Stuttgarts Manager Fredi Bobic spricht vor dem Duell gegen St. Pauli über den Aufsteiger und sein spezielles Verhältnis zum HSV.

Hamburg/Stuttgart. Den Start in seine Manager-Karriere hatte sich Fredi Bobic, 38, anders vorgestellt. Nach seinem kurzen Engagement in Bulgarien bei dem Erstligisten Tschernomorets Burgas übernahm der frühere Nationalstürmer am 27. Juli diesen Jahres den VfB Stuttgart - und steckt nicht mal drei Monate später mitten im Abstiegskampf. Nach dem 1:0-Sieg in der Europa League gegen den FC Getafe nähert sich Bobics Laune wieder der Normalform - auch im Abendblatt-Interview vor dem Spiel gegen den FC St. Pauli (So., 17.30 Uhr/Sky).

Abendblatt:

Herr Bobic, wenn Ihnen vor der Saison jemand gesagt hätte, dass der VfB Stuttgart am achten Spieltag in der Tabelle zwölf Ränge hinter dem FC St. Pauli liegt ...

Fredi Bobic:

... dann hätte ich das kaum für möglich gehalten. Mit einem so schlechten Saisonstart des VfB konnte man nicht rechnen.

Kann der große VfB vom kleinen FC St. Pauli womöglich etwas lernen.

Bobic:

Ich mag den FC St. Pauli sehr. Schon zu meiner aktiven Zeit, obwohl ich am Millerntor mit den Stuttgarter Kickers einen meiner bittersten Momente erlebt habe. Dieter Schlindwein hatte mich in der 15. Minute umgehauen, da habe ich mich ein bisschen gegen Eisen-Dieter revanchiert. Prompt sah ich Rot, ich wusste gar nicht, dass man so schnell vom Platz fliegen kann. Den langen Weg an der Gegengerade entlang in die Kabine, wo es immer ein wenig müffelte, werde ich nie vergessen. Die St. Paulianer sind für mich die Gallier der Liga, immer bereit für den Kampf gegen die Großen. Die Marke ist sehr speziell und wird exzellent gepflegt. Aber diese besonderen Rahmenbedingungen sind schwer mit einem Verein wie dem VfB Stuttgart vergleichbar.

Halten Sie es für möglich, dass der FC St. Pauli trotz des guten Saisonstarts noch in den Abstiegskampf gerät?

Bobic:

Das erste Jahr nach dem Aufstieg ist in der Regel das einfachste. Da regiert die Euphorie. Rückschläge sind trotzdem kaum auszuschließen. Das wissen Helmut Schulte und Holger Stanislawski und sind entsprechend froh, dass sie schon so viele Punkte haben.

Ist die Partie gegen den FC St. Pauli für den VfB schon ein Schicksalsspiel?

Bobic:

Nein, dafür haben wir noch zu viele Partien vor der Brust. Aber es ist ohne Frage ein richtungsweisendes Spiel. Wir brauchen die drei Punkte.

Kämpft Stuttgart diese Saison um den Klassenerhalt?

Bobic:

Wir sind Tabellenletzter, für uns geht es im Moment einzig und allein darum, da unten wieder rauszukommen.

Machen Sie sich persönlich Vorwürfe? Haben Sie einfach nicht den passenden Ersatz für Ihre abgewanderten Schlüsselspieler Jens Lehmann und Sami Khedira gefunden?

Bobic:

Jens hat seine Karriere beendet, Khedira hatte ein Angebot von Real Madrid. Wir haben nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten, um einen Spieler, der zu Real Madrid wechselt, mal eben gleichwertig zu ersetzen. Sie dürfen zudem nicht vergessen, dass wir im Moment großes Verletzungspech haben. Und die Pause für unsere WM-Fahrer war sehr kurz, zumal wir auch noch die Qualifikation für die Europa-Liga spielen mussten.

Den Sturz auf Tabellenplatz 18 kann das aber nicht erklärten.

Bobic:

Das ist richtig. Wir haben zwar phasenweise ganz guten Fußball gespielt, aber nie über 90 Minuten.

Am Ende war der Trainer wieder das schwächste Glied. War die Entlassung von Christian Gross unumgänglich?

Bobic:

Christian Gross hat sich hier ohne Frage große Verdienste erworben. Aber wir hatten am Ende nicht mehr das Gefühl, dass er die Sache noch einmal hätte drehen können.

Stimmt es, dass Sie mit Ex-HSV-Trainer Bruno Labbadia verhandelt haben?

Bobic:

Wir haben nach der Entlassung von Christian Gross nicht gesprochen. Aber ich halte Labbadia für einen exzellenten Trainer. Warum hatte es eigentlich mit ihm und dem HSV nicht geklappt?

Weil er keinen Erfolg hatte.

Bobic:

Na ja, immerhin ist er ins Europa-League-Halbfinale eingezogen.

Jetzt hat Co-Trainer Jens Keller Ihr Vertrauen. Er hat sich sofort mit seinen Äußerungen über seinen ehemaligen Chef den Unmut von Trainer-Kollegen zugezogen, vor allem von HSV-Trainer Armin Veh.

Bobic:

Armins Äußerungen fanden wir absolut unpassend. Aber er ist auch in eine Falle gelockt worden. Er hat Äußerungen von Keller kommentiert, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

Wieso Falle? Jens Keller hat wörtlich gesagt: "Gross war ein dominanter Chef. Ich habe Fehlentwicklungen gesehen, aber mir waren die Hände gebunden." Finden Sie das loyal?

Bobic:

Jens war immer loyal. Jetzt wurde er nach diesen Problemen befragt - und er hat sie benannt. Er ist ja jetzt derjenige, der den Kopf hinhalten muss.

Wie lange darf er das noch, bis auch sein Kopf ab ist?

Bobic:

Was wir brauchen, sind jetzt einfach Punkte in der Bundesliga. Auf jeden Fall ist Jens Keller ein Trainer, der kompromisslos seinen Weg geht.

Wenn er gewinnt, darf er bleiben, wenn nicht, muss er gehen?

Bobic:

Nein, das hängt nicht nur von den Ergebnissen ab. Wir wollen die entsprechende Einstellung sehen. Und die hat beim 2:2 beim FC Schalke gestimmt.

Veh und Sie scheinen keine Freunde mehr zu werden. Schon beim geplatzten Transfer von Mladen Petric nach Stuttgart hat er Ihnen vorgeworfen, dass Sie noch viel lernen müssten. Sie haben diese Kritik als niveaulos gekontert.

Bobic:

Wir haben uns beim Tag der Legenden in Hamburg unter Männern ausgesprochen. Das ist in Ordnung. Im Übrigen waren die Verhandlungen mit HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann sehr fair.

Aber haben Sie einen Petric-Transfer nicht verpasst, weil Sie am Ende zu wenig Ablöse geboten haben?

Bobic:

Das stimmt nicht, der Transfer ist nicht am Geld gescheitert. Der HSV hatte zu diesem Zeitpunkt keine Alternative auf dem Markt zu Petric gesehen und hat ihn deshalb nicht ziehen lassen. Ich bedauere das sehr. Mladen ist ein sehr guter Spieler, mit dem wir uns ja auch schon einig waren.

Unternehmen Sie im Winter einen neuen Anlauf, Petric zu verpflichten?

Bobic:

Wir beobachten zunächst die Entwicklung in unserem Kader. Aber natürlich ist und bleibt Mladen Petric ein hochinteressanter Spieler.

Hamburgs neuer Sportchef Bastian Reinhardt hat sich nach seiner Verpflichtung im Sommer selbst als Lehrling bezeichnet. Ist Ihre Rolle in Stuttgart vergleichbar?

Bobic:

Ich lerne jeden Tag dazu, aber mit dem Begriff Lehrling kann ich nichts anfangen. Ich habe das Geschäft von der Pike auf gelernt, das Vergessen manche.

Sie haben als Spieler in Ihren Vereinen immer polarisiert, sind häufig auch mal angeeckt. Haben Sie besonderes Verständnis für Spieler in schwierigen Situationen?

Bobic:

Ich versuche die Jungs zu schützen. Aber ich bin auch jemand, der Klartext redet. Ich sage den Spielern in Vieraugengesprächen sehr deutlich, wo sie stehen - in negativer wie in positiver Hinsicht. Diese Gespräche sind sicherlich nicht immer angenehm. Aber diese direkte Ansprache hat mir in meiner aktiven Zeit sehr oft gefehlt. Stattdessen wurde dann Stimmung hinter meinem Rücken gemacht. Das ist nicht mein Ding.

Macht Ihnen das Beispiel Hertha BSC aus der vergangenen Saison Angst? Die Berliner sind in der vergangenen Saison als Teilnehmer der Europa League aus der Bundesliga abgestiegen.

Bobic:

Ich kenne die Lage in Berlin, wo ich ja auch gespielt habe, ganz gut. Und ich sehe Herthas Abstieg durchaus als Warnung. Andererseits bin ich überzeugt, dass unsere Mannschaft die Qualität hat, aus dieser Situation herauszukommen.