Ist der FC St. Pauli noch der etwas andere Verein? Eine Faninitiative probt den Aufstand gegen die Vermarktung des Kultes beim Bundesligisten.

Hamburg. Sie fühlen sich hintergangen, nicht ernst genommen und sorgen sich um den Ausverkauf der Werte ihres Klubs, um viel zu viel Kommerz statt Kult. Bereits in den vergangenen Monaten hatten viele Fans und Mitglieder des FC St. Pauli häufiger ihren Unmut über das Vorgehen der Vereinsführung kundgetan. Die auf einem Fankongress 2008 getroffenen und von der Mitgliederversammlung 2009 verabschiedeten Leitlinien hatten sie zuletzt immer seltener wiedergefunden.

Die zunehmende Verärgerung artikulierte sich zunächst in Mails und Schreiben an Präsidium und Geschäftsführung, bei Treffen mit Vereinsgremien oder in Internetforen und Blogs. Jetzt hat die sogenannte "Sozialromantiker-Initiative" die Vorwürfe am 22. Dezember in einer Petition an das Präsidium des FC St. Pauli gebündelt und unmissverständliche Forderungen an das Gremium formuliert. Anderweitig werde man "in den offenen Widerstand" treten. Die Basis begehrt gegen die Entscheidungsträger auf: "St. Pauli 21" am Millerntor.

"Es reicht!", lautet der Name des detailliert verfassten Schriftstücks. Bis gestern, 19 Uhr, unterzeichneten es 1575 Personen. Eine Zahl, die nun nach den Feiertagen noch einmal deutlich steigen dürfte. Und mit jeder Unterschrift wächst der Handlungsdruck auf die Klubführung weiter.

Bereits im Jahr 2008 hatte die aus der vielschichtigen Fanszene erwachsene Initiative erfolgreich mobil gemacht und öffentlichkeitswirksam den Millerntaler als offizielles Zahlungsmittel im Stadion verhindert. Diesmal richtet sich der Protest allerdings nicht gegen ein einzelnes Projekt, er ist genereller Natur. Es ist der Spagat zwischen Kult und Kommerz, zwischen ideellen und monetären Werten, der die Auseinandersetzung heraufbeschwört. Die lange Zeit mit viel Sensibilität durchgeführte Gratwanderung misslang seit dem Aufstieg in die Bundesliga immer häufiger, der Klub droht in die innerhalb des Klubs deutlich sichtbaren Risse abzustürzen. Wer hätte das sieben Monate nach dem Rücktritt von Präsident Corny Littmann gedacht?

"Es gibt einen Punkt in der Fähigkeit eines jeden Menschen, Verhältnisse hinzunehmen, an dem er nicht mehr in der Lage ist, weiterhin hinzunehmen. Weiterhin zu schweigen. Weiterhin zu hoffen und zu warten, dass sich die Verhältnisse ohne sein Zutun verbessern. Dieser Punkt ist bei jedem Menschen an einer anderen Stelle zu finden. Unser Punkt ist erreicht. Es reicht!", heißt es in der Einleitung der Petition.

Die einzelnen Kritikpunkte werden im Folgenden genannt: die neue Haupttribüne, die zur Hälfte aus BusinessSeats bestehe, der Bau von doppelt so vielen Logen wie geplant, Striptease in einer Stadionloge, die Präsentation der Mannschaftsaufstellung durch einen Sponsor, die Verbreitung von "Kalte Muschi" als offiziellem Getränk des FC St. Pauli sowie die Aktion eines Sponsors beim vergangenen Heimspiel gegen den 1. FSV Mainz 05, der beim letzten Heimspiel LED-Laufbänder eingesetzt hatte. "Ihr habt euren Sockel so weit verschoben, dass dieser Spagat in jedem Knochen, jeder Sehne, jeder Nervenzelle nur noch wehtut", heißt es, "und alles, was ihr in den letzten Monaten von uns verlangt, ist, gefälligst unseren Sockel auch zu verschieben."

Stattdessen gehen die Unterzeichner nun in die Offensive und haben sieben Forderungen an das Präsidium formuliert: keine weiteren, zusätzlichen Werbemaßnahmen, keine weiteren Werbeflächen auf den Tribünen, keine audiovisuelle Werbung während des Spiels, die Umwandlung von Teilen der Business-Seats auf der Haupttribüne in bezahlbare Sitzplätze, die Bereitstellung von Farbe, damit die Kinder der Stadionkita ihre grauen Wände in Eigenverantwortung anmalen können, die Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Logenbetreiber Susis Show Bar und keine weiteren bloßen Lippenbekenntnisse des Präsidiums und der Vermarktung.

Sollten die sieben Punkte nicht eingehalten werden, "werden wir in den offenen Widerstand gehen", wird in der Petition gedroht, "wir werden der immer mehr vermisste Sand im Getriebe sein, wir werden Aktionen anzetteln, die euch nicht mal im Traum einfallen. Wir werden sowohl den Verzehr wie auch den Stadionbesuch an sich boykottieren. Wir werden Sponsoren mit Mails bombardieren, eine außerordentliche Mitgliederversammlung beantragen. Kurz: Wir werden alles tun, bis ihr merkt, wie viele wir sind! Wir werden alles tun, bis ihr merkt, dass es mit euch, aber auch ohne euch geht."

Deutliche Muskelspiele und zornige Worte, die einer Kampfansage gleichkommen und ausdrücken, wie weit die Lager voneinander entfernt sein müssen. Das am 14. November gewählte und in seinen Handlungen bislang oft unverbindliche Präsidium steht vor seiner ersten Bewährungsprobe.