilfreich."

+++Schultes Neuzugänge+++

Helmut Schulte ist Sportchef des FC St. Pauli, und die Ruhe und Unaufgeregtheit, mit der er über sich und den Profifußball spricht, ist vererbt. Schulte ist Sauerländer und bedient auf den ersten Blick durchaus das Klischee vom verschrobenen, eigenwilligen Kauz. Doch die Kritiker, die ihm in seiner Anfangszeit hinter vorgehaltener Hand die nötige Kompetenz, vor allem aber Fleiß und Leistungsbereitschaft absprachen, sind rar geworden. 25 Spieler hat der Sportchef seit 2008 ans Millerntor geholt, lediglich vier konnten die Erwartungen nicht erfüllen (siehe Tabelle links). Ein herausragendes Ergebnis. Helmut Schulte: St. Paulis Quotenkönig aus dem Sauerland.

In Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Trainer und Chefscout Stefan Studer verstärkte er Jahr für Jahr den Kader: "Ein Transfer ist immer ein Gemeinschaftsprodukt und kommt nur zustande, wenn alle überzeugt sind. Wer den Namen zuerst genannt hat, ist letztlich Kaffeesatzleserei." Er könnte sich die Erfolge als Personalverantwortlicher selbst gutschreiben, könnte die Zahlen nutzen, um sein Image aufzupolieren. Das hatte im Frühjahr 2011 tiefe Kratzer erhalten. Die öffentliche Kritik am Umgang mit verdienten Spielern, die keinen Vertrag mehr erhielten, vereinigte sich auf seine Person. Hinzu kam die Posse um die (nicht) fristgerechte Vertragsverlängerung bei Charles Takyi. "Diese Zeit war nicht vergnügungssteuerpflichtig. Das hat mich damals ganz schön mitgenommen, denn es war einfach nicht fair."

Ungewohnt persönliche Worte eines Mannes, der ansonsten gern mit einer Belanglosigkeit über die Branche redet, dass man sich fragen muss, ob man gerade tatsächlich mit einem ihrer Hauptakteure spricht. Schulte kritisiert die hohen Summen, die im Profibereich zwischen Vereinen, Profis und deren Beratern verschoben werden und hinterfragt die Glorifizierung der Spieler. Ausschließlich Freunde gewinnt man dadurch nicht. "Wir sehen Helmut Schulte auch ganz bewusst als Gegenpol zu den Spielern und sind mit ihm absolut zufrieden", sagt Vizepräsident Gernot Stenger. Vielleicht ist es Schultes Erfolgsgeheimnis, dass er den Profizirkus und sich selbst nicht so wichtig nimmt. "Ich denke, wir haben das ganz vernünftig gemacht, gute, zuverlässige Arbeitsbedingungen in einem entwicklungsfähigen Umfeld hergestellt", blickt er zurück und verweist auf seine "sanfte Personalpolitik. Umbruch ist ein Katastrophenwort. Wenn Leute länger an einem Projekt arbeiten, werden sie mit der Zeit besser. Mir ist es wichtig, dass meine Mitarbeiter wissen, dass wenn sie einen guten Job machen auch einen sicheren Arbeitsplatz haben. Ich halte nichts von Angstszenarien." Schulte ist geduldig, beharrlich. Kontinuität bedeutet für den Stoiker eine Tugend.

Eine Art, die ankommt. Aus Leverkusen kamen Deniz Naki, Bastian Oczipka und Richard Sukuta-Pasu, von Schalke 04 Carlos Zambrano, aus Dortmund Lasse Sobiech, vor einer Woche folgte Petar Sliskovic aus Mainz. Talente, die auch andere, renommiertere Vereine gern ausgeliehen hätten, doch die Bundesligaklubs gaben ihre Rohdiamanten lieber in Schultes Hände. "Netzwerk ist die halbe Miete", weiß er und lacht: "Eigentlich kenne ich ja fast alle." Zehn bis 15 externe Vertraute helfen beim Fahnden nach jungen, idealerweise norddeutschen Profis mit Perspektive. "Ich kann nicht einschätzen, in welcher Spielklasse hier einer aus der ersten bulgarischen Liga spielen könnte. Aber wer in der Dritten Liga gut spielt, der ist ein Kandidat für die Zweite Liga, und wer dort erfolgreich ist, der könnte es auch in der Bundesliga schaffen. Das sind Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Jemand, der in Wilhelmsburg wohnt, ist ganz anders bereit, sich mit St. Pauli zu identifizieren als Spieler aus Uruguay."

Schulte will kein Strippenzieher sein, kein klassischer Manager. Ein lukratives Angebot eines Aufstiegskonkurrenten schlug er im Sommer aus. Er möchte seinen Weg weitergehen, beharrlich und geduldig, hier, am Millerntor. "Am liebsten würde ich für immer beim FC St. Pauli bleiben", sagt er und wird zum Probanden der eigenen These. Wer länger an einem Projekt arbeitet, wird besser, Herr Schulte? "Natürlich. Für den FC St. Pauli bin ich ja heute auch ein besserer Sportchef als 2008."