Das Heimspiel gegen Werder Bremen findet doch mit Fans statt. Das Sportgericht des DFB gibt dem Einspruch des Kiezklubs statt.

Frankfurt am Main. Es war der pure Zweckoptimismus, der mitschwang, als die beiden Gesandten des FC St. Pauli am Donnerstagnachmittag um 14.14 Uhr das Gebäude des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise 6 betraten. Gernot Stenger, mit Vereinsemblem auf brauner Krawatte und schwarzer Aktentasche, gefolgt von Helmut Schulte, braune Tasche und schwarzem Totenkopfschlips, wirkten entschlossen und selbstbewusst, doch die ausgestrahlte Ruhe war allein der Ungewissheit und Anspannung an diesem für ihren Verein möglicherweise überlebenswichtigen Tag geschuldet.

Als der Vizepräsident und der Sportchef 243 aufregende Minuten später das Gebäude wieder verließen, war die Erleichterung greifbar. Der FC St. Pauli darf die beiden in dieser Saison noch ausstehenden Heimspiele am Ostersonnabend, dem 23. April, gegen Werder Bremen und Sonnabend, dem 7. Mai, gegen den FC Bayern München im eigenen ausverkauften Stadion ausgetragen. Das am 1. April wegen eines Becherwurfs gegen Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner in der 88. Minute abgebrochene Bundesligaspiel gegen Schalke 04 (Ergebnis: 0:2) wird kein "Geisterspiel" nach sich ziehen, die Fans werden am Millerntor in dieser Saison nicht ausgesperrt.

Das DFB-Sportgericht änderte das am 7. April vom DFB-Kontrollausschuss beantragte und tags darauf im Einzelrichterverfahren bestätigte Urteil substanziell ab: St. Pauli muss jetzt das erste Heimspiel der Saison 2011/12 mindestens 50 Kilometer von Hamburg entfernt vor lediglich 12 500 Zuschauern, darunter 1250 Gästefans, austragen. Als mögliche Spielorte nannte Stenger nach der Verhandlung Hannover und Bremen. "Das ist eine Platzsperre in Kombination mit einem Teilausschluss der Öffentlichkeit", erläuterte der Vorsitzende Hans E. Lorenz den Richterspruch, "ob das jetzt mehr oder weniger Strafe als vorher ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Juristisch stehen die beiden Sanktionen gleichrangig nebeneinander."

Bei seinem Urteil legte das Gericht 50 Prozent des Fassungsvermögens am Millerntor von etwa 25 000 Zuschauern zugrunde, der Zeitpunkt war unfreiwillig gewählt: "Wenn der FC St. Pauli den Rechtsweg ausgeschöpft hätte, hätte es ohnehin bis zur kommenden Saison gedauert", so Lorenz weiter. Stenger hatte zuvor auf Nachfrage einen entsprechenden Gang durch die Instanzen angekündigt, sollte das "Geisterspiel" bestätigt werden.

In den zwei zusammengelegten Sepp-Herberger-Tagungsräumen drei und vier genügten St. Paulis Vizepräsident sechs Minuten, um bei der Anhörung den Standpunkt der Hamburger zu verdeutlichen. "Der Vorfall hat uns alle schockiert. Aber den Wurf eines Einzelnen können wir durch keine uns zur Verfügung stehende Schutzmaßnahme verhindern", sagte der Rechtsanwalt, der darüber hinaus berichtete, dass der des Wurfs verdächtige Stefan H. die Tat weiter abstreite.

Dadurch sei die Schuldfähigkeit des Beschuldigten wie auch des Vereins fraglich, aber man wolle sich nicht auf juristische Argumente stützen. Vielmehr müsse etwas geschehen, wie Stenger mit Nachdruck versicherte: "Herr Vorsitzender, wir sind einig mit Ihnen im Ziel, der Prävention, aber nicht in der Maßnahme." St. Pauli strebte eine "saftige Geldstrafe" an. Und auf die schien es auch hinauszulaufen. Stengers Argumente, das verriet das Kopfnicken des Vorsitzenden, waren schlüssig. Zudem hatten die drei als Zeugen vernommenen Schiedsrichter Verein und St. Paulis Ordnungsdienst ausdrücklich gelobt. "Man hat alles getan, um nach dem Abbruch unseren Abgang aus dem Stadion bestmöglich zu gewährleisten", bemerkte Assistent Holger Henschel.

Als alle Aussagen getroffen, alle Argumente ausgetauscht waren, schaute Lorenz durch seine Brille in Richtung Schulte und Stenger: "Wird hier der Rechtsweg ausgereizt, nur um ein Urteil zu verhindern und über die Saison zu kommen? Sind wir hier der Durchlauferhitzer, oder binden wir die strategischen Überlegungen St. Paulis mit ein?" Der Vorsitzende empfahl ein informelles Gespräch zwischen dem von Anton Nachreiner vertretenen DFB-Kontrollausschuss und dem Verein. Wie bei der deutschen Nationalmannschaft folgte auf Herberger Helmut Schön, ebenfalls Namensgeber eines Saals beim DFB.

66 Minuten berieten die Parteien, ehe Lorenz enttäuscht mitteilte, dass man zu keinem Kompromiss gelangt sei. "Die Zuschauer müssen von der Sanktion betroffen sein, da der Abbruch von ihnen herbeigeführt wurde", grummelte Nachreiner mit bayerischem Dialekt, ehe sich das Gericht zurückzog.

Bei seinem Urteil folgte es dem Vertreter des Kontrollausschusses dann nur im Ansatz. St. Pauli akzeptierte die Strafe nach kurzer Beratung. "Es ist sehr positiv, dass nun nicht in den laufenden Wettbewerb eingegriffen wird", sagte Sportchef Schulte, der für den beruflich verhinderten Vizepräsidenten Bernd-Georg Spies nach Frankfurt gereist war, "aber es bleibt ein hartes Urteil, das uns viel Geld kostet". Während Nachreiner etwas von "Fristenproblem" murmelte und die Entscheidung schließlich etwas widerwillig akzeptierte, klang das Schlusswort von Lorenz nach: "Der FC St. Pauli ist ein besonderer Verein mit einer besonderen Fankultur. Und das wird er auch bleiben. Über das Jahr hinaus, über die Saison hinaus und über dieses Urteil hinaus."