Nur drei Tage nach dem historischen Derby-Triumph beim Hamburger SV wartet auf den FC St. Pauli in Dortmund der nächste Höhepunkt.

Hamburg. Zeit ist in diesen Tagen kostbar beim FC St. Pauli. Den Derbysieg, jenen denkwürdigen, historisch bedeutsamen Triumph vom Mittwochabend gebührend zu feiern, zu verarbeiten und nicht zuletzt schlichtweg zu genießen, obliegt allein den Fans. Es dürften einige Tage, vielleicht sogar Wochen vergehen, bis der Letzte im Umfeld seine Einordnung dieses herausragenden Erlebnisses abgeschlossen hat. Zeit, die Spieler und Trainer nicht haben. Der Spielplan gibt in dieser englischen Woche einen unbarmherzigen Takt vor.

Und so beschränkte sich Holger Stanislawski in seiner Ansprache an die Mannschaft auf Wesentliches. Keine Viertelstunde benötigte der Trainer am Tag danach, um einen Haken hinter den 1:0-Auswärtssieg beim HSV zu machen. "Wir freuen uns zwar nur alle 33 Jahre über einen Derbysieg, aber die Jungs wissen, dass es schon am Sonnabend weitergeht. Ich hatte ihnen gesagt, dass eine Feier bis fünf Uhr morgens da nicht förderlich ist." Und so verbrachten Spieler wie Trainer den Großteil der Nacht in gewohnter Umgebung: schlafend im eigenen Bett - oder aber auf dem Weg dorthin wie Derby-Torschütze Gerald Asamoah, der es nur noch bis auf das heimische Sofa schaffte. Nach dem physisch wie psychisch kraftraubenden Spiel verordnete schon der eigene Körper den Profis die nötige Regenerationszeit. "Es war ein langer, intensiver Tag", so Stanislawski, "kurz nach Mitternacht habe ich die Augen geschlossen und bin dann gut und schnell mit der Rückrundentabelle eingeschlafen." Die gebührende Sause nach dem Coup fiel aus, dem "Genuss im Stillen" (Stanislawski) lagen allein Zufriedenheit und Genugtuung zugrunde.

Die Rückrundentabelle. Auf Platz eins weist sie St. Pauli nun aus, nachdem auch das fünfte Spiel 2011 nicht verloren wurde. Mehr noch: Das 1:0, paradoxerweise mit dem dritten Torhüter Benedikt Pliquett und der passivsten Saisonleistung erreicht, bedeutete den dritten Bundesligasieg in Serie. Eine Konstanz, die letztmals vor 21 Jahren nachgewiesen wurde. St. Pauli siegt sich nach oben. In der Tabelle, aber auch in der Wahrnehmung. Die Nachricht von dem in allen Medien detailliert begleiteten und verarbeiteten Derbysieg drang bis zum fachfremden Publikum vor. St. Pauli wird nicht mehr vornehmlich über die Finanzprobleme der Vergangenheit definiert. Der FC St. Pauli 2011 hat den großen HSV bezwungen. Der Sieg war mehr wert als drei Punkte, was Stanislawski gleich am nächsten Morgen hautnah erlebte: "Ich war heute Morgen mit dem Hund beim Bäcker, und es gab einige Glückwünsche mehr als sonst." Erfolge in Serie, Derby-Triumph, Rückrundenprimus vor den Bayern, vor Dortmund, Schalke, Leverkusen, Wolfsburg, Bremen und dem HSV: Der Stadtteilklub grüßt vom Gipfel und erlebt aktuell das höchste der Gefühle. Mehr geht nicht! Oder doch?

Schnellstmöglich soll nun der Klassenerhalt perfekt gemacht werden. "Wir sind in einer guten Verfassung, haben eine starke Phase und wollen mit einem Sieg in Dortmund jetzt den nächsten Schritt auf dem Weg zu unserem Punkte-Ziel ,40 plus' gehen", sagt Stanislawski. In Dortmund trifft der Rückrundenprimus auf den 2011 ebenfalls noch ungeschlagenen Hinrundenersten - und St. Paulis Torschütze Asamoah als langjähriger und bekennender Schalker im persönlichen Derby "auf Lüdenscheid", wie er den Gegner stets zu nennen pflegt. Nach dem Derby ist vor dem Derby. "Am Mittwoch habe ich für unsere Fans alles gegeben, aber das war für mich persönlich nicht so emotional wie die Partie am Sonnabend. Es wird heiß hergehen. Ich freue mich", sagt der 32-Jährige, bei St. Pauli als vierfacher Rückrundentorschütze eine der Triebfedern des jüngsten Aufschwungs.

Eine mit Spannung erwartete Partie, der seit Mittwoch das Etikett des Spitzenspiels anhaftet. Nicht minder interessant auch, mit welcher Aufstellung Stanislawski die Herkulesaufgabe zu bewältigen gedenkt. "Die außergewöhnlichen Dinge des Holger S. - am Sonnabend folgt das nächste Kapitel", kündigt Stanislawski nach seinem sensationellen Torwarttausch im Derby an.

Aller Voraussicht nach wird der etatmäßige Torhüter Thomas Kessler wieder für Pliquett zwischen den Pfosten stehen, in der Innenverteidigung fehlt der gesperrte Carlos Zambrano. Auch auf den Außenbahnen könnte getauscht werden, selbst ein Systemwechsel zum 4-4-2 scheint denkbar. "Oder der Asamoah muss mal raus", scherzt Asamoah selbst und schlägt Sukuta-Pasu als Alternative vor: "Richie für Asa!"

Zukunftsmusik, die bereits am Tag nach dem Feiertag alles übertönte. "Das Derby ist vorbei. Geschichte", zieht Stanislawski den Schlussstrich, "ich hoffe nur, dass es nicht wieder 33 Jahre dauert." Und beim nächsten Mal vielleicht etwas mehr Zeit zum Feiern bleibt.