Der verletzte Linksverteidiger der Hamburger spricht nach seinem Knöchelbruch über Ängste, Berufsrisiken und drohende Langeweile.

Hamburg. Wenn der FC St. Pauli an diesem Sonnabend (15.30 Uhr) auf Hannover 96 trifft, bleibt Bastian Oczipka im Millerntor-Stadion nur eine Zuschauerrolle. Der 22-Jährige brach sich vor einer Woche beim Spiel in Dortmund den Knöchel und fällt damit bis Saisonende aus. Im Interview gewährt der aufstrebende Linksverteidiger einen Einblick in das Innenleben eines Profis, der den ersten echten Rückschlag seiner Karriere verkraften muss.

Hamburger Abendblatt: Herr Oczipka, wie geht es Ihnen?

Bastian Oczipka: Den Umständen entsprechend. Das Saisonaus zu verkraften, das ist natürlich schwierig. Da ist es klar, dass man erst mal ein bisschen down ist. Andererseits muss man natürlich auch nach vorne blicken.

Wussten Sie schon auf dem Platz, dass etwas Schlimmes passiert ist?

Oczipka: Matthias Lehmann stand ganz in der Nähe, als es passierte, und meinte später, er habe etwas knacken gehört. Ich habe das nicht so wahrgenommen, habe ja auch noch versucht weiterzumachen, aber es ging einfach nicht. Das war wie eine Blockade im Fuß, und ich hatte das Gefühl, dass der Knöchel ein bisschen gewackelt hat. Mir war klar, dass das auf keinen Fall normal ist.

Anschließend ist der Mannschaftsarzt mit Ihnen nach Hamburg gefahren. Hofften Sie da noch, dass alles gut wird?

Oczipka: Der Fuß war nicht angeschwollen, von außen eigentlich nichts zu sehen. Deshalb hatte ich tatsächlich noch ein bisschen Hoffnung. Zumindest so lange, bis ich dann später in der Praxis die Röntgenbilder gesehen habe. Da war der Riss klar zu erkennen.

Können Sie sich noch erinnern, was Sie in diesem Moment gedacht haben?

Oczipka: Ich war enttäuscht, dass es doch nicht gut gegangen ist. Wirklich bewusst wird einem das alles aber erst ein paar Tage später. Am Abend selbst ist ja auch noch sehr viel passiert: Wir sind direkt ins Krankenhaus gefahren, dann hieß es, ich solle da bleiben. Später wurde für den nächsten Morgen die Operation angesetzt. Das verarbeitet man so schnell alles gar nicht. Ich habe mir gedacht: Macht ihr alle mal!

Bislang waren Sie immer von Verletzungen verschont geblieben.

Oczipka: Das stimmt, es ist meine erste richtige Verletzung. Ich habe mich bis jetzt immer darüber gefreut, dass ich starke Knochen habe und konnte mich glücklich schätzen, dass mir bislang noch nichts passiert ist. Aber jetzt hat es auch mich erwischt.

Sie haben Abitur gemacht, sich aber früh für eine Fußballerkarriere entschieden. Haben Sie auf dem Weg zum Bundesligaprofi daran gedacht, wie schnell Ihr Traum platzen könnte, wenn der Körper plötzlich nicht mehr mitspielt?

Oczipka: Nein, diese Angst hatte ich nie. Wenn man immer fit ist und auch viel dafür tut, macht man sich solche Gedanken eigentlich nicht. Ich habe mir auch nie überlegt, was ich machen würde, wenn ich nicht Fußballprofi geworden wäre. Wahrscheinlich würde ich jetzt studieren. Im Moment hätte ich nur keine Idee, was.

Haben Sie schon einmal miterleben müssen, wie ein Spieler durch eine Verletzung entscheidend zurückgeworfen wurde?

Oczipka: Man hört das natürlich immer wieder mal. Andererseits habe ich auch miterlebt, wie Leute, die länger ausgefallen sind, es wieder geschafft haben. Stefan Reinartz, mit dem ich bei Bayer Leverkusen in der Jugend gespielt habe, musste auch mal ein halbes Jahr aussetzen und spielt jetzt in der Bundesliga. Verletzungen gehören bei uns nun mal zum Berufsrisiko. Damit muss man leben.

Wann war Ihnen eigentlich klar, dass Sie tatsächlich Profi werden könnten?

Oczipka: Während der Schulzeit war ich in Leverkusen schon teilweise bei den Profis dabei. Da konnte ich reinschnuppern und wusste, dass es nicht ganz unrealistisch ist, wenn ich weiter an mir arbeite, älter und reifer werde.

Zunächst wurden Sie dann aber von Bayer Leverkusen an Hansa Rostock verliehen. Haben Sie das als sportlichen Rückschritt aufgefasst?

Oczipka: Ich kam aus der A-Jugend und hätte in Leverkusen mit den Amateuren in der Regionalliga gespielt, Rostock war zu dieser Zeit Bundesliga-Absteiger und hatte Ambitionen, wieder aufzusteigen. Das war deshalb sogar ein riesiger Schritt nach vorne für mich.

Vor einem Jahr folgte dann der Wechsel zum FC St. Pauli. Seit Sommer spielen Sie in der Bundesliga und haben vor allem zu Beginn der Rückrunde mit starken Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Man könnte also sagen, dass Ihre Karriere bislang ziemlich erfolgreich verlaufen ist.

Oczipka: Ich bin auf jeden Fall damit zufrieden. Die Entwicklung von jungen Spielern verläuft natürlich unterschiedlich. Bei einem Mario Götze kommt das jetzt mit 18 Jahren alles auf einmal, das ist aber ziemlich selten. Normal braucht man ein paar Jahre.

Umso bitterer ist es, wenn man dann durch eine Verletzung zurückgeworfen wird.

Oczipka: Als ich nach der Operation im Bett lag, habe ich schon gedacht: Das kann doch jetzt nicht sein. Da läuft es so gut, und jetzt passiert das.

Das Spiel in Dortmund war das erste nach einer Kapselverletzung am gleichen Gelenk. Könnte es sein, dass der Bruch eine Folge davon ist?

Oczipka: Es wurden diverse Untersuchungen gemacht, und laut diesen war die Verletzung ausgeheilt. Ich habe mich auch gut gefühlt und wollte gerne spielen.

Wer hat Ihnen in dieser schwierigen Situation Ihrer Karriere am meisten beigestanden?

Oczipka: Es kamen viele Anrufe, meine Eltern sind nach Hamburg gekommen, und wir konnten über alles reden. Auch von Vereinsseite war die Unterstützung da, viele Mannschaftskollegen haben mich im Krankenhaus besucht und mir zum Beispiel ein Brösel-Shirt mitgebracht (Das rosa Leibchen müssen bei St. Pauli Verlierer von Trainingswettkämpfen tragen und unliebsame Aufgaben erfüllen, d. Red.). Was mich sehr gefreut hat war, dass viele Fans Briefe geschrieben oder mir über Facebook und das Forum Nachrichten hinterlassen haben.

Was fangen Sie denn jetzt mit Ihrer unfreiwilligen Freizeit an?

Oczipka: So genau kann ich das nicht sagen, weil ich diese Situation zum Glück noch nicht erlebt habe. Ich fürchte aber, dass es ganz schön langweilig werden könnte. Wahrscheinlich werde ich ziemlich vielen Leuten auf die Nerven gehen. Es ist ziemlich ungewohnt, wenn man immer viel Sport gemacht hat und jetzt sechs bis acht Wochen erst mal so gut wie gar nichts machen kann. Ich muss auf Krücken laufen und darf den Fuß nicht belasten. Vielleicht kann ich wenigstens ins Wasser gehen und ein bisschen schwimmen.

Abseits sportlicher Betätigung könnten Sie jetzt auch Dinge tun, die sonst nicht in Ihren Profi-Alltag passen.

Oczipka: Ich könnte zwei Wochen in den Urlaub fliegen, aber da würde ich ja auch nur rumsitzen. Abends wegzugehen macht auch keinen Sinn. Wenn ich Alkohol trinke, ist das für die Rehabilitation nicht gerade förderlich. Genauso, wenn ich ständig irgendwo rumlaufe: Dann schwillt der Fuß an, und ich bekomme Schmerzen. Das bringt alles nichts. Ich fahre deshalb jetzt erst mal zu meinen Eltern und werde da wahrscheinlich viel Zeit auf der Couch mit Videos und der Playstation verbringen.

Wie lang wird es dauern, bis Sie Ihr altes Leistungsniveau wieder erreichen?

Oczipka: Schon eine ganze Weile. Ich bin mir aber sicher, dass ich das wieder hinbekomme. Es macht nur keinen Sinn, noch in dieser Saison spielen zu wollen. So habe ich noch die Sommerpause, um wieder völlig gesund zu werden und kann mit allen anderen dann wieder in der Vorbereitung auf die neue Saison voll angreifen.

Nehmen wir mal an, die Heilung verläuft reibungslos, wo spielen Sie denn dann in der nächsten Saison? St. Pauli hat Sie ja nur bis zum Sommer von Leverkusen ausgeliehen.

Oczipka: Das kann ich selbst noch nicht sagen, da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Ihr Berater sagte vor wenigen Tagen, dass er trotz Ihrer Verletzung fest davon ausgeht, dass Sie wieder für Bayer spielen werden.

Oczipka: Wenn man sich die Verträge anguckt, ist das so. Ich denke, dass jeder weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Da spielt die Verletzung eigentlich keine Rolle.

Was könnte denn überhaupt für St. Pauli sprechen?

Oczipka: Ich fühle mich hier sehr wohl. Das Jahr hatte es auch echt in sich. Durch den Aufstieg, die ganzen Erfolge, hat das natürlich einen riesigen Spaß gemacht. Die Stadt Hamburg ist auch super. Aber ich gucke jetzt erst mal nur von Tag zu Tag und versuche, so schnell wie möglich wieder fit zu werden.